Holland? Was soll das?

Die Deutschen halten die Niederländer für ziemlich überflüssig. von lesley schneider

Natürlich mischen sich die Deutschen gerne in die Angelegenheiten anderer Länder ein und wissen immer alles besser. Schließlich haben sie eine schwere Vergangenheit und sind Profis im Aufarbeiten von Problemen. Ausgerechnet an den Niederländern aber sind die Deutschen nicht interessiert. Das Land und seine Probleme erscheinen ihnen als zu klein und zu nichtig. Und spätestens seit der Abschaffung der Grenz­kontrollen gelten die Niederlande als eine Art vorgelagerter Strand des Ruhrgebiets, als eine beiläufig eingemeindete Grasfläche ohne Belang.

Mit dem kleinen Königreich verbinden die Deutschen nichts weiter als Käse, Kühe, Tulpen und Campingwagen. Wenn sie auf dem Weg zum Strand durch diesen regenreichen Landstrich fahren, stellen sie fest, dass alle Klischees zutreffen und die Niederlande tatsächlich in erster Linie aus Käse, Kühe, Tulpen und Campingwagen bestehen. Die Holländer wiederum tun alles, um diese Klischees zu bedienen, ohne sich dafür besonders anstrengen zu müssen.

Den Zweiten Weltkrieg nehmen die Deutschen den Niederländern schon lange nicht mehr übel, bloß die Tatsache, dass diese zwar jede Menge Fußballstars hervorgebracht haben, ihre Nationalmannschaft aber nicht in der Lage ist, nur ein einziges Mal irgendetwas zu gewinnen, wird gelegen­tlich auf die Schippe genommen. Es ist kein Hass auf die Niederländer, der die Deutschen spotten lässt, es ist nicht einmal Überheblichkeit. Vielmehr verhält es sich ähnlich wie bei den Ostfriesen, über die man ja auch gerne Witze macht. Man nimmt sie nicht ernst, man ist sich gar nicht sicher, ob sie überhaupt existieren. Der Niederländer ist, wie der Ostfriese oder Klein Erna, vor allem eine literarische Figur.

Das liegt weniger am deutschen Chau­vinismus als vielmehr daran, dass die Niederländer, nachdem sie die halbe Welt erobert und wieder verzockt hatten, als wichtigste Charaktereigenschaft die Bescheidenheit entwickelten. Mithin die Charakter­eigenschaft der Verlierer. Das ist nicht böse gemeint, im Gegenteil, das ist sympathisch, und sympathisch sind die Niederländer ja von Grund auf.

Ihre andere Eigenschaft ist, zumindest der deutschen Wahrnehmung zufolge, die Toleranz, die man aber natürlich auch als Gleichgültigkeit oder, wenn man es wirklich beim Namen nennen will, als Interesselosigkeit bezeichnen muss.

Dass sich die Holländer nach den Morden an Pim Fortuyn und Theo van Gogh wie die Biedermänner aufführten, die gerade bemerken, dass bei ihnen längst die Brandstifter eingezogen sind, liegt vor allem daran, dass sie tatsächlich so kreuzbrave Biedermänner sind, für die das Leben nur zum Abenteuer wird, wenn der Reifen am Wohnmobil platzt. Solange aber der Caravan rollt und solange die Königin jedes Jahr Geburtstag feiert, mag um das Puppenhäuschen herum, in dem der Niederländer lebt, passieren, was will. Nichts wird ihn aus seiner stoischen Ruhe bringen. Die Aufregung nach den Morden glich dem Aufwachen aus einem Albtraum, um sogleich wieder friedlich zu entschlummern. Es war eine künstliche Aufregung im künstlichen Idyll.

Die geordnete Ignoranz und calvinistische Leidenschaftslosigkeit der immerzu freundlichen Niederländer führt jedoch nicht, wie man denken könnte, zu calvinistischer Rückständigkeit. Das unterstellen ihnen die Deutschen zwar gern. Aber die Holländer sind, seit sie keine Entdecker mehr sind, zu fleißigen Erfindern geworden und stellen dank ihres technologischen Vorsprungs zahlreiche wunderbare künstliche Lebensmittel her. Auch sonst ist alles handgemacht, selbst die Landfläche. Dem lieben Gott traut man in Holland nicht über den Weg, ebenso wenig wie der Natur, weshalb gerade Bayern grundsätzlich einen Bogen um das Land machen.

Seit dem Tod von Rudi Carrell ist Holland vollständig aus dem Blick der Deutschen geraten. Mit den Holländern hat man keinen Ärger, sie nerven nicht, aber zu etwas Nutze sind sie auch nicht. Gras gibt’s auch in Berlin an jeder Ecke, dafür muss man nicht nach Groningen fahren. Tschechien ist billiger als das Amsterdamer Rotlichtviertel, und eine Königin zählt nicht viel in einem Land, in dem man einen Führer hatte. Vermutlich werden sich die Deutschen erst wieder an ihre Nachbarn im Westen erinnern, wenn die Fußballeuropameisterschaft ins Haus steht, aber für gewöhnlich braucht man sich auch bei solchen Gelegenheiten nicht allzu lange mit ihnen beschäftigen.