Donnerstag, 05.07.2018 / 12:54 Uhr

Interview: »Die libyschen Behörden sind vollkommen ungeeignet« 

Von
Julia Hoffmann
Nuding

Thomas Nuding

Thomas Nuding, Head of Mission, der Seenotrettungsorganisation »Mission Lifeline«:

 

Seit dieser Woche befindet sich kein Schiff der privaten Seenotrettung mehr im zentralen Mittelmeer. Die Schiffe und ein Flugzeug sind festgesetzt oder werden am Auslaufen gehindert. Gleichzeitig steigt die Zahl der ertrunkenen Flüchtlinge wieder. Mit der Jungle World sprach Thomas Nuding von der Hilfsorganisation »Mission Lifeline« über die Situation in Malta, die libysche Grenzpolizei und die Verantwortung der Bundesregierung für das Sterben im Mittelmeer.

 

Hilfsorganisationen wie »Lifeline«, »Sea Eye« oder »Seawatch« sind in Malta einer besonderen Situation ausgesetzt. Die Schiffe sind festgesetzt. Auch das Flugzeug von »Seawatch« wird blockiert. Wieso hat sich die Situation für die Seenotrettung so verschärft?
Die Sportbootzertifikate für diese Boote, die von niederländischen Behörden ausgestellt wurden, sind von ihnen widerrufen worden. Der Hauptvorwurf ist jetzt, dass die Schiffe flaggenlos sind. Die Absicht dahinter ist natürlich Migranten von Europa fernzuhalten.
 
Und das Flugzeug?
Das Flugzeug hat keine eigene Flagge, da fehlt irgendeine Zulassung. Die ist aber wohl eine Art »imaginäres Papier«. Keiner weiß so richtig wo wir das herbekommen sollen, weil keiner weiß was es ist.
 
Nachdem zunächst Italien die Seehäfen geschlossen hat, sehen sie einen Grund, dass jetzt auch Malta so restriktiv reagiert?
Malta hat zwei Beweggründe. Sie wollen selbst keine Migranten aufnehmen. Außerdem üben Deutschland, Italien und Frankreich, Druck auf Malta aus, keine weiteren Präzedenzfälle zu schaffen.

Lifeline

 
Der Kapitän der Lifeline wurde in Malta festgenommen und ist nach Zahlung einer Kaution nun wieder frei. Wie ist die juristische Situation?
!Ihm wird vorgeworfen ein Schiff ohne Flagge gefahren zu haben und ein widerrechtliches Ausschalten des sogenannten AIS-Transponders. Das ist das sogenannte automatic identification system, ein Gerät das anderen Schiffen anzeigt welches Schiff gerade in der Nähe ist. Außerdem wird ihm vorgeworfen nicht mit den libyschen und maltesischen Stellen kommuniziert zu haben. Alle Vorwürfe können wir widerlegen.
 
Welche Verantwortung trägt die Bundesregierung für die Situation im Mittelmeer?
Angela Merkel sagte kürzlich der Ausbildungsstand der libyschen Küstenwache müsse weiter verbessert werden und dass die Zusammenarbeit gut funktioniere und Früchte trage. Sie sagte, dass die Küstenwache geeignet sei Rettungen durchzuführen und mittlerweile auch ein Seenotrettungsgebiet Libyen ausgerufen wurde.
 
Können sie bestätigen, dass es eine gute Zusammenarbeit mit den libyschen Behörden gibt?
Die libyschen Behörden sind vollkommen search-and-rescue-ungeeignet. Insbesondere die Schiffe die Italien Libyen zur Verfügung gestellt hat, haben keine geeignete Ausrüstung. Darüber hinaus haben die Schiffe Einsatzschnellboote an Deck die noch nie im Wasser waren, seitdem die Schiffe in Libyen sind. Und die Libyer lassen diese Boote auch nicht zu Wasser. Mein Eindruck ist, dass sie es auch gar nicht können, warum auch immer. Mit ihren großen Schnellbooten manövrieren sie dann halsbrecherisch und vorsätzlich an die Schlauchboote heran und die Schläuche reißen, wobei immer wieder Menschen ertrinken.
 
Das heißt die libysche Küstenwache nimmt bewusst in Kauf, dass während ihren Einsätzen Menschen sterben?
Ja, selbstverständlich. Im April hat uns ein Sudanese erzählt, dass die Libyer doppelt Geld bekommen. Einmal die 200 Millionen Euro im Jahr von der EU für die Rückführung der Flüchtlinge. Dann haben sie aber noch ein zweites Einkommen, indem sie die Leute in Tripolis direkt mit Lastwagen zu den Schleusern bringen, die dafür pro Person nochmal ein Kopfgeld von etwa 100 Euro zahlen. Dann geht Vergewaltigung, Folter und Lagerhaft weiter, bis die Leute wieder zahlen können und dann aufs Meer zurückgeschickt werden. Auf der Lifeline hatten wir kürzlich einen Mann an Bord, der war schon zum fünften Mal auf einem Boot - wegen der libyschen Küstenwache. Und wenn Angela Merkel dann sagt, dass solche Leute search-and-rescue-geeignet sind, dann stellt sich mir der Kamm.
 
Wie geht es nun für die Hilfsorganisationen im Mittelmeer weiter?
Die International Maritime Organisation (IMO) in London, eine UN-Behörde, hat bisher bestritten, dass das libysche Rescue Coordination Center (RCC) überhaupt existiert. Dafür seien bisher mehrere Voraussetzungen nicht gegeben: Technisches Equipment, die Fähigkeit zur Rettung, die sichere medizinische Versorgung und eine völkerrechtskonforme Behandlung der an Land gebrachten Menschen. Am 28. Juni hat die IMO plötzlich eine nicht nachvollziehbare Kehrtwende gemacht und hat das RCC als Behörde anerkannt. Diese Behörde ist nun den Schiffen gegenüber weisungsbefugt. Das bringt völkerrechtliche Probleme mit sich, die niemand mitverantworten möchte. Dieser Beschluß muss also unbedingt rückgängig gemacht werden. Denn es stimmt einfach nicht, dass die Libyer Menschen retten können. Und auch die humanitären Voraussetzungen haben sich nicht innerhalb von einer Woche um 180 Grad gedreht.

Solange das RCC aber besteht ist ein Retten eigentlich gar nicht mehr möglich, da es eine Zusammenarbeit mit den Libyern geben muss. Ob man will oder nicht. So sagt es das Seerecht. Deshalb kann die Rettung auch unabhängig von der Beschlagnahmung momentan nicht weitergehen.