Das posthume Album »Eight Gates«

Am seidenen Faden

2013 starb Jason Molina, der Sänger der Band Songs: Ohia, an den Folgen seines Alkoholkonsums. Jetzt veröffentlicht sein Label posthum neue Songs.

Es ist zuallererst diese Stimme, die einen einnimmt und nicht mehr loslässt. Sie erzählt von Einsamkeit, von Schmerz und Leere; von einem grauen Schleier, der sich über die Seele gelegt hat. Jason Molina hat diese Themen immer und immer wieder besungen. In den wohl mehr als 1 000 Liedern, die der Songwriter aus Ohio zu Lebzeiten geschrieben hat, ließ einen seine hohe, fragil erscheinende Tenorstimme zu wirklich ­jedem Zeitpunkt spüren, an welch seidenem Faden eigentlich so ein Menschenleben hängt.

Die dunkle Seite von Jason Molinas Persönlichkeit hat sich in fast allen seiner Songs abgebildet, er konnte wohl gar nicht anders, als die bleierne Schwere des Seins in der Musik zu verarbeiten, sie dorthin auszulagern.

Auch jetzt, wenn man neu veröffentlichte Songs aus seinem Back­katalog hört, stellt sich augenblicklich das nachtblaue Molina-Gefühl ein. Bei »The Crossroad + The Empt­iness« ist es kaum mehr als eine vage Songskizze, der man beim Werden zu­hören kann, und doch fühlt es sich so an, als durchlebe man den tristen Wintertag, den Molina darin beschreibt, selbst noch einmal: »Sun­down December 30 comes / Though ­given one, I have no wish / I feel the dread as you r­e-read my poems / ­Remember, I showed you the scare­crow’s heart / The crossroad and the emptiness«, singt er. Dann Atempause, kurze Stille, Molinas Hand streicht kaum hörbar über die Gitarre. »Remember, we were the nameless ones / Not the lonely beings«, fährt er fort.

Damit endet der Track »The Crossroad + The Emptiness«, und damit endet auch das Album »Eight Gates« von Jason Molina, das nun postum erschienen ist. Neun Stücke sind darauf versammelt, die er zwischen 2007 und 2011 schrieb, als er in London lebte. Molina, 1973 in Oberlin, Ohio, geboren, wuchs in Lorain, Ohio, sowie in West Virginia auf. Er machte von Mitte der Neunziger an Musik, zunächst als »Songs: Ohia« und später unter dem Namen Magnolia Electric Co., jeweils mit einer Band, für die Kompositionen und Arrangements aber war immer er allein zuständig. Auch unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlichte Molina zwei Alben.

Zwischen 1997 und 2009 hat er insgesamt 17 Studioalben veröffentlicht. Unter dem Namen Songs: Ohia waren es eher klassische Songwriter-Alben mit Indie-Einschlag. Als er Anfang der nuller Jahre den Namen in Magnolia Electric Co. änderte, kamen vermehrt Americana-, Alternative-Country- und Bluegrass-Einflüsse hinzu. Obwohl Molina viele die-hard fans hat und von Musikern wie Will Oldham (Bonnie »Prince« Billy) oder den Slowrockern von Low verehrt wird, ist er nie groß rausgekommen – wohl auch deshalb, weil sein Sound schlicht nicht mainstreamtauglich ist.

»Er war einer der am härtesten arbeitenden Künstler, mit denen ich zu tun hatte«, erzählt Ben Swanson, der die Plattenfirma Secretly Canadian betreibt, im Telefongespräch mit der Jungle World. Bei dem US-Indielabel hat Molina zeitlebens veröffentlicht, Swanson war ein enger Freund Molinas. »Jason hatte eine spezielle Arbeitsroutine. Er stand in der Regel um fünf Uhr morgens auf, trank ­einen Tee und arbeitete dann für drei, vier Stunden. Er notierte Ideen für Liedtexte, nahm später die Gitarre dazu und tüftelte Songs aus. Am späteren Morgen, wenn für andere Menschen der Tag gerade begann, machte er Spaziergänge, ging Kaffee trinken, sammelte Eindrücke des Alltagslebens und reflektierte über das, was er geschrieben hatte.«

Der Alkohol war es, der diese Karriere in der zweiten Hälfte der nuller Jahre schleichend zum Erliegen brachte. Molina bekam vor allem während der Touren das Trinken immer weniger in den Griff, einzelne Auftritte wurden zum Desaster, es gelang ihm kaum, die Gitarre anzuschlagen. Von 2010 an hört er ganz auf mit dem Musikmachen, um sich einer Therapie zu unterziehen. In den ­folgenden Jahren hielt er sich immer wieder in Krankenhäusern und verschiedenen Therapieeinrichtungen auf, er lebte und arbeitete vorüber­gehend auf einem Bauernhof in West Virginia, versuchte klarzukommen. Am Ende vergeblich, er kam nicht vom Alkohol los. Am 16. März 2013 starb Molina in seiner Wohnung in ­Indianapolis an Organversagen. Er war 39 Jahre alt.

Die dunkle Seite seiner Persönlichkeit hat sich in fast all seinen Songs abgebildet, er konnte wohl gar nicht anders, als die bleierne Schwere des Seins in der Musik zu verarbeiten, sie dorthin auszulagern. Das hört man auch auf »Eight Gates«. »Be Told The Truth« etwa ist so ein todtrauriges, elegisches Stück mit mäandernden, reduzierten Streicher- und Orgelklängen, das diese Stimmung wiedergibt. »How could something be so falling apart?« singt Molina darin wiederholt. Auch hier ist es groß­artig, wie er mit Textfragmenten arbeitet und welch unglaubliche Spannung er mit begrenzten Mitteln aufbaut. Ein weiteres Highlight ist »Shadow Answers the Wall«, ein klassisches amerikanisches Songwriter-Stück in langsamem Tempo.

Die Klangästhetik des nur 26 Minuten langen Albums ist dem intimen, kammermusikalischen Charakter der Aufnahme geschuldet. »Es waren Lo-Fi-Sessions in einem kleinen, gemütlichen Heimstudio, einem Raum mit niedrigen Decken. Eigentlich ein klassisches Molina-Setting: Drei ­Typen in einem Raum, und Jason spielt Songskizzen ein«, erzählt Swanson. Den Versuchscharakter hört man den Songs zwar zuweilen an – manche Stücke brechen einfach ab. Weil es aber so dichte, dringliche Arrangements sind, stört dies nicht weiter. Auch einige Ansagen, die er im Studio an seine Freunde und ­Kollegen richtet, sind belassen worden. Sie lassen erahnen, dass Molina keineswegs ein zurückgezogener, ausschließlich verzweifelter Mensch war. »Der gewöhnliche Hörer denkt vielleicht, Jason sei ein ständig depressiver Typ gewesen, der nur allein im Zimmer hockte. Das ist definitiv nicht richtig. Er hatte ein ziemlich bewegtes und reiches Leben«, betont Swanson. Ein umgänglicher Mensch sei er sicher nicht gewesen – so nahm er es Freunden gegenüber mit der Wahrheit nicht so genau und erfand ständig Dinge –, aber »wenn man mit ihm rumhing, war er generell eher ein lustiger Typ, der alberne Witze riss«.

»Eight Gates« dürfte nicht die letzte posthume Veröffentlichung bleiben, Secretly Canadian arbeitet gerade das Archiv von Molina auf. »Jason hat uns immer seine Kassetten gegeben, wenn er etwas aufgenommen hatte. Es dürften so 400 Tapes bei uns liegen, auf manchen von ihnen ist nur ein Song, auf anderen befinden sich 30.« Das Label versucht nun, einen Backkatalog zu erstellen, »der Jason, seinem Werk und seinen Fans gerecht« wird, so Swanson. Beispielsweise gebe es Tapes mit Aufnahmen, die für eine Zusammenarbeit mit der Band Low gedacht waren. Seinerzeit kam das Projekt nicht zustande, nun sei man mit dem Sänger und Gitarrist von Low, Alan Sparhawk, im Gespräch, ob und wie eine Überarbeitung der Entwürfe Sinn ergebe.
Wenn Wiederveröffentlichungen mehr Interesse für diesen hoch­begabten Songwriters weckten, wäre immerhin ein kleines Stück musikhistorische Gerechtigkeit hergestellt. Denn Jason Molina spielt durchaus in einer Liga mit Elliott Smith, Nick Drake und Townes Van Zandt, um einige wesensverwandte Musiker zu nennen, deren Songs ebenso un­ergründlich tief und ergreifend sind. Für Fans ist »Eight Gates« ohnehin ein Muss. Jenen, die diesen großen Songwriter erst noch entdecken wollen, sei insbesondere Molinas Werk aus der ersten Hälfte der nuller Jahre empfohlen.

Jason Molina: Eight Gates (Secretly Canadian/Cargo)