Sonntag, 24.03.2019 / 09:18 Uhr

Regenbogenfahnen statt Kopftücher

Von
Amed Sherwan

Jedes verlorene Menschenleben hinterlässt bei den Angehörigen eine schmerzhafte Lücke. Jeder Tod erinnert auch Außenstehende daran, wie verletzlich der menschliche Körper ist und wie kurz das Leben. Und wenn viele Menschen auf einmal sterben, trifft es die meisten mit einer großen Wucht. So ist es gerade in Mossul passiert, wo über hundert Menschen bei einem Fährunglück ertrunken sind – Menschen, die fröhlich Newroz gefeiert haben und sich auf das neue Jahr gefreut haben – jetzt feiert in der Umgebung niemand mehr.

Der grausame Anschlag auf die zwei Moscheen in der Stadt Christchurch in Neuseeland macht aber nicht nur die nähere Umgebung traurig, sondern löst weltweit unglaubliches Entsetzen aus. Die Vorstellung, dass eine Einzelperson sich aus freien Stücken und bei vollen Bewusstsein dazu entscheidet, massenweise Menschen deswegen auszulöschen, weil sie nicht in sein Weltbild passen, lässt niemanden kalt. Die Reaktionen darauf sind aber erstaunlicherweise ganz unterschiedlich.

Einige meiner alten atheistischen Kontakte im Irakisch-Kurdistan äußern tatsächlich, die Muslime hätten den Terror selbst über sich gebracht. Viele Muslime in meiner alten Heimat sehen den Anschlag hingegen als Teil einer großen Weltverschwörung gegen den Islam. Meine Mutter ruft mich panisch an und erzählt mir, ich solle aufwachen und kapieren, dass der Westen es nicht gut mit uns meint. Und mein Vater hofft, dass die Weltgemeinschaft endlich versteht, dass die Muslime seit Jahrzehnten unter Beschuss stehen und die islamistischen Gruppen ein Produkt dieser Angriffe ist. Und Erdogan gießt in gewohnter Manier Öl ins Feuer und ruft zur Rache gegen Australier auf.

Mich trifft jeder Terroranschlag, egal ob die Täter Islamisten oder Rassisten sind und unabhängig vom Glauben der Opfer oder ob er im Westen, Osten, Norden oder Süden stattfinden. Aber ich muss zugeben, dass mich der Anschlag in Christchurch auf eine seltsame Art getroffen hat. Denn obwohl ich nicht Muslim bin, bin ich als Flüchtlingsgesicht immer mitgemeint, wenn Menschen gegen meine sogenannte Herkunftskultur hetzen. Und die Vorstellung, dass jemand meine Eltern, Geschwister und Freunde als unwertes Leben einstufen, ist für mich unerträglich.

Deshalb hat die Reaktion der Neuseeländischen Bevölkerung und allen voran der Premierministerin Jacinda Ardern mich in ihrer Echtheit, Aufrichtigkeit und Konsequenz bewegt. Sie tun das einzig richtige und zeigen, dass sich Hass nicht mit Hass bekämpfen lässt, sondern mit Solidarität und Mitgefühl. Ich finde es großartig, dass den individuellen Opfern gedacht, dem Täter kein Forum geboten wird und zukünftige Gefahrenquellen konsequent minimiert werden. Es geht nicht darum einzelne Gruppen zur Rechenschaft zu ziehen, sondern um die gemeinschaftliche gesellschaftliche Verantwortung dafür, dass so etwas sich nie wiederholen darf. Ich hoffe, dass dieser bewundernswerte Umgang mit dem Leid auch meinen Eltern zeigen wird, dass die Welt eben nicht schwarz-weiß ist.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zielt darauf ab, Menschen zu trennen. Jeder Anschlag freut die Islamisten und Muslimhasser gleichermaßen, denn er setzt darauf, die Gesellschaft zu spalten, Gruppen gegeneinander aufzuhetzen und damit weiteren Hass und Gewalt zu schüren. Doch der Feind ist nicht die andere Hautfarbe, die andere Herkunft oder der andere Glaube. Die Gefahr lauert in einem schwarz-weißen Weltbild, das Menschen aufteilt und spaltet.

Ich verstehe daher den Impuls, dass Menschen in Neuseeland ihre Verbundenheit mit den Opfern über das Tragen von Kopftüchern zeigen wollen. Ich finde die Geste bewegend, das gewählte Zeichen aber stark irritierend. Denn das Kopftuch ist nicht mal ein Symbol, das Musliminnen und Muslime verbindet. Es ist Instrument einer frauenunterdrückenden Sexualmoral, unter der viele Frauen in muslimischen Gesellschaften leiden und gegen das sie Tapfer ankämpfen. Und es ist ein Ausdruck genau der reaktionären Bewegungen im Islam, die Vielfalt und Offenheit im Islam verhindern. Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle Frauenrechtlerinnen, moderate Gläubige und Ex-Musliminnen und Ex-Muslime wie mich, dass ausgerechtet das Kopftuch zum Symbol des Miteinanders gemacht werden soll.

Wer sich als Gegenreaktion auf Muslimhass und Rassismus mit reaktionären Bewegungen verbündet, begibt sich vom Regen in die Traufe. Versammelt euch um die Moscheen, haltet Wache und reicht einander die Hände, schützt die Vielfalt in eurer Unterschiedlichkeit – aber bindet dabei keine Kopftücher, sondern schwenkt Regenbogenfahnen!