Die Auswirkungen der US-amerikanischen Coronapolitik auf die Wahlchancen Donald Trumps

Leichen pflastern seinen Weg

Nach dreieinhalb Jahren der Präsidentschaft Donald Trumps stehen die Vereinigten Staaten inmitten gleich mehrerer einander bedingender und verschärfender Krisen. Dennoch könnte Donald Trump im November wiedergewählt werden.

Die Amtszeit von US-Präsident Donald Trump nähert sich dem Ende – zumindest die erste. In knapp drei Monaten, am 3. November, werden in den Vereinigten Staaten der Präsident, das Repräsentantenhaus und ein Drittel des ­Senats neu gewählt. Die Präsidentschaftswahl wird aufgrund des indirekten Wahlsystems auch dieses Jahr in ­einigen wenigen swing states entschieden werden, den Staaten mit wechselnden Mehrheiten. Dazu gehören Pennsylvania, Michigan und Wisconsin im sogenannten Rust Belt, der früher von der Schwerindustrie geprägt war. Umkämpft sind derzeit auch Florida und Arizona im sogenannten Sun Belt; Trumps Herausforderer Joe Biden liegt hier jüngsten Meinungsumfragen zufolge vorn. In den traditionell konservativen Staaten North Carolina, Texas und Georgia liegen beide gleichauf, was Trumps Wahlkampfteam zu denken gibt. Doch Umfragen sind nicht immer zuverlässig, wie man zuletzt 2016 am Beispiel des fälschlich prognostizierten Siegs Hillary Clintons erkennen konnte.

»Sieben von neun Wählerinnen und Wählern, die sowohl Obama als auch Trump gewählt haben, halten immer noch zu Trump.« Rich Thau, Meinungsforscher

Vor knapp einem Monat wurde nach zwei missglückten Wahlkampfveranstaltungen Trumps Wahlkampfmanager Brad Parscale abgesetzt, an seine Stelle ist der Politikberater Bill Stepien getreten, der die Wahlkampagne völlig neu ausrichten möchte. Doch Trump schwächelt weiterhin in den Umfragen. Mag sein, dass seine Show nicht mehr ganz so zieht wie noch vor vier Jahren, immerhin muss er sich dieses Mal für seine Amtsführung rechtfertigen – und die Bilanz ist vernichtend. Zwar erlebte das Land bis zum Beginn der Corona­krise einen wirtschaftlichen Aufschwung, doch wurden wichtige Investitionen in die Infrastruktur versäumt. Das politische Establishment in Wa­shington, D.C., war und ist zutiefst zerstritten. Nicht einmal seine vielbe­schworene Grenzmauer konnte Trump bauen, er musste sich mit nur 320 Kilo­metern (an einer 3 145 Kilometer lan­gen Grenze) zufriedengeben, wie das Nachrichtenmagazin Newsweek im Juni berichtete. Das einzige umfassende Gesetz, das die Regierung Trump durch­setzen konnte, war eine Steuersen­kung für Besserverdienende, darunter auch Trumps Familie.

Die meiste Zeit hatte der Präsident damit zugebracht, sich gegen die Untersuchung des Sonderermittlers Robert Mueller über die Wahlkampfeinmischung Russlands zu stemmen. Weil Trump versucht hatte, die Ukraine mittels Vorenthaltung von Militärhilfe dazu anzuspornen, seinen Wahlkampfkontrahenten Joe Biden zu schädigen, kam es im Januar zu einem Amtsenthebungsverfahren. Die Covid-19-Pandemie hat Trump lange ignoriert, und trotz gradueller Kurskorrekturen spielt er sie noch immer herunter. Während die vorherigen Skandale und Skandälchen der Trump-Regierung so gut wie keine Auswirkungen auf das Leben der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner hatten, ist dies im Hinblick auf die Pandemie nun anders. Ende Juli musste das Land bereits mehr als 150 000 Todesopfern verbuchen, jeden Tag kommen durchschnittlich 1 000 weitere hinzu.

Das sind mehr als nur Statistiken, in jedem einzigen Fall geht es um ein verlorenes Menschenleben – Väter, Mütter, Brüder, Schwestern, Töchter und Söhne. Doch Präsident Trump zeigt sich reuelos, geradezu kaltschnäuzig. »Es ist, wie es ist«, sagte er in einem am 3. August ausgestrahlten Fernsehinterview mit dem Reporter Jonathan Swan und behauptete, niemand könne mehr tun, als er und seine Regierung getan hätten. Dabei fällt die US-Ökonomie in eine immer tiefere Rezession, zwischen April und Juni brach die Wirtschaftsleistung um 9,5 Prozent ein, ein historischer Rekord, wie die Internet­seite CNN Business berichtete. Im Juni waren nach Statistiken des Bureau of Labor Statistics 17,8 Millionen Menschen arbeitslos. Um die Folgen der Corona­krise abzufedern, war im März im Rahmen des sogenannten Care Act unter anderem ein Zuschuss zum Arbeitslosengeld von immerhin 600 US-Dollar pro Woche eingeführt worden. Dieser Zuschuss ist Ende Juli ausgelaufen, womit der US-Wirtschaft über Nacht Milliarden von US-Dollar entzogen und zahllose Familien mittellos wurden.

Zudem endete am 24. Juli ein vom Kongress angeordnetes Moratorium von Zwangsräumungen. Es ist gut denkbar, dass in den kommenden Wochen und Monaten die Zahl der Zwangsräumungen in den USA rapide steigen wird. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits. In den Straßen von Los Angeles sieht man dieser Tage mehr und mehr Obdachlose; in unfertigen Bauprojekten, die seit dem Beginn der Coronakrise brachliegen, haben sich Zeltstädte gebildet. Zahllose Geschäfte sind wegen der Proteste gegen Rassismus und Polizei­gewalt verbarrikadiert, in Städten wie Portland und Seattle kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und der Polizei. In vielen Städten herrscht Ausnahmezustand. Der urbane Verfall schreitet jeden Tag weiter fort, und die Ausmaße sind erschreckend.

Der Abstieg der USA steht in direktem Zusammenhang mit der Ausbreitung von Covid-19, einer Krankheit, die Trump von Anfang an kleingeredet hat. »Viele Leute denken, das wird im April vorbei sein«, mutmaßte Trump noch bei einer Pressekonferenz am 10. Februar. Zwei Wochen später sagte er, dass Risiko sei »sehr gering, weil wir so viel getan haben«, und verglich das Virus mit einer Grippe. »Wir haben es so gut unter Kontrolle.« Am 27. Feb­ruar sprach er davon, das Virus werde »wie durch ein Wunder« verschwinden. Nichts davon hat sich bewahrheitet. Bei seiner Amtseinführung im Januar 2017 sprach er noch von einem American carnage, einem »amerikanischen Blutbad« – und meinte damit den Zustand der Nation vor seinem Amtsantritt. Die anwesende Hillary Clinton bestätigte später, dass der ebenfalls anwesende Amtsvorgänger George W. Bush die Rede mit den Worten kommentierte: »Well, that was some weird shit.« Inzwischen klingt American carnage wie eine durchaus zutreffende Beschreibung von Trumps Pandemiepolitik.

Der US-Präsident hat die Pandemie natürlich nicht zu verantworten, aber seine unentschlossene und erratische Politik hat die Situation verschärft. Statt eine landesweite Strategie zu entwickeln, beschränkte er sich darauf, jeden US-Bundesstaat allein agieren zu lassen. Auf die Frage, warum seine ­Regierung keine medizinischen Geräte aufkaufe und an betroffene Bundesstaaten verteile, reagierte Trump am 20. März: »Wir sind keine Lieferanten.« Statt die Krise nüchtern anzugehen, plusterte sich der Präsident bei öffentlichen Auftritten auf, lästerte auf Twitter oder pries gar Wunderkuren an, insbesondere Hydroxychloroquin, dessen Wirksamkeit gegen Covid-19 vom Center for Disease Control and Prevention (CDC) stark angezweifelt wird.

Trumps Herausforderer Joe Biden hält sich bislang weitgehend bedeckt, seine Strategie scheint darauf abzuzielen, das Rampenlicht weitgehend Trump zu überlassen und darauf zu hoffen, dass dieser sich selbst demontiert. Das ist eine gewagte Strategie, aber vermutlich die einzige, die den Demokraten nach den bitteren Vorwahlen bleibt, denn die als inspirierend gepriesenen Kandidatinnen und Kandidaten wie Elizabeth Warren und Bernie Sanders schnitten dabei erstaunlich schlecht ab. Nun scheinen die ­Demokraten zu glauben, alles richtig zu machen. Sie geben sich siegessicher – so wie seinerzeit das Wahlkampfteam Hillary Clintons.

Viele republikanische Wählerinnen und Wähler hingegen sind fest davon überzeugt, dass ihr Mann gewinnen wird. Es gibt noch immer einen harten Kern, der fest zu Trump hält. Die Bevölkerung ist zutiefst gespalten, bei seinen Anhängern genießt der Präsident nach wie vor nahezu fanatische Unterstützung. Um sich ein besseres Bild der Stimmung in den swing states zu verschaffen, organisiert der Meinungsforscher Rich Thau immer wieder ­Online-Fokusgruppen, die Videos postet er anschließend auf seiner Webseite. »Sieben von neun Wählerinnen und Wähler, die sowohl Obama als auch Trump gewählt haben, halten immer noch zu Trump«, so Thau. Einige der Aussagen in diesen Videos sollten den Demokraten zu denken geben. So sagte der Wähler Matt T., dass Biden vom deep state kontrolliert werde und nicht mehr als eine »Puppe« sei. Biden leide an »Demenz«, so Shelley D., eine Wählerin aus Michigan. An der Corona­krise sei Trump unschuldig, er habe nichts dagegen tun können.

Immer wieder tritt in diesen Gesprächen eine Mischung aus Apologien, Verschwörungstheorien, latentem Rassismus und sozialen Abstiegsängsten zu Tage. Es ist ein nahezu religiöser Eifer, der Trumps Anhängerschaft animiert, und er scheint kaum nachzulassen. Die Tageszeitung USA Today berichtete am 4. August, dass Trump noch immer bei 83 Prozent der Republikaner beliebt sei. Seine Botschaft wird offenbar gehört, verstanden und auf­genommen. Sollte Trump am 3. November wiedergewählt werden, könnte die Situation noch dramatischer werden – denn das Land steht am Abgrund und Trump scheint für eine zweite Amtszeit keine Pläne zu haben. Vor allem nicht in Bezug auf die Pandemie.