Samstag, 16.02.2019 / 18:40 Uhr

Was Syrern bei Rückkehr droht

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Gastbeitrag von Adopt a Revolution

Zwei aus Deutschland zurückgekehrte Geflüchtete sind in Syrien „verschwunden“. Mindestens einer der beiden hatte vom BAMF Rückkehrhilfe erhalten. Die Fälle zeigen, wie problematisch die Förderung freiwilliger Ausreisen ist, welche Folgen verweigerter Familiennachzug haben kann und was syrischen Geflüchteten bei Rückkehr droht.

Russland und andere Akteure, die das Assad-Regime unterstützen, behaupten schon lange, der Krieg sei vorbei, die Geflüchteten könnten nun zurückkehren und täten dies bereits in großer Zahl. Tatsächlich kehren immer wieder Geflüchtete nach Syrien zurück, vor allem aus den Nachbarstaaten Syriens, wo die ökonomische Ausweglosigkeit viele zur Rückkehr nach Syrien zwingt.

Auch aus Deutschland kehren syrische Geflüchtete nach Syrien zurück – viele, weil sie ihre Hoffnung aufgeben mussten, ihre Lieben zu sich in Sicherheit holen zu können. Einem großen Teil der Geflüchteten wird durch Gesetzesverschärfungen das Recht auf Familiennachzug verweigert. Bei Flüchtlingen mit Recht auf Familiennachzug scheitert die Familienzusammenführung oft an bürokratischen Hürden. Manche kehren daher aus Verzweiflung zurück.

Was droht SyrerInnen bei der Rückkehr nach Syrien?

Wie hoch die Gefährdung von Rückkehrern ist, illustriert aktuell ein Bericht von Foreign Policy: Zwei Syrer, die aus Deutschland zurückkehrten, sind in Syrien von Sicherheitskräften des Regimes inhaftiert worden. Beide wollten zu ihren Partnerinnen zurückkehren, nachdem alle Versuche gescheitert waren, sie zu sich nach Deutschland zu holen. Die Angehörigen der beiden Rückkehrer konnten bislang nichts offizielles über deren Verbleib erfahren, erfuhren aber inoffiziell durch Mittelsmänner, dass sie festgenommen wurden. (Eine detaillierte deutschsprachige Zusammenfassung des Artikels findet sich bei Asyl.net)

Das „Verschwindenlassen“ von Menschen, die aus irgendwelchen Gründen verdächtigt werden, der Opposition anzugehören, ist in Syrien üblich, rund 100.000 Menschen sind seit 2011 in den Folterknästen des Regimes verschwunden, Tausende von ihnen wurden hingerichtet oder starben aufgrund von Folter und unmenschlichen Haftbedingungen. Das belegen zahlreiche hier nur beispielhaft verlinkte Berichte der Vereinten Nationen, von Amnesty International und anderer Organisationen.

Verschwinden-Lassen, Folter und Ermordung

Ob syrischen Geflüchteten bei der Rückkehr allein schon deshalb Verfolgung droht, weil sie aus Syrien geflohen sind, ist umstritten. Es ist aber weitgehend unumstritten, dass Verfolgung in Syrien fast alle Menschen treffen kann und RückkehrerInnen besonders von Verfolgung bedroht sind: Wem das Assad-Regime auch nur unterstellt, illoyal zu sein, dem droht Inhaftierung, Verschwinden-Lassen, Folter und Ermordung.

Es ist vielfach belegt, dass Rückkehrende an Flughäfen und Grenzübergängen einer Kontrolle unterzogen werden, bei der geprüft wird, ob sie auf den Fahndungslisten der Geheimdienste aufgeführt sind oder andere Verdachtsmomente erfüllen, dass sie die Regierung ablehnen. Amnesty International liegen zahlreiche Berichte darüber vor, “dass Kontrollen an Grenzübergängen an Flughäfen, Landesgrenzen und innersyrischen Kontrollpunkten oftmals mit Übergriffen und Festnahmen verbunden sind. Personen, die inhaftiert werden, müssen befürchten, Übergriffen ausgesetzt zu sein, bis hin zu Verschwindenlassen, Folter und möglichem Tod in Haft.”

Das Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) fasst zusammen: “Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, (…) sind Berichten zufolge dem Risiko einer längeren incommunicado Haft und Folter ausgesetzt. Es wird berichtet, dass für Rückkehrer außerdem das Risiko besteht, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht werden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet haben, weil sie aus einem Gebiet stammen, das sich unter der Kontrolle der Opposition befindet, oder weil sie aufgrund ihrer konservativen Kleidung als religiös wahrgenommen werden. Andere werden, wie berichtet wird, ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt.” ACCORD weist darauf hin dass das Inhaftierungsrisiko nicht nur unmittelbar bei Kontrollen im Zuge der Einreise, sondern auch nach der ersten Einreise weiterhin bestehen kann.

Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe kommt zum eindeutigen Schluss: “Jede rückkehrende Person ist gefährdet. Prinzipiell muss davon ausgegangen werden, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehrt, verhaftet und misshandelt werden kann.“

Der libanesischen Regierung liegen Berichte vor, nach denen mindestens 20 aus dem Libanon nach Syrien rückgekehrte Flüchtlinge in Syrien von regimeloyalen Kräften getötet wurden. Im März 2018 berichtete die Irish Times berichtet über vier Fälle von Geflüchteten, die unter anderem aus Europa nach Syrien zurückgekehrt waren und dort inhaftiert und getötet wurden. Es liegen zudem Berichte vor über Verhaftungen von Personen, die aus Idlib in regimekontrollierte Regionen zurückkehrten. Ein bekannter Fall ist der des im Februar 2017 verschwundenen syrischstämmigen US-Amerikaners Majd Kamalmaz, über den mehrere US-Medien berichteten. Er war bei einem Besuch in Damaskus an einem Checkpoint verhaftet worden. Kamalmaz hatte zuvor zusichernde Auskünfte eingeholt, dass er sicher nach Syrien reisen könne, er galt nicht als Regimegegner.

Es ist davon auszugehen, dass es Familien von „Verschwundenen“ oder vom Assad-Regime inhaftierten Personen in den meisten Fällen vorziehen, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, weil sie befürchten, selbst verfolgt zu werden oder dass ihre Angehörige noch mehr gefährdet werden könnten.

Rückkehrhilfe in Verfolgerstaaten?

Die Fälle der aus Deutschland zurückgekehrten Geflüchteten, die in Syrien „verschwunden“ sind, sind besonders brisant, da die Bundesregierung hier Rückkehrhilfen gewährte. Die Bundesregierung will durch Rückkehr- und Starthilfen finanzielle Anreize für Geflüchtete zu schaffen, Deutschland wieder zu verlassen. Zielgruppe dieser Programme sind insbesondere abgelehnte Asylsuchende, zunehmend aber auch Asylsuchende im Asylverfahren oder anerkannte Flüchtlinge und andere schutzberechtigte Personen, darunter auch SyrerInnen.

Ein wichtiges Programm zur Rückkehrhilfe ist REAG / GARP, das die Bundesregierung in Kooperation mit der Internationale Organisation für Migration (IOM) organisiert. Bezeichnenderweise ist die IOM nicht bereit, die Rückkehr nach Syrien zu unterstützen. Auf der Website returningfromgermany.de heißt es, IOM sei „verpflichtet den Migrantinnen und Migranten eine sichere Rückkehr zu ermöglichen.“ Dies sei aktuell im Falle von Syrien nicht gewährleistet. Dasselbe gilt nach Auffassung von IOM für Eritrea, Jemen und Libyen.

IOM hat Skrupel, die Bundesregierung nicht?

Das BAMF hat im Gegensatz zu IOM offenbar geringere Skrupel und fördert dennoch die Rückkehr in diese Herkunftsstaaten. Dafür werden Bundes- und Landesmittel in Anlehnung an das REAG/GARP-Programm zur Verfügung gestellt, wie aus diesemMerkblatt des BAMF hervorgeht. Nachdem Medico International dies scharf kritisierte, rechtfertigte sich das Bundesamt auf Twitter damit, dass SyrerInnen in keiner Weise ermutigt würden, nach Syrien auszureisen, diese aber, sofern sie sich autonom für eine Rückkehr entscheiden, nicht schlechter gestellt werden dürften als rückkehrwillige Geflüchtete aus anderen Herkunftsstaaten.

Die Argumentation unterschlägt, dass das in Anlehnung an REAG/GARP und die ergänzende „Starthilfe Plus“ gestaltete System des BAMF mehrere Elemente enthält, die für Syrien und andere Staaten mit extremer Verfolgungsgefahr sehr problematisch sind, etwa finanzielle Anreize für eine möglichst frühzeitige Ausreise, idealerweise noch vor der Asylentscheidung.

Zudem ist die Behauptung des Bundesamts zweifelhaft, SyrerInnen würden in keiner Weise ermutigt, nach Syrien zurückzukehren. Der verweigerte Familiennachzug und andere Restriktionen sind dazu gedacht, Geflüchtete zur Rückkehr zu bewegen. Die Plakatkampagne „Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!“, die sich unter anderem auf arabisch an Geflüchtete und Migrantinnen richtet, zeigt unter anderem die syrische Flagge. Wie sollen SyrerInnen dies verstehen, wenn nicht als Ermutigung oder gar als Aufforderung zur Rückkehr?

Was heißt freiwillig?

Generell ist beim Thema „freiwillige Rückkehr“ Skepsis hinsichtlich der angeblichen Freiwilligkeit angebracht. Dies gilt insbesondere für von Abschiebung bedrohte Asylsuchende. Das ist bei SyrerInnen derzeit nicht er Fall, aber dennoch sind Szenarien vorstellbar, in denen Betroffene unter Druck gesetzt werden, ihrer eigenen „freiwilligen Rückkehr“ zuzustimmen, etwa von Ausländerbehörden.

In diesem Kontext ist relevant, dass bei den Rückkehrhilfen nicht die Rückkehrer selbst den Antrag auf Unterstützung stellen. Antragsberechtigt sind etwa Ausländerbehörden und Sozialämter. Auch die aus Bundesmitteln finanzierten Rückkehrberatungsstellen, deren Träger in der Regel Wohlfahrtsverbände sind – AWO, DRK, Caritas, Diakonie oder der Paritätische Wohlfahrtsverband – können Mittel zur Refinanzierung von Rückreisen beantragen. Welche Institution die Refinanzierungsanträge für die nun in Syrien „verschwundenen“ Personen gestellt hat, ist aktuell nicht bekannt.

Laut MDR hat die Bundesregierung 2018 373 syrischen Geflüchteten finanzielle Unterstützung für ihre freiwillige Rückkehr nach Syrien gewährt, insgesamt lagen die bewilligten Mittel 2018 bei 517.000 Euro.

Beitrag zuerst erschienen auf dem Blog von Adopt a Revolution