Die tunesische Bloggerin Emna Chargui wurde wegen Blasphemie zu einer Haft verurteilt

Knast wegen Blasphemie

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Kleine Ursache, große Wirkung: Anfang Mai teilte die tunesische Bloggerin Emna Chargui auf ihrer Facebook-Seite ein offenbar in Frankreich geschaffenes satirisches Posting, das – auch als »Coronasure« bezeichnet – im Stil einer Koransure zum Händewaschen und social distancing auffordert. Vergangene Woche verurteilte ein Gericht die 27jährige in erster Instanz  zu sechs Monaten Haft und umgerechnet etwa 620 Euro Geldstrafe wegen »Anstiftung zum Hass zwischen Religionen«, de facto also wegen eines Blasphemiedelikts. Chargui hat Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt, über das im September oder Oktober entschieden werden soll; sie bleibt bis dahin in Freiheit.
Hunderte haben mittlerweile das Posting zusammen mit dem Hashtag #FreeEmnaChargui geteilt, um die junge Frau zu unterstützen, die sich als Atheistin begreift und sich 2012 das Tattoo »Outlaw« stechen ließ. Seit sie das Posting teilte, hat sie, nicht zuletzt von religiösen Tugendwächtern, Hunderte Todesdrohungen und Androhungen sexueller Gewalt erhalten. In einem Telefonat teilte sie der New York Times mit: »Ich dachte, es sei ein guter Weg, den Leuten bewusst zu machen, sie sollten sich die Hände waschen und mit dem Coronavirus vorsichtig sein, mit einem Stil, den alle kennen.«
Das erstinstanzliche Urteil gegen Chargui löste eine scharfe Polemik in Tunesien aus. Ein Artikel auf dem kritischen Webportal Nawaat.org erinnert unter anderem an die beiden Blogger Ghazi Béji und Jabeur Mejri, die 2012 zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt wurden, weil sie auf Facebook Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatten. Zudem zitiert der Artikel Wahid Ferchichi, Professor für öffentliches Recht und Gründer der Tunesischen Vereinigung zur Verteidigung der individuellen Freiheiten (ADLI): »Seit 2011 haben wir einen riesengroßen Akteur auf der politischen Bühne: den politischen Islam. Er stützt sich grundsätzlich auf das Heilige, um seine Macht und seine Manipulation der öffentlichen Meinung zu festigen.« Und er fügte hinzu: »Das Ziel ist auch, zu zeigen, dass der Islam und die Identität in Gefahr sind. Das Ziel ist, ihren Einfluss über eine bestimmte Bevölkerungsgruppe auszuweiten, indem man auf einen zu bekämpfenden Feind deutet: die Laizisten, die Künstler, die Freidenker.«