Zum Tod von Fritz Teufel

Pudding für den Präsidenten

Als Politclown prägte Fritz Teufel das Gesicht der Apo, in der Bewegung 2. Juni kam er in Berührung mit dem bewaffneten Kampf. Ein Nachruf auf den Mann, der mit dem Puddingattentat berühmt wurde.

Es ist ein Name, der den Jüngeren kaum noch etwas sagt. Teufel, Fritz Teufel, wer war das noch? Als Fritz Teufel vergangene Woche im Alter von nur 67 Jahren in einem Berliner Pflegeheim nach langer, schwerer Krankheit starb, erinnerten sich vor allem die Feuilletons der Republik und die Altersgenossen des Verstorbenen an einen Mann, der die Revolte der Achtundsechziger geprägt hat wie kaum einer seiner Mitstreiter. Doch anders als die Kunzelmänner oder Obermeiers und allen voran Rainer Langhans verweigerte sich Fritz Teufel in den vergangenen 20 Jahren dem Re­vival der Studentenbewegung in den Medien. Er widersetzte sich konsequent dem Zugriff der Öffentlichkeit, vermied jede Selbstvermarktung, tauchte ab in die Anonymität des Privatiers und wurde so zu einem fast vergessenen Rebellen.
Dabei ist Fritz Teufel eine zentrale Figur der Studentenbewegung, die das Gesicht der Bundesrepublik bis heute entscheidend verändert hat. Die Adenauer-Ära, das war Schwarz-Weiß, mit Teufel und seinen Kommunarden kam Farbe in das bleierne Nachkriegsdeutschland. Und während Rudi Dutschke für die politischen Themen und Thesen der Apo stand, war Teufel das Aushängeschild des kulturrevolutionär-lebensweltlichen Ansatzes der Studentenbewegung. Mehr als jeder andere verkörperte er die Abkehr von bürgerlichen Idealen, die Hinwendung zum Lotterleben der Kommune, zum Ideal freier Liebe und zu unbewältigten Abwaschbergen, zu einem durch lange Haare und wuchernde Bärte geprägten Erscheinungsbild, zu provokativen Spaßguerilla-Aktionen, zu Respektlosigkeit gegenüber der Obrigkeit. Teufels unerschrockene Frechheit hatte für viele Studierende eine weit größere Anziehungskraft, weit mehr Sex­appeal, als die sprachlich verquasten marxistischen Gesellschaftsanalysen der SDS-Protagonisten. Dutschke der Analytiker, Teufel der Aktionist.
1963 dem heimischen Ludwigsburg nach Berlin entflohen, um Metropolenluft zu schnuppern und Germanistik und Theaterwissenschaft zu studieren, geriet der 19jährige in ein studentische Millieu, in dem es zu brodeln begann. Die unaufgearbeitete Nazi-Vergangenheit, der 1964 beginnende Vietnam-Krieg und das anachronistische Ordinarien-System der Universität sind die Themen, die viele Studenten umtreiben. Über seine Freundin kommt Teufel mit dem SDS und dessen charismatischer Führungsfigur Rudi Dutschke in Berührung, von dem er sofort fasziniert ist. Er lernt Ulrich Enzensberger, den Bruder des Schriftstellers Hans Magnus, und den Polit-Aktionisten Dieter Kunzelmann kennen. Gemeinsam beschließt man, mit einigen weiteren Mitstreitern zusammenzuziehen, um frei von Besitzansprüchen und bürgerlichen Konventionen gemeinsam zu leben und politische Ak­tionen zu planen – im Januar 1967 wird die zunächst noch auf zwei Standorte verteilte »K1«, die Kommune 1, gegründet. Die Selbstveränderung durch Psychoanalyse und die Veränderung der Gesellschaft sind die gleichberechtigten Hauptthemen der Kommune. »Wir glaubten wirklich, die historische politische Fehlentwicklung der naziverseuchten Bundesrepublik korrigieren zu müssen«, erinnerte Teufel sich in seinem letzten Interview. Doch es ist nicht nur der politische Veränderungswille, der Teufel antreibt, sondern vor allem »die unglaubliche Aufbruchsstimmung und diese hippiemäßige Zärtlichkeit«. »Mit einem Ohr habe ich den politischen Diskussionen zugehört, ein anderer Teil von mir wollte lieber schmusen«, hat der Revoluzzer sich einmal selbst erklärt.
Als die Revolte beginnt, ist Teufel, dessen Berufswunsch es ist, humoristischer Schriftsteller zu werden, dabei. Ein vereiteltes »Puddingattentat« der Kommunarden auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey beschert Teufel und seinen Mitstreitern im April 1967 den ersten Kurzaufenthalt in einer Gefängniszelle, aber auch den ersten Medienhype. Die Zeitungen sind voll von Berichten über den geplanten Angriff auf den Politiker, und die Kommunarden sonnen sich von diesem Zeitpunkt an im Image als Bürgerschrecke, als gefürchtete Outlaws mit ständig wachsender Fangemeinde.
Für Teufel, der lange eher stiller Mitläufer als Rampensau auf der Bühne des politischen Aktionstheaters der aufkeimenden Bewegung ist, hält die Geschichte bald eine neue Rolle bereit – die des Märtyrers, oder – wie er selbst es nannte – als »Humorist mit Sitzfleisch«. An jenem 2. Juni, als der Student Benno Ohnesorg auf einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras von hinten in »Notwehr« erschossen wird, fährt Teufel als vermeintlicher Steinewerfer in den Knast ein. Während Kurras nicht einen Tag im Gefängnis verbringt und später freigesprochen wird, verschwindet Teufel mehr als 150 Tage in einer Moabiter Zelle. Dass Justitia hier mit zweierlei Maß misst, ist so augenfällig, dass eine breite Solidaritätsbewegung für die Freilassung Teufels entsteht. Unter Führung von Dutschke demonstrieren 1 000 Studenten für die Freilassung Teufels, 200 von ihnen treten in den Hungerstreik, und sogar die liberale Presse schlägt sich auf die Seite der Studenten, da Zeugenaussagen Teufels Unschuld längst belegt haben. Als Teufel am 22. Dezember freikommt, ist er längst ein Popstar der Bewegung. »Meine Aufgabe in der K1 bestand darin, im Gefängnis zu sitzen«, hat Teufel diese Zeit später zusammengefasst, um dann hinzuzufügen: »Solidarität, das ist eine Droge, die high macht, andererseits auch abhängig. Man war im Dauerrausch. Das war ein Kick, aber auch zuviel der Ehre für einen jungen Mann.«
Und auch Verpflichtung. Die Bewegung erwartet nun immer neue spektakuläre Aktionen von Teufel und seinen Mitstreitern. Und Teufel liefert. In mehreren gegen ihn laufenden Gerichtsverfahren spielt er in legendären Rede­duellen mit seinen Richtern Katz und Maus, entlarvt schlagfertig und mit spitzer Zunge ihr obrigkeitsstaatliches Rechtsverständnis, das seine Wurzeln im Dritten Reich hat. Als ein Richter Teufel auffordert, sich zu erheben, seufzt er seinen bekanntesten Ausspruch in den Gerichtssaal: »Wenn’s der Wahrheitsfindung dient.« Ein Satz, der seitdem millionenfach zitiert wurde, wenn die Sinnlosigkeit von Ritualen bloßgestellt werden soll. »Fritz Teufel hat Justizgeschichte geschrieben, ihn hat es wie den Michael Kohlhaas gebraucht«, so hat es der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler einmal auf den Punkt gebracht.
Doch jeder Dauerrausch ebbt irgendwann ab, jede Eulenspiegelei hat sich irgendwann verbraucht. Als die Apo an Kraft verliert, ihre Pro­tagonisten sich in politische Grüppchen aufsplittern und beginnen, die Frage des Marschs durch die Institutionen, aber auch die des bewaffneten Kampfes zu diskutieren, ist es auch für Teufel mit dem Spaß vorbei. Rudi Dutschke Opfer eines Attentats, Andreas Baader, der in der Kommune ein- und ausging, zusammen mit Gudrun Ensslin erst hinter Gittern, dann entflohen und in die Illegalität abgetaucht und eine Politik, die mit Notstandsgesetzen auf die Studentenrevolte antwortet – all das ist nicht komisch. Als Teufel Anfang 1970 selbst den Weg in den Untergrund antritt, tut er das nicht ohne programmatische Erklärung. »Der Clown Teufel ist tot«, erklärt er einer Tageszeitung, und einem Fernsehmagazin sagt er: »Die großen Auftritte in der Öffentlichkeit haben uns keinen Deut weitergebracht. Jetzt muss es krachen, diese Gesellschaft muss zerbrechen.« Teufel, inzwischen nach München seiner neuen Liebe Irmgard Möller hinterhergezogen, kündigt an, fortan im Verborgenen »die Revolution vorzubereiten«.
Fünf Jahre später, im September 1975, taucht Teufel wieder auf: Er hat eine durchgeladene Pistole im Hosenbund, als er unter dem Vorwurf verhaftet wird, als Mitglied der Bewegung 2. Juni am Überfall auf mehrere Banken der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz beteiligt gewesen zu sein.
Fünf Jahre dauert der Prozess gegen Teufel und die anderen Beschuldigten, fünf lange Jahre, in denen zahlreiche Haftschikanen, aber auch die selbst auferlegten Hungerstreiks und die Konflikte zwischen den Angeklagten Teufel zu zerbrechen drohen. Erst ganz am Ende des Verfahrens, als die Staatsanwaltschaft Teufel in ihren »Blödoyers« (Teufel) zum überführten Entführer gestempelt hat, präsentiert dieser ein hieb- und stichfestes Alibi für die ihm mitangelastete Lorenz-Entführung. Während der Tatzeit hat er nachweislich unter falschem Namen in einer Essener Klodeckelfabrik gearbeitet. Die Staatsanwaltschaft ist bis auf die Knochen blamiert. Er habe zeigen wollen, »wie ein Angeklagter für definitiv nicht begangene Taten vorver­urteilt wurde und wie das ganze System funktionierte«, begründet Teufel sein langes Schweigen.
Für die ihm zur Last gelegten Banküberfälle präsentiert er dem verblüfften Gericht einen bis dahin unbekannten juristischen Fachbegriff, das B-Libi – »ein Alibi minderer Qualität, das der Angeklagte nicht beweisen, die Anklage es aber auch nicht widerlegen kann«. Auch das B-Libi kommt durch, und Teufel verlässt den Gerichtssaal als freier Mann.
Für Teufel eine Zäsur. Gesundheitlich von insgesamt acht Jahren Knastalltag angegriffen, hat er erkannt, dass er, der weiche, ständig witzelnde Rebell, für den bewaffneten Kampf nicht geeignet ist und dieser nicht dafür, die Republik nachhaltig zu verändern. Er zieht sich Schritt für Schritt aus der Bewegung zurück, geht in regelmäßigen Taz-Kolumnen seinem früheren Berufswunsch des humoristischen Schriftstellers nach, arbeitet als Vollkornbbäcker und Fahrradkurier, reist mit dem Rad quer durch Europa. Von seiner politischen Vergangenheit – weder der clownesken noch der militanten – distanziert er sich nie; er legt sie einfach ab wie einen Mantel, der nicht mehr passt. Nur einmal noch wählt er die große mediale Bühne, gibt ein letztes Mal den Bürgerschreck, als er im Feb­ruar 1982 in einer Talkshow vor laufenden Kameras den damaligen Finanzminister Hans Matthöfer vor laufender Kamera per Spritzpistole mit Tinte besudelt und dafür von dem SPD-Politiker mit Wein übergossen wird. Danach gibt er kaum noch Interviews und zieht sich – seit Ende der neunziger Jahre zunehmend durch die Parkinson-Krankheit gezeichnet, die ihn 2006 in einen Suizidversuch treibt – aus der Öffentlichkeit zurück. Journalisten meidet Teufel wie das Weihwasser, nicht unfroh darüber, dass er nicht wieder und wieder über die alten, wilden Zeiten sprechen muss. Die letzten Jahre lebt er mit seiner Freundin Helene Lollo von einer kleinen Rente im Berliner Wedding, genügsam, fast verarmt, und ohne je über seine Krankheit und das fehlende Geld zu klagen.
Über sein Leben hat Teufel der Taz einmal gesagt: »Ich wollte, dass es abenteuerlich wird.« Das ist gelungen.

Marco Carini ist Verfasser von »Wenn’s der Wahrheitsfindung dient« (Konkret Literatur Verlag), der einzigen Biografie über Fritz Teufel.