Haare, Federn und Stacheldraht im Kleingarten

Der Kleingärtner war beim Friseur

Mit Nato-Draht gegen Greifvögel. Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 68.

Ich komme gerade vom Friseur und habe mich fein herausgeputzt. Eine Kolumne, die wirken soll, muss von jemandem mit adrettem Äußeren geschrieben werden. Das Sein bestimmt schließlich das Bewusstsein und der Schein hilft mit. Wenn die Haare zu lang werden, was mal subjektiv so empfunden und mal gesellschaftlich festgelegt wird, kommt mir immer der unvergessliche Freddy Quinn mit seinem in Liedform gegossenen Ordnungsruf »Wir« in den Sinn: »Wer hat natürlich auch seine Schwächen? Wir! / Wer hat sogar so ähnliche Maschen, / Auch lange Haare, nur sind sie gewaschen? Wir! Wir! Wir!/Auch wir sind für Härte, / Auch wir tragen Bärte … «

Keine langen Haare, aber dafür ekelhaft lange Federn haben die Greifvögel, die sich mittlerweile sogar im Sommer an meinen Hühnern zu schaffen machen. Fast wöchentlich fliegen sie Angriffe. Bisher gab es nur verletzte Hühner, keine toten. Wenn die Raubvögel wie Bussard und Habicht nicht so lange Federn hätten, könnten sie nicht so gut fliegen.

Ich schäume vor Wut ob der heimtückischen Angriffe und in meinen Tagträumen ist Federnschneiden angesagt. Gut, wenn das Drecksvieh von Raubvogel es so will, dann rüste ich eben auf und stelle jede Menge Stangen aus Holz und Eisen in das Gehege, so dass die süßen, kleinen Räuber Probleme beim Landen und Starten bekommen.

Bisher klappt es. Die Angriffe bleiben aus. Aber so wenig es ein ausbruchsicheres Gefängnis gibt, so wenig gibt es ein sicheres Hühnergehege. Was wäre die nächste Eskalationsstufe? Da gibt es wenige Möglichkeiten: Entweder ich schieße, installiere eine Selbstschussanlage oder ich schütze das Gehege mit Nato-Stacheldraht. Also der Draht, den »unsere« Armeen benutzen, um »die freie Welt« vor »dem Bösen« zu schützen. Auch im Inneren der freien Welt ist dieser Draht im Einsatz, zum Beispiel beim Abschiebegefängnis in Ingelheim am Rhein nahe Mainz. Dort schützt der Draht unsereinen vor den bösen Flüchtlingen, die in unsere schöne Heimat gekommen sind – einige von ihnen ungewaschen und mit langen Haaren.

Wo Nato-Draht verwendet wird, herrscht strenge Ordnung. Nato-Draht über meinem Hühnergehege wäre eine ökologische Aufwertung der militärischen Praxis. Und nachhaltig wäre es auch, wenn es sich um recycelten Draht handelt. Das klingt gut und hätte drei Vorteile: Ich würde meine Hühner schützen, dem Biohaushalt der Republik wichtige Impulse geben und gegen gutes Honorar für eine ökologische Aufwertung der Bundeswehr sorgen. Am Ende hätte ich als Kleingärtner übers Jahr verteilt mehr Hühner am Start, die fleißig Eier legen, statt vor Greifvögeln die Flucht ergreifen zu müssen und Panikattacken zu bekommen.

Eine gute Nachricht erreichte mich vor ein paar Tagen. Der Ire Phil Hogan trat als EU-Handelskommissar zurück, weil er die Coronaabstandsregeln nicht eingehalten hatte. Für mich war er einer der größten Unsympathen im EU-Zirkus. Der Kerl war von 2014 bis 2019 EU-Agrarkommissar und hat jede Menge Bauernhöfe auf dem Gewissen. Wenn Hogan jeder Bäuerin und jedem Bauern, die er in seiner Amtszeit mit seiner neoliberalen Politik zum Aufgeben zwang, seine Aufwartung machen müsste, um ihnen sein Beileid auszusprechen, dann könnte er 100 Jahre alt werden und wäre mit dem täglichen Vergießen von Krokodilstränen noch immer nicht fertig. Nun hat Corona seine Karriere beendet. Unsereiner und die wenigen vernünftigen Bauernorganisationen, die es gibt, waren zu schwach, um das zu erreichen. Sein Vorgänger, der Rumäne Dacian Cioloș, war das genaue Gegenteil. Er sperrte sich nicht gegen vernünftige ökologische Korrekturen und sprach mit kritischen Bauern. Er war ein seltener Beweis dafür, dass staatliche Institutionen nicht automatisch nur Widerlinge hervorbringen müssen. Aber eine Cioloș-Schwalbe macht noch keinen Sommer.

Im Garten gestalten sich die Dinge nach dem Abflauen der Hitzewelle etwas erträglicher, was aber nichts an der seit vier Jahren anhaltenden generellen Trockenheit ändert. Die wird ein immer größeres Problem, weil in der EU überwiegend hochgezüchtete Sorten von Feldfrüchten angepflanzt werden, die für vieles optimiert wurden, aber nicht dafür, mit wenig Wasser auszukommen. Nennen wir es verfehlte Agrarpolitik. Auch die gigantischen Feldgrößen mit fehlenden Buschstreifen provozieren den ebenso gigantischen wie kontinuierlichen Abbau von kostbarem Humus durch das Aufwirbeln von Staubwolken. Da kommt der Kleingärtner ins Spiel, der mit seinem auf Sortenvielfalt und kleinräumig angelegten Beeten basierenden Anbau eine Ahnung davon vermittelt, wie außerhalb des Gartenkosmos die Landwirtschaft der Zukunft aussehen könnte. Jedenfalls nicht wie kilometerlange Feldern, die mit selbstfahrenden Traktoren bewirtschaftet werden und Jahr für Jahr Humus verlieren.

Ich habe in den vergangenen Tagen eine dreistellige Zahl an eigenhändig vorgezogenen Endivienpflanzen dem Boden anvertraut. Bei der Menge ist die Salatversorgung bis zum Einsetzen des Frostes gesichert.