Freier atmen

Hirsi Alis Ausreise in die USA

von jörn schulz

Die meisten armen Migranten sehen die Freiheitsstatue nicht, wenn sie in die USA einreisen. Und auch die Wohlhabenderen, die nicht durch einen Tunnel nach Kalifornien schleichen, sondern wie Ayaan Hirsi Ali mit dem Flugzeug ankommen, können die Dame in Grün allenfalls für einen kurzen Moment aus dem Kabinenfenster erspähen. Zu weit entfernt, um lesen zu können, dass auf der Bronzetafel am Podest der Statue die »geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren«, willkommen geheißen werden.

Eine pathetische Behauptung, die der Lebenswirklichkeit migrantischer Arbeiter im Fettdunst einer McDonald’s-Filiale oder im Pestizidnebel über den Gemüsefeldern nicht ganz gerecht wird. Doch nicht nur für Arbeitssuchende, sondern auch für Dissidenten sind die USA noch immer eine bessere Adresse als die EU. Es ist wohl kaum eine integrationswilligere Migrantin vorstellbar als Hirsi Ali, doch sie scheiterte an jener Mischung aus reaktionärer Intoleranz und linker Ignoranz (siehe Seite 9), die nicht nur in den Niederlanden die Politik dominiert.

US-Präsident George W. Bush befürwortet eine Amnestie für mehrere Millionen illegaler Migranten, eine für einen europäischen Konservativen kaum vorstellbare Haltung. Dass in einem Staat, in dessen Süden vor kaum mehr als 40 Jahren noch die Apartheid herrschte, eine schwarze Frau Außenministerin werden kann, ist vor allem das Verdienst der Bürgerrechtsbewegungen, die zumindest die formale Gleichheit weitgehend durchgesetzt haben. Nicht zuletzt der Frauenbewegung, die Ende der sechziger Jahre von schwarzen Nationalisten noch als »Pussy Power« geschmäht wurde, aber maßgeblich dazu beigetragen hat, dass auch die Zugehörigkeit zu einer Minderheit kein Freibrief für die Erhaltung von Unterdrückungsverhältnissen in der Familie und der Community mehr ist.

Die meisten europäischen Konservativen dagegen pflegen noch immer eine ausgrenzende christliche Leitkultur und halten an einem ethnischen Nationalismus fest. Wenn in den Staaten der EU von den Migranten größere Integrationsanstrengungen gefordert werden, geht es immer um Anpassung an die vorgebliche Nationalkultur, ganz so, als gäbe es keinen europäischen Integrationsprozess, im Zuge dessen bald auch die Türkei eingemeindet werden soll. Sozialdemokratische und grüne Parteien dagegen neigen, ebenso wie große Teile der Linken, dazu, reaktionäre und rechtsextreme migrantische Subkulturen zu ignorieren oder zu romantisieren. Nicht eine zu liberale Migrations- und Integrationspolitik, sondern das Bemühen von Rechten und Linken, das Fremde fremd zu halten, hat dazu geführt, dass sich in Europa islamistische und reaktionär-islamische Milieus herausgebildet haben.

In den meisten europäischen Ländern »überwacht keine NGO, wie oft in einem Mitgliedsstaat ein Ehrenmord begangen wird, wie oft Mädchen beschnitten oder wie viele Mädchen von der Schule abgemeldet und in ein Leben regelrechter Sklaverei gezwungen werden«, stellt Hirsi Ali fest. »Europäische Politiker haben noch nicht begriffen, welches gewaltige Potenzial in der Befreiung muslimischer Frauen liegt.«

Hirsi Ali sympathisierte zunächst mit der Linken, die jedoch in Europa weitgehend vergessen hat, dass die Befreiung hinter der Haustür beginnt und nicht endet. Nun fühlt sie sich beim konservativen American Enterprise Institute wohler. Dort wird zumindest niemand von ihr verlangen, einen Hamburger zu verspeisen, um ihren Integrationswillen zu beweisen, oder sie als unauthentisch schelten, wenn sie den Hamburger dem somalischen Hirsebrei vorzieht.