Friedensabkommens mit der Guerilla Farc in Kolumbien

»Es fehlt das Bekenntnis zur Agrarreform«

Interview Von Knut Henkel

Alirio Uribe Muñoz, Menschenrechtsanwalt, über die Implementierung des Friedensabkommens mit der Guerilla Farc in Kolumbien.

Sie haben vier Jahre lang den Friedensprozess mit der Guerilla Farc aus der parlamentarischen Perspektive begleitet. Unter Präsident Juan Manuel Santos (2010 bis 2018) wurde 2016 ein Friedensabkommen mit den Farc geschlossen. Seit August ist Iván Duque Präsident und es sieht nicht nach einer Befriedung Kolumbiens aus, oder?
Das ist leider richtig, aber nach dem Ausgang der Wahl im vergangenen Jahr auch nicht überraschend. Die Zahl der Morde an sozialen Aktivisten, Umweltschützern und Menschenrechtsver­teidigern ist nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags mit den Farc im November 2016 stetig angestiegen und hat 2018 ein alarmierendes Ausmaß erreicht.

Dem jüngsten Bericht der Menschenrechtsorganisation »Somos Defen­sores« zufolge hat die Zahl der Morde im Jahr 2018 um mehr als 40 Prozent zugenommen. 2017 wurden 106 Morde an politischen und sozialen Aktivisten registriert, 2018 waren es 155. Gibt es einen Zusammenhang mit der schleppenden Implementierung des Friedensabkommens?
Ja. Was in Kolumbien derzeit passiert, haben wir letztlich geahnt. Es war absehbar, seit dem Scheitern des Plebiszits über das Friedensabkommen und dem heftigen Widerstand der extremen Rechten innerhalb und außerhalb des Parlaments gegen dieses Abkommen. Das Abstimmungsergebnis (50,2 Prozent derer, die abstimmten, lehnten das Abkommen im Referendum Anfang Oktober 2016 ab, Anm. d. Red.), das nicht zuletzt wegen einer auf Fehlinformationen basierenden Kampagne zustande gekommen ist, wurde als Instrument gegen die Implementierung des ausgehandelten Abkommens genutzt. Danach nahm die Kampagne weiter an Fahrt auf. Erst wurde das Friedensabkommen im Parlament auseinandergenommen und modifiziert, dann gewann die rechtskonservative Partei Centro Democrático mit Iván Duque die Präsidentschaftswahlen. Wen überrascht es jetzt noch, das bei der Implementierung des Abkommens keine Fortschritte gemacht werden?

Am 7. August vergangenen Jahres wurde Duque als neuer Präsident vereidigt. In seiner Vereidigungs­rede lobte der Senatspräsident Ernesto Macías Tovar den ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, einen entschiedenen Gegner des Friedensabkommens mit den Farc und mittlerweile Senator für den Centro Democrático, und sparte nicht an heftiger Kritik am scheidenden Präsidenten Santos, der das ­Abkommen ausgehandelt hatte. Schien es damals, als würde Duque die Politik Uribes fortführen?
Ja. Doch Duque verlor an Popularität, seine Zustimmungswerte bei den Wählern sackten von 70 auf 30 Prozent. Zu diesem Popularitätsverlust beigetragen hat die Kritik von der Linken und aus der Mitte der Gesellschaft. Sie kritisieren Duque dafür, dass er das Friedensabkommen nicht implementiert. Die extreme Rechte kritisierte ihn wiederum dafür, dass er es nicht zerrissen hat, wie im Wahlkampf angekündigt. Duque geriet unter Druck. Dann spitzte sich der Konflikt in Venezuela zu, hinzu kam der Angriff der Guerilla ELN auf die Polizeiakademie in Bogotá Mitte Januar. Seitdem präsentiert sich Duque als Hardliner à la Uribe. Der nationale Entwicklungsplan der neuen kolumbianischen Regierung ist dafür das beste Beispiel. Zum einen kommt sie darin den evangelikalen Kirchen weit entgegen, da ein Bekenntnis zur Familie ebenso enthalten ist wie eines zur Wahrung von Privatbesitz und Tradition. Der Plan greift auch auf die Strategie der »demokratischen Sicherheit« von Uribe zurück, dazu gehört etwa die Wiederauflage eines nationalen Spitzelsystems.

Inwieweit gibt es Widersprüche ­zwischen dem nationalen Entwicklungsplan und dem Friedensab­kommen?
Konkret gibt es diese bei der Bekämpfung des Drogenanbaus, denn das Friedensabkommen setzt auf freiwillige Konzepte mit sozialen Rahmenprogrammen, der Entwicklungsplan hingegen auf Repression gegen die anbauenden Bauern und die Konsumenten – nicht gegen die Glieder der Kette dazwischen. Dabei soll nach dem Willen der Regierung auch die Besprühung der Anbaufelder aus der Luft mit Glyphosat wieder aufgenommen werden. Darüber haben allerdings die Gerichte zu entscheiden.
Doch es fehlt auch das Bekenntnis zur Agrarreform, zur Rückgabe von Land und damit zu einem Kernelement des Friedensabkommens. Gefördert werden soll hingegen der Bergbau, und das in der Verfassung verbriefte Recht der Bevölkerung auf eine öffentliche Befragung vor Bergbauprojekten wurde eingeschränkt. Positiv ist immerhin, dass die Regierung keine Mehrheit im Parlament hat. Sie muss Mehrheiten generieren, und da es in Kolumbien durchaus Tradition hat, Stimmen durch Gefälligkeiten und auch Geld zu besorgen, muss Duque Angebote machen.

Ein für die Opfer des bewaffneten Konflikts sehr wichtiges Instrument ist die Unidad de Búsqueda de Per­sonas Desaparecidas (UBPD), die ­Sucheinheit für Verschwundene. Sie hat bisher nur in Ansätzen ihre Arbeit aufgenommen. Warum?
Es gab eine ganze Reihe von Verzögerungen auf bürokratischer und finanzieller Ebene. Es gibt deutlich weniger Mittel im Etat, was auch andere Institutionen betrifft, die mit dem Friedens­abkommen geschaffen wurden, wie die Sonderjustiz für den Frieden (JEP), die Wahrheitskommission oder die Initiativen zur historischen Erinnerung. Aber die UBPD arbeitet, das ist gut. Schlecht ist natürlich, dass es Restriktionen gibt.
Gravierend ist für mich die Tatsache, dass im Kontext der JEP die Frage nach der Verantwortung Dritter, von Unternehmen, Großgrundbesitzern und anderen Akteuren, immer weiter in den Hintergrund gerückt ist. Das ist ein harter Rückschlag, wenn man die Frage nach den Verantwortlichen stellen will, und die ist für mich essentiell. In diesem Zusammenhang stellen manche Beobachter auch die Kompetenz der JEP in Frage, was fast schon an eine Kampagne gegen die Sonderjustiz erinnert.

Welche Rolle spielt der internationale Rückhalt für die Implementierung des Friedensabkommens – fehlt es daran?
Nein, wir haben internationale Organisationen wie die UN, die den Prozess beobachten. Der internationale Rückhalt ist da und die UN werben auch für das Abkommen, loben dessen Qualität und plädieren für dessen Implementierung. Bei den USA sieht es da schon anders aus: Es gibt Druck im Rahmen der Anti­drogenpolitik, weil die Anbauflächen sich ausgeweitet haben und nicht reduziert wurden. Zudem sehen die USA Kolumbien mittlerweile als Basis im Konflikt mit Venezuela – dadurch hat sich die Situation verändert und die Wahrung der Menschenrechte hat deutlich weniger Bedeutung für die der­zeitige US-Regierung.
Die Position der Europäischen Union ist klar. Sie plädiert für die Implementierung des Abkommens, wehrt sich aber dagegen, der Hauptgeldgeber zu sein, und drängt die kolumbianische Regierung dazu, sich finanziell mehr zu engagieren.

Im Friedensabkommen ist die Gründung einer Kommission für Sicherheitsgarantien vorgesehen, deren Aufgabe es ist, für Sicherheit in den vom Konflikt betroffenen Regionen zu sorgen. Dazu gehört auch, gegen paramilitärische Gruppen vorzugehen, doch diese agieren ungehindert. Wie kann das sein?
Die Kommission existiert, befindet sich aber im Streit mit der Regierung, weil die sich möglichst wenig auf das Abkommen beziehen will und somit ihren Aufgaben nicht nachkommt. Das ist kein Einzelfall, denn die neue Regierung ignoriert in vielen Bereichen Entscheidungen der Vorgängerregierung unter Santos und versucht, eigene Strukturen aufzubauen, die zum Teil mit existierenden Strukturen konkurrieren. Ein Beispiel ist der Plan de Acción Oportuna de Prevención y Protección para los Defensores de Derechos Humanos (PAO), der den Schutz für Menschenrechtsverteidiger sowie soziale und politische Aktivisten intensivieren soll, aber der Unidad Nacional de Protección (UNP), der unter Santos geschaffenen Nationalen Schutzeinheit, das Wasser abgräbt. Eine Folge des PAO, der mili­tärischer Logik folgt, ist die steigende Zahl von Morden an Aktivisten.

Nehmen die Aktivitäten paramilitärischer Gruppen wieder zu?
Darauf deuten viele Berichte hin und die Kommission für Sicherheitsgarantie müsste aktiv werden, denn sie ist an Gesetze gebunden. Auf diese haben wir Menschenrechtsverteidiger sie mehrfach hingewiesen. Doch die Regierung ignoriert diese rechtlichen Vorgaben, gleiches gilt für die Sozialprogramme auf dem Land im Rahmen der frei­willigen Beseitigung von Kokapflanzen. Das hat negative Folgen.

Welche Möglichkeiten hat die Zivilgesellschaft, um Frieden zu schaffen?
Widerstand zu leisten, auf Gesetze hinzuweisen und deren Einhaltung zu fordern. Das ist ähnlich wie unter Álvaro Uribe – die Verteidigung dessen, was wir erreicht haben. Gestalten ist unter den derzeitigen Parametern kaum möglich. Positiv ist, dass die Zivilgesellschaft, darunter die Studierenden und Lehrer, deutlich aktiver ist, und natürlich ist es auch von Vorteil, dass es im Parlament durchaus Widerstand gegen die Politik der Regierung gibt.

Wie bewerten Sie Ihren Ausflug in die Politik?
Für mich persönlich war es sehr positiv, ich habe sehr viel gelernt, habe in der Kommission des Kongresses für den Friedensprozess und im Menschenrechtsausschuss mitgearbeitet und mich für die Menschenrechte und für den Friedensprozess engagiert. Das mache ich nun wieder als Menschenrechtsanwalt, wieder im Gerichtssaal und nicht mehr im Parlament.

Alirio Uribe Muñoz ist Anwalt. Der 57jährige war von 2014 bis 2018 Abgeordneter der linken Partei Polo Democrático Alternativo im kolumbianischen Repräsentantenhaus und war in dieser Rolle auch am Friedensprozess mit der Guerilla Farc beteiligt. Mittlerweile arbeitet er wieder in der Menschenrechtskanzlei Colectivo de Abogados »José Alvear Restrepo« und beobachtet die Politik der Regierung des seit August amtierenden Präsidenten Iván Duque.