Montag, 07.09.2020 / 17:57 Uhr

Reisegruppe ungemütlich

Von
Picke Grätsche Aus
Stadion Lichterfelde

Stadion Lichterfelde

Bild:
Fridolin freudenfett (Peter Kuley) / Wikimedia / CC BY-SA 3.0

Wenn man zu diesem frühen Zeitpunkt schon Prognosen wagen wollte und zusammenfassen würde, was man in der Saison 2020/21 der Regionalliga Nordost als Fußballfan erleben kann, dann ist es erstens: Zu den spielstärksten Mannschaften gehören diese Saison bisher FC Viktoria Berlin und die VSG Altglienicke, die am 4. Spieltag im Stadion Lichterfelde aufeinandertrafen. Beide Mannschaften hatten ihre bisherigen Spiele allesamt gewonnen. Im Berliner Landespokalfinale hatte Altglienicke die Nase vorn und düpierte die Viktoria mit 6:0. Im Spitzenspiel in der Liga allerdings konnte die Heimmannschaft, die vor dem Ersten Weltkrieg immerhin zweimal Deutscher Meister war, Altglienicke mit 2:1 bezwingen.

Für die ungefähr 500 anwesenden Fans im ausverkauften Haus, dürfte es mehr als nur eine Wiedergutmachung gewesen sein, denn Altglienicke war bisher sehr stark in die Saison gestartet. Nicht nur im Spiel gegen Lichtenberg 47 zeigte die VSG (wir berichteten), wie souverän und spielstark sie auftrumpfen kann. Gegen die Berliner Viktoria sah es zu Beginn ebenfalls nach einem souveränen Auftritt aus. Tolcay Cigerci, der begnadete Spielmacher der Altglienicker und bisher einer der spannendsten Spieler der Liga, drückte dem Spiel seinen Stempel auf. Mit der Zeit fand die Heimmannschaft allerdings immer besser ins Spiel; defensiv bekamen sie Cigerci besser in den Griff und konnten selbst immer wieder nach vorne Akzente setzen.

Die zweite Beobachtung: Wenn die Rede von „Fans der Viktoria” ist, so muss man das wohl etwas relativieren, denn meine Beobachtung aus den bisherigen Spielen ist, dass bei Vereinen ohne eine aktive Fanszene die Anhänger der Stadtrivalen Hertha, Union und teilweise BFC den Heimbereich der Vereine zur Mixed Zone umdeklarieren und mit ihrem jeweiligen Merchandise zu den Spielen gehen. So ergaben sich bereits kuriose Anblicke, wie zum Beispiel beim Spiel zwischen Lichtenberg und Altglienicke, wo sich Anhänger von Union und dem BFC friedlich im Stadion versammelten.

Wer vor dem Start der Profiligen gern mal wieder Fußball live sehen will, kommt derzeit um die Regionalliga nicht herum. Für eingefleischte Fans, jene also die ihren Vereine aktiv unterstützen wollen, ist es aber noch ein langer Weg hin zu einer Mitgestaltung des Spieltages. Für die angereisten Fans der BSG Chemie Leipzig beim Auswärtsspiel im „Zoschke” war es deshalb ein äußerst tristes Unterfangen: Ohne richtigen Support, ein Spiel das nur aus Geplänkel im Mittelfeld bestand, dementsprechend arm an Chancen war und konsequenterweise ohne Tore endete. Die knapp 40 Fans waren wahrlich „not amused“.

Die Öffnung der Fankurven bedeutet aber nicht automatisch, dass die Fans wieder akustisch und optisch ins Geschehen eingreifen können. Zu beobachten war dies beim letzten Spiel der chemischen Berlin-Serie am Wochenende. Zwar durften nun 2.000 Fans in den Alfred-Kunze-Sportpark, aber nach dem neuen Konzept mit Maskenpflicht die gesamte Zeit über im Stadion und Clusterbildung auf den Stehplätzen. Wie unterschiedlich die Bedingungen in Deutschland sind, zeigt sich derzeit in Niedersachsen, wo die Fans vom 1. SC Göttingen als „Reisegruppe Campingstuhl“ ihre eigenen Sitzgelegenheiten mit ins Stadion bringen müssen. Da ist man in Leipizg-Leutzsch mit der Öffnung des Norddamms zumindest einen Schritt weiter.