Die Bundesregierung betreibt Indus­triepolitik bei der Künstlichen Intelligenz

Politik für die Maschinen

Die Bundesregierung will Deutschland bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz an die Weltspitze bringen. Das erscheint notwendig für den Erfolg in der Standortkonkurrenz.

Bei Diskussionen über künstliche Intelligenz (KI) geht es schnell um die ganz großen Fragen: Wie menschlich werden Computer wirklich denken können? Lässt sich die Entwicklung selbstlernender Maschinen überhaupt kontrollieren? Und wann kommt endlich der vollautomatisierte Luxuskommunismus?

Die Bundesregierung nimmt sich des Themas freilich unter dem Gesichtspunkt der Standort- und Industriepo­litik an. Schon jetzt spielen selbstlernende Maschinen in vielen Wirtschafts­bereichen eine wichtige Rolle. Unternehmen und Staaten investieren ­Milliarden, denn das Potential der Technologie scheint unermesslich zu sein. Künstliche Intelligenz sei »keine Innovation wie viele andere«, schrieb Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kürzlich in einem Beitrag für das Handelsblatt, vielmehr werde die KI »schon in wenigen Jahren alle Wirtschafts- und Lebensbereiche durchdrungen haben«.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) regte den Aufbau eines europäischen Künstliche-Intelligenz-Konzerns nach dem Vorbild von Airbus an.

Die Bundesregierung hat nun »Eckpunkte für eine Strategie Künstliche ­Intelligenz« beschlossen. Ziel sei es, heißt es in dem vor zwei Wochen vorgestellten Papier, Deutschland »zum weltweit führenden Standort für KI« zu machen. Dazu will die Regierung die KI-Forschung in Deutschland »deutlich ausbauen« und ein nationales KI-Forschungskonsortium gründen, das alle Forschungseinrichtungen vernetzt.

Vor allem aber müsse sichergestellt werden, dass das Know-how auch »in Wertschöpfung umgemünzt« werde. »Wir werden deshalb einen Schwerpunkt unseres Handelns auf den Transfer von Forschungsergebnissen und ­KI-Methoden in die Wirtschaft legen«, heißt es in dem Papier. Altmaier schreibt, eine Studie seines Ministeriums beziffere »die durch KI beeinflusste zusätzliche Bruttowertschöpfung allein des produzierenden Ge­werbes in den nächsten fünf Jahren auf rund 32 Milliarden Euro«.

Dass sich die Bundesregierung so für das Thema interessiert, liegt auch am Druck der internationalen Konkurrenz. Fast alle Industriestaaten haben bereits ähnliche Strategien für eine KI-Politik entworfen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat im März Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro angekündigt, um Frankreich zu einer führenden KI-Macht zu machen.
Vor allem China aber gibt das Tempo vor. Die Entwicklung von KI steht im Zentrum seiner staatlich forcierten Entwicklungsstrategie. Das Ziel ist es, bis 2030 weltweit führend in dem Sektor zu werden. »Wir waren in Deutschland über viele Jahrhunderte gewohnt, technische Innovationen mit oder als erste herzustellen«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einer von der Wirtschaftswoche veranstalteten Konferenz Ende Juni. »Das ist heute nicht mehr so und das sollte uns umtreiben.«

Unangefochten führend sind bei der künstlichen Intelligenz allerdings immer noch die USA, genauer gesagt deren große Softwareunternehmen wie der Google-Mutterkonzern Alphabet, Facebook oder Amazon. Die Firmen aus dem Silicon Valley haben nicht nur die weltweit führenden Entwicklungsabteilungen, sie können auch vielversprechende KI-Start-ups aufkaufen, und sie ziehen Entwicklertalente aus der ganzen Welt an. »Die großen Internetkonzerne versuchen wirklich, da ein Marktmonopol zu errichten«, sagte Merkel im Juni.

Konsumentinnen und Konsumenten sind beim Betrachten ihrer Social-­Media-Feeds bereits jetzt unmittelbar mit der Arbeit selbstlernender Com­puterprogramme konfrontiert. Diese wählen aus, was Milliarden Menschen jeden Tag auf ihren Smartphones sehen. Die Verwertung der privaten Nutzer­daten war einer der wichtigsten Faktoren für die kommerzielle Entwicklung der KI-Technologie. Die ­Daten befinden sich im Besitz der Silicon-Valley-­Konzerne oder ihrer chinesischen Konkurrenten wie Alibaba, Baidu oder dem Unternehmen Ten­cent, das die Internetaktivitäten von fast einer Milliarde Kunden aufzeichnet. Die ­relativ strengen Datenschutzgesetze in der EU ­stellen bei diesem Konkurrenzkampf einen Standortnachteil gegenüber den USA und besonders China dar. Der KI-Strategie der Bundesregierung ­zufolge will man künftig aber mehr Daten von Behörden, Ämtern, Uni­versitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen der wirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung stellen.

Eine Studie der Consulting-Firma McKinsey kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die KI vor allem zwei Wirtschaftsbereiche in den kommenden Jahren umkrempeln werde: konsumentenbezogen das personalisierte Marketing und firmenbezogen das ­Management von Lieferketten und der Industrieproduktion. Die Bundes­regierung gibt in ihren Überlegungen zur KI-Strategie unumwunden zu, dass im ersten Bereich deutsche Firmen gegen die »weltweite Dominanz« der US-amerikanischen und asiatischen Konkurrenz bereits chancenlos seien. Es gelte, sich auf den zweiten Bereich zu konzentrieren, den Einsatz von KI zur Steuerung von Geschäftsprozessen und Produktionsketten. Hier stehe der Wettbewerb erst am Anfang und außerdem habe Deutschland mit seinen weltweit führenden Firmen im Bereich des Maschinenbaus, der Robotik und der Automatisierung von Industrieproduktion eine hervorragende Ausgangsposition.

 

Deutsche Roboterhersteller, die bereits jetzt in China und in den USA ziemlich gut verdienen – der Abteilung »Robotik und Automation« des »Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau« zufolge wuchs die Branche seit 2010 um etwa zehn Prozent jährlich –, sollen auch im KI-Zeitalter ihre führende Position behalten. Das ist das erklärte Ziel nicht nur der Bundes­regierung, sondern auch von Branchenführern wie dem Softwarekonzern SAP.

In einem SAP-Strategiepapier vom Februar geht es auch noch um ein anderes Problem: Expertenschätzungen ­zufolge dürften künftig zwischen fünf und 47 Prozent der heutzutage bestehenden Berufe durch KI wegrationalisiert werden. Das könne schlecht für die »soziale Akzeptanz« von KI sein. Die Industrie müsse deshalb »Vertrauen in diese Technologien schaffen«, so Bernd Leukert vom SAP-Vorstand. Im Strategiepapier der Bundesregierung ist die Rede von einer »Organisation gesellschaftlicher Dialoge über den Umgang mit KI«. Auch eine »Begleitung von sozialpartnerschaftlichen Dialogen bei der nachhaltigen Integration von KI in die Arbeitswelt« kündigte die ­Regierung an. Angesichts der Notwendigkeit des umfassenden Einsatzes von KI für den Erfolg des deutschen Wirtschaftsstandorts ist die vorausschauende Befriedung möglicher gesellschaftlicher Gegenreaktionen Teil der nationalen KI-Strategie.

Europa müsse zusammenhalten, um angesichts der Entwicklungen künstlicher Intelligenz seine Interessen auch global gegen die Riesen USA und China vertreten zu können, sagte Macron im März dem US-amerikanischen Technologiemagazin Wired. Es werde »Kämpfe um die Souveränität geben, die Technologie zu regulieren«, so Macron. »Es wird Handels- und Innovationskämpfe geben, wie auch in anderen Sektoren.« Auch die Bundesregierung postulierte: »Deutschland kann im internationalen Wettbewerb langfristig nur als Teil ­eines europäischen Ansatzes bestehen.«

Wirtschaftsminister Altmaier hatte deshalb Anfang Juli den Aufbau eines europäischen KI-Konzerns nach dem Vorbild von Airbus angeregt, um besonders bei selbststeuernden Autos mit Giganten wie Google konkurrieren zu können. So will die Bundesregierung verhindern, dass Deutschland bei den Entwicklungen der kommenden ­Jahre ins Hintertreffen gerät. Durch den sprunghaften Fortschritt in der Computertechnologie würden »weltweit die ›Claims‹ neu abgesteckt«, so Altmaier. Der Minister warnte: »Aus bisherigen Verlierern der Globalisierung können Gewinner werden – und umgekehrt.«