Rap mir die Hymne

HipHopper Ali B. ist Hollands Xavier Naidoo: ein migrantischer Künstler, auf den sich alle einigen können. von markus ströhlein

Gestandene Gangster-Rapper dürften neidisch sein. Denn wovon diese Musiker meist nur sprechen, ist Ali B. tatsächlich gelungen. Der niederländische HipHopper hat es in die Welt der Reichen und Berühmten geschafft. Neben den Figuren von James Brown, Madonna und Robbie Williams, von George W. Bush und Michael Gorbatschow oder von Fußballern wie Frank und Ronald de Boer steht in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in Amsterdam Alis Ebenbild. Das ist außergewöhnlich. Wachsfiguren in Baggypants sind immer noch selten.

Ali B. ist zurzeit der erfolgreichste niederländische HipHop-Musiker. 2001 nahm er zum ersten Mal bei einem Poetry Slam das Mikro in die Hand. 2002 gelangte er in der Kategorie R’n’B / HipHop ins Finale des Großen Preises der Niederlande. Warner Music nahm ihn unter Vertrag. 2003 erschien die erste Single, im Jahr darauf gründete er mit seinem Management ein eigenes Label und brachte die Platte »Ali B. vertelt het leven van de straat« heraus. Im selben Jahr trat er im Vorprogramm des US-amerikanischen Rappers 50 Cent auf und landete mit der Single »Wat zou je doen« auf dem ersten Platz der Charts. 2005 erhielt er zusammen mit seinem Kollegen Yes-R eine eigene Radiosendung und wurde fürs Museum in Wachs gegossen.

Zurzeit arbeitet Ali B. an einem neuen Album, das im Oktober erscheinen soll. Er will nicht mehr ausschließlich das »Leben auf der Straße« besingen. »Auch für mich bleibt die Zeit nicht stehen. Dennoch gibt es auch auf der neuen Platte einige fette Songs für die Straße«, sagt er. Vielleicht wird das Album »De langste adem« heißen, »der längste Atem«. Auch Ali B. muss also Luft holen.

Dass er so erfolgreich ist, verdankt er seiner musikalischen Ausgewogenheit. Selbstverständlich geht es in einigen Songs ruppig zu. Da fällt mitten im holländischen Wortschwall auch mal das englische Wörtchen »Motherfucker«, oder es erklingt ein Verweis auf die Vorzüge des Kiffens. Die Bässe wummern, und die Beats scheppern. Aber die Melodie vergisst Ali B. nie. Bei ihm wird nicht nur gerappt, sondern auch gesungen.

Diese Mischung spricht eine breite Masse an. Die Wirkung seiner Musik ist wohl auch den Betreibern des Wachskabinetts aufgefallen. Sie haben Alis Puppe mit einer besonderen Funktion ausgestattet. Tritt man an sie heran, rappt sie die niederländische Nationalhymne »Het Wilhelmus«. Und noch einen Song hat Ali B. in Sachen der Nation aufgenommen. Für die Fußballweltmeisterschaft hat er das Stück »Wij houden van Oranje« neu aufgelegt. In der Originalversion wurde der Sieg der Holländer bei der Europameisterschaft 1988 besungen. Fast scheint es, als sei der Rapper der typische holländische Junge.

Eigentlich heißt er Ali Bouali. Dass er, der als Kind marokkanischer Einwanderer in der armen »Randstad« Amsterdams aufgewachsen ist, nun plötzlich der Liebling der Leute ist, scheint ihm selbst nicht ganz geheuer zu sein. Dass man ihn in Wachs verewigt hat, kann er sich selbst nicht restlos erklären: »Ich war ziemlich erstaunt und fühlte mich geehrt. Aber ich weiß immer noch nicht, warum sie mich ausgesucht haben. Vielleicht haben sie schlechtes Gras geraucht.«

Auch sein Künstlername ist ein Verweis darauf, dass man in Holland Jugendlichen mit marokkanischem Hintergrund nicht unbedingt unvoreingenommen begegnet. Den Vornamen mit dem Kürzel hat er sich ausgesucht, weil die Medien in dieser anonymisierten Form von marokkanischen Kriminellen berichten. »Das Vorurteil vom bösen Kriminellen macht marokkanischen Jugendlichen das Leben in den Niederlanden schwer. Am Anfang meiner Karriere habe ich an vielen Diskussionen zu diesem Thema teilgenommen«, sagt Ali B.

Dass es in den Niederlanden ein Untergenre des HipHop mit dem Namen MarocHop gibt, ist dem rassistischen Ausfall eines Politikers zu verdanken. Dieser hatte 2002 hinter vorgehaltener Hand, aber vor einem laufenden Mikrofon von den »verdammten Marokkanern« gesprochen. Seine Bemerkung wurde im Fernsehen übertragen.

Der Musiker Raymzter, ebenfalls ein Sohn marokkanischer Einwanderer, veröffentlichte darauf hin die Platte »Kleretmarokkanen«. Seine Raps über die Vorurteile gegen die »verdammten Marokkaner« waren sehr erfolgreich. Hier blitzte der Idealismus des HipHop auf. Man sagt, was Sache ist. Man redet die Wirklichkeit nicht schön. Aus dieser Authentizität kann dann unter Umständen eine einfache, universelle Forderung hervorgehen: Wir wollen genau so behandelt werden wie ihr!

Auch Ali B. glaubt an den HipHop als Mittel, um die sozialen Schranken zwischen den Menschen aufzuheben. »Sehr unterschiedliche Menschen kommen zu meinen Shows. Weiße, Schwarze, Araber, egal welchen Alters. Musik ist eben ein großartiges Medium, um Menschen zu verbinden«, sagt er.

Ganz so schön wie in seiner heilen HipHop-Welt sieht es in der niederländischen Rap-Szene nicht aus. Sie zerfällt in Sub-Milieus. Wer wo dazu gehört, bestimmt die Herkunft. Es gibt den MarocHop. Die Rapper mit schwarzafrikanischem Hintergrund haben ihr eigenes Magazin namens Rumba-Kali. Es gibt Musiker aus Surinam oder Cap Verde. Und es gibt die Holländer. Wenn Ali B. vom Leben auf der Straße erzählt, wird fein unterschieden zwischen den »Schwarzen«, den »Türken«, den »Jugos«, den »Marokkanern«. Die Straße ist ein Ethno-Zoo.

Die Unterscheidung muss man ihm nicht vorwerfen. Wahrscheinlich hat er nur gut beobachtet. Recht ironisch hat sich der MarocHopper Samiro der Verstocktheit seiner Umgebung angenommen. Er rappt in gebrochenem Holländisch über »Couscous«: »Ich habe es satt und will nur noch Couscous. Keine Fritten mit Hähnchen und auch keine Apfelsauce. Ich habe es satt und will nur noch Couscous.«

Bei anderen Bands des MarocHop aber zählt die Forderung nichts, gleich behandelt zu werden. Sie lautet eher: Wir wollen auf keinen Fall so sein wie ihr! »Ihr«, das sind die »Autochthonen«, wie die Holländer ohne Migrationshintergrund im Integrationsdiskurs genannt werden. Gruppen wie die Nieuwe Allochtoonse Generatie oder die Den Haag Connectie haben zudem den Islam für sich entdeckt und schimpfen auf die »Autochthonen«. Da wird die HipHop-Posse schnell zum faschistischen Männerbund mit Sprechgesangsaktivitäten. So hat die Den Haag Connectie Mitte 2004 den Song »Hirsi Ali Dis« veröffentlicht. Der im HipHop übliche »Diss« geriet hier allerdings zur musikalischen Morddrohung gegen die niederländische Politikerin.

Der Text des Stücks ist eindeutig. »Wir bereiten deine Hinrichtung vor«, heißt es da. »Du krebskranker House-Nigger, ich steche dich ab«, wird wenige Zeilen weiter verkündet. »Du warst eine Muslimin, jetzt bist du eine arme Jüdin«, lautet das Urteil.

Dass die selbst ernannten Wächter der »Community« es einem übel nehmen, wenn man ihr den Rücken zukehrt oder sich dem eigenen Fortkommen zuwendet, weiß auch Ali B.: »Mit dem Erfolg zieht man Hass auf sich. Einige Jungs aus meinem Viertel, mit denen ich sogar aufgewachsen bin, haben sich hinter meinem Rücken das Maul über mich zerrissen. Zum Dank habe ich aber einen harten Straßensong abgeliefert.« Und auch wenn die »Straße« schimpft: So schnell wird das Wachs nicht schmelzen.