Der linke Präsidentschaftskandidat López Obrador wird in Mexiko auch von klerikalen Rechten und Unternehmern unterstützt

Mexikanische Querfront

Die Chancen des linken Kandidaten Andrés Manuel López Obrador bei den Präsidentschaftswahlen in Mexiko stehen gut. Doch in seinem Wahlbündnis findet sich eine evangelikale rechte Partei, sein politisches Programm ist verwaschen.

Andrés Manuel López Obrador wird am ersten Julisonntag zum dritten Mal in Folge bei Präsidentschaftswahlen antreten. Noch nie war er einem Sieg ­näher. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Mitofsky von ­Anfang Juni kam er auf 47,8 Prozent der Stimmen – 21 Prozentpunkte Vorsprung vor dem zweitplatzierten Ricardo ­Anaya, dem Kandidaten des konservativen Partido Acción Nacional (PAN). Die politischen Fronten in Mexiko sind verhärtet. Sie verlaufen aber weniger als noch vor sechs beziehungsweise zwölf Jahren entlang ideologischer Linien. Begleitet wird die Zeit vor der Wahl von extremer Gewalt. Seit September wurden über 120 Politikerinnen und Politiker aller Parteien ermordet. 2017 wurden in Mexiko nach offiziellen Angaben 29 168 Menschen ermordet, dieses Jahr scheinen es noch mehr zu werden: Im Schnitt werden derzeit 90 Morde pro Tag verübt. Im April wurden offiziell 70 Feminizide registriert. Das organisierte Verbrechen, staatliche und nichtstaatliche Banden terrorisieren das Land.

Folgt man der López Obrador wohlgesinnten Presse inner- und außerhalb Mexikos, scheint es bisweilen, als wäre die »Erneuerung der Nation«, die das Akronym seiner Partei Morena verspricht, nach dessen Wahlsieg wirklich möglich. Seine Gegner warnen hin­gegen vor ihm als einem Wiedergänger von Hugo Chávez. Im Gegensatz zu den anderen Präsidentschaftskandidaten stand López Obrador nie unter ­Korruptionsverdacht. Er gilt als ehrlich, bescheiden und aufrichtig – für mexikanische Parteipolitikerinnen und -politiker zweifellos außergewöhnlich. Seine politischen Allianzen und sein Programm sowie der Handlungsspielraum, über den ein Staatspräsident heutzu­tage in Mexiko verfügt, finden allerdings oft zu wenig Beachtung.

López Obrador, der nicht müde wurde, die regierenden Parteien und deren Umfeld als »Mafia der Macht« zu denunzieren, versammelt nun Teile jener »Mafia« um sich.

Im Dezember verband López Obradors Partei Morena sich mit der evangelikalen Partei der Sozialen Begegnung (PES). Zusammen mit der Partei der ­Arbeit (PT) gründeten sie die Wahlallianz »Juntos haremos historia« (Zusammen machen wir Geschichte). Im PES finden sich zahlreiche Homophobe und Abtreibungsgegner. Neben der Präsidentschaftswahl finden an diesem Tag auch die Wahlen für Senat und Abgeordnetenkammer auf Bundes- und Landesebene, acht Gouverneurs- und 1 596  Bürgermeisterämter statt. Der PES dürfte dabei eine nicht unbedeutende Anzahl Mandate erlangen.

Menschenrechtsorganisationen befürchten, das Bündnis mit dem PES könnte die neue Regierung dazu drängen, bereits erreichte soziale Rechte wieder zurückzunehmen. Zuletzt bemängelten UN-Institutionen wie ­UNHCR, UN Women, ILO und weitere, dass weder López Obrador noch die ­anderen Präsidentschaftskandidaten über eine politisches Programm ver­fügen, »um die Rechte der mexikanischen Frauen und Mädchen zu gewährleisten«.

 

López Obrador, der nicht müde wurde, die regierenden Parteien und deren Umfeld als »Mafia der Macht« zu denunzieren, versammelt nun Teile jener »Mafia« um sich. Dazu gehört Julián Leyzaola Pérez aus der Grenzstadt ­Tijuana, der für die Abgeordnetenkammer kandidieren wird. Er war Oberstleutnant im Militär und wird von Amnesty International der Folter beschuldigt. Auch wenn López Obrador ihn nicht als Kandidaten ernannt hat, steht er als politischer Anführer in der Verantwortung. Zu López Obradors Verbündeten gehören auch einige Vertreter der mexikanischen ökonomischen Führungsschicht. Vor zwölf Jahren wurde López Obrador als Präsidentschaftskandidat der linken Partei PRD von dieser Oligarchie noch dämonisiert. Der 64jährige steht für eine sozialdemokratische, wohlfahrtsstaatliche und protektionistische Politik. Seit den achtziger Jahren haben wirtschafts­liberale Reformen den Wohlfahrtsstaat in Mexiko zurückgedrängt. López Obrador verspricht, einen am Gemeinwohl orientierten Staat wiederherzustellen. Er wird stärker als seine Vorgänger zwischen den sozialen Klassen vermitteln, um die Armut zu lindern, die Widersprüche dürften sich dennoch weiter zuspitzen.

López Obrador beruft sich auf seine Amtszeit als Bürgermeister der Megametropole Mexiko-Stadt von 2000 bis 2005. Der Modernisierer rief Sozial­programme ins Leben und ließ sich in zwei Volksentscheiden seine Politik ­bestätigen. In seiner Amtszeit wurde das historische Zentrum der Hauptstadt aufgewertet, was einen Anstieg der Immobilien- und Bodenpreise nach sich zog. Heute befindet sich dort die größte Ansammlung kolonialer Bauten Lateinamerikas – eine lukrative Investitionsmöglichkeit für privates Kapital. Ärmere Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt wurden verdrängt. Seine ehemaligen Parteifreunde vom PRD erließen später repressive Sicherheitsgesetze und rüsteten den Polizeiapparat auf. Auch dafür hatte López Obrador damals den Grundstein gelegt.

Über den wirtschaftsliberalen Kurs des derzeitigen Präsidenten Enrique Peña Nieto heißt es in dem 461 Seiten umfassenden Programm »Projekt für die Nation« von López Obrador, die Ideen seien gut, die Umsetzung aber sei schlecht. Der Staat soll in bestimmten Bereichen gestärkt werden. So soll der Agrarsektor besonders gefördert werden, damit das Land schrittweise wieder Ernährungssouveränität erlangt. Die Strukturreformen zur Öffnung des Erdölsektors sollen wieder zurückgenommen werden. Ambitionierte Pläne gibt es auch für die Jugend. Rund 200 000 junge Mexikanerinnen und Mexikaner sollen in ihrer unternehmerischen Selbsttätigkeit gefördert und das Schulwesen soll ausgebaut werden. Für das gesamte nördliche Grenzgebiet zu den USA werden Freihandelszonen vorgeschlagen.

Die Vorstellung, der Präsident könne von oben die Geschicke eines ganzen Landes bestimmen, die viele Linke nun offenbar auf López Obradors Sieg hoffen lässt, hat ihren Ursprung in der jahrzehntelangen Herrschaft des Partido Revolucionario Institucional (PRI). Über 70 Jahre lang regierte die Partei ununterbrochen und auf nahezu absolutistische Weise das Land. Doch dieses System mit einem starken Präsidenten, der auf umfassende korporativistische Strukturen zurückgreifen kann, die es erlauben, seine Interessen und die seiner Partei durchzusetzen, existiert spätestens seit der Jahrtausendwende nicht mehr.

2000 verlor der PRI die Wahlen und seither wurden Entscheidungsbefugnisse auf die Gouverneure und ­untere Regierungsebenen verlagert, Mexiko wurde dezentralisiert. Damit wurden auch Verbindungen zwischen staatlichen Strukturen und dem organisierten Verbrechen aufgebrochen, was zu Verteilungskämpfen zwischen verschiedenen Fraktionen und dem Erstarken neuer krimineller Kartelle führte. Auch die systematische Korruption hat sich mehr auf die unteren Staatsebenen verschoben, die Auseinandersetzungen um Machtansprüche werden also keineswegs abebben. Dass die der Gewalt zugrundeliegenden Probleme ­angegangen werden, ist fraglich. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Derzeit geht es der Parteilinken vor allem darum, die Macht zu erringen.