In Berlin gibt es normale Israelis und meschuggene

Die Irren von Zion

Die israelische Community in der Hauptstadt hat ein Problem: Anti­zionistische Polittrolle bestimmen oftmals ihr Bild in der Öffentlichkeit.

Das »Schwulenzentrum« in Berlin-Neukölln, kurz »Schwuz«, gilt als ein Ort, an dem man einander mit Respekt begegnet – normalerweise jedenfalls. Nicht jedoch, wenn Israel auf dem Programm steht. So wie am 20. Januar, als im Rahmen der von Patsy l’Amour laLove organisierten Veranstaltung »­Polymorphia – die Trümmertuntennacht« ein Vortrag zum Thema »Pinkwashing Israel« angekündigt war, in dem der Journalist und Jungle World-Autor Frederik Schindler sich kritisch mit dem Vorwurf auseinandersetzte, ­Israel schütze die Rechte von Schwulen, Lesben und anderen LGBTI-Menschen nur, um vom eigenen Fehlverhalten in den sogenannter besetzten Gebieten abzulenken. Eine Gruppe »Pinkwashing-Aktivisten«, eng verbunden mit der hiesigen Fraktion der antisemitischen »Boykott, Desinvestition und Sank­tionen«-Bewegung, kurz BDS, beleidigte Referent und Publikum als »alte, schwule und weiße Männer«, die aufgrund ihrer Herkunft kein Recht hätten, sich zu der Materie zu äußern. Auch ansonsten verhielt die Gruppe sich reichlich übergriffig, was das Schwuz erstaunlicherweise mit dem Angebot honorierte, ihr demnächst ebenfalls ein Forum zu bieten. Das eigentlich Überraschende an dem Vorfall aber ist die Tatsache, dass die Mehrzahl dieser Störer selbst Israelis waren. Sie inszenierten sich dabei äußerst geschichtsvergessen als »Dissidenten« und seien, wie die Künstlerin Liad Hussein Kantorowicz mehrfach lautstark verkündete, aufgrund ihrer oppositionellen Haltung »aus Israel vertrieben worden«.
Exemplarisch zeigte sich im Schwuz, was nicht selten für ganz Berlin zu kon­statieren ist: Antizionistische linke Israelis fordern für sich die Deutungshoheit im hiesigen Diskurs über den jüdischen Staat und verhängen Sprechverbote. Dabei agieren sie stets nach dem gleichen Muster. Diskussionen über Inhalte finden nicht statt und werden durch Aktionen wie beispielsweise das mitunter gewaltsame Stören von LGBTI-Stadtfesten ersetzt, sobald sich Vertreter ­Israels angekündigt haben. »Pinkwashing-Aktivisten« packen in der U-Bahn auch schon mal Brotmesser sowie Scheren aus und fuchteln damit vor anderen Fahrgästen rum. Auf diese Weise will man, wie es auf dem Facebook-Profil von Kantorowicz zu lesen ist, »weiße Privilegien« herausfordern.
Nun ließen sich derartige »Trolle« – so nannte sie kürzlich Till Amelung in einem Kommentar auf dem Portal Queer.de – geflissentlich ignorieren, wenn da nicht deutsche Medien und Institutionen wären, die sich mit Begeisterung auf diese Leute stürzen. Gerade erst widmete ihnen das Israel-­Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf seiner Internetseite reichlich Platz und präsentierte ihre persönlichen Leidensgeschichten. Und in zahlreichen Zeitungsberichten und Fernsehsendungen über Israelis in Berlin kommen überwiegend diejenigen zu Wort, die sich als »Regimekritiker« in Pose werfen. Sie hätten der israelischen Gesellschaft, die sich nach den Worten des BDS-Propagandisten Yossi Bartal sowieso »am Rande der Apokalypse bewegt«, den Rücken gekehrt, um endlich unbeschwert und frei in Deutschland leben zu können. Vielen deutschen Israelhassern von links und rechts dienen sie damit bewusst oder unbewusst als Stichwortgeber. Aber Kontexte sind ihnen so egal wie der Schaden, den sie anrichten und der auch für deutsche Juden manchmal spürbar ist.
Nicht wenige Israelis, die ebenfalls in Berlin leben, sind mittlerweile davon genervt. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Schätzungen variieren zwischen 10 000 und 30 000 Israelis in Berlin – entsprechend unterschiedlich sind ihre Geschichten und ihre Gründe, hier zu leben. »Aber innerhalb der israelischen Community sind diese radikalen Anti­zionisten nur eine verschwindend kleine Minderheit, die aus den politisch ohnehin eher links eingestellten akademischen und künstlerischen Milieus stammt«, sagt Tomer Friedler im Gespräch mit der Jungle World. Er selbst habe mit Kritik an Israel kein Problem, attestiert dieser Szene in Berlin aber ganz andere Motive. »Sie sind sehr lautstark und haben das Israel-Bashing als Methode entdeckt, genau die Aufmerksamkeit zu bekommen, die sie in Tel Aviv oder Jerusalem nie hätten«, so der 25jährige Medizinstudent aus Kiryat ­Bialik nördlich von Haifa. »Zudem scheinen sie darin eine Möglichkeit zu sehen, sich in eine Gesellschaft zu in­tegrieren, die den jüdischen Staat ohnehin negativ sieht.« Dabei hätten sie sich in einer Art Filterblase formiert. Sie behaupteten zwar von sich, dass man ihnen in Israel den Mund verbiete, zeigten selbst aber keinerlei Bereitschaft, abweichende Meinung zu tolerieren. »Eher das Gegenteil ist der Fall«, sagt Friedler. »Man wird dann Straßenratte genannt und als zionistischer Faschist diffamiert.« In klarer Abgrenzung zu diesen »Irren von Zion«, wie manche sie nennen, hat sich auf Facebook sogar eine Gruppe israelischer Expats gebildet, die sich »Normale Israelis in Berlin« nennt. Die Existenz der antizionistischen Polit­trolle beweist, dass »Israelis in Berlin« nicht nur ein Thema für das Feuilleton ist.