Caroline Fourest neues Buch “Génération offensée”

Die Plage der Sensibilität

In ihrem neuen Buch kritisiert Caroline Fourest den wachsenden Einfluss linker Identitärer auf Lehrpläne und Diskussionen an den Universitäten.

Die feministische Publizistin Caroline Fourest ist eine der wichtigsten Verteidigerinnen des Laizismus in Frankreich. Vor allem ist sie eine Aufklärerin, die sich nicht scheut, mit Andersdenkenden zu diskutieren. Ihr kürzlich im renommierten französischen Verlag Grasset erschienenes Buch »Génération offensée: De la police de la culture à la police de la pensée« (Die beleidigte Generation: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei) speist sich denn auch nicht zuletzt aus den Erfahrungen, die Fourest in der Auseinandersetzung mit kultur­relativistischen Positionen in der Linken in den vergangenen 20 Jahren gemacht hat.

Anhand konkreter Vorkommnisse und Debatten setzt sie sich mit einer gefährlich irrationalen Strömung der Identitätspolitik auseinander, die an Universitäten in den USA an Einfluss gewinnt und auch an europäischen Hochschulen versucht, die Hegemonie zu erlangen. »Es ist«, schreibt Fourest im Vorwort, »die Geschichte gewöhnlicher kleiner Lynchmorde, die in unsere Privatsphäre eindringen, uns eine Identität zuweisen und unseren demokratischen Austausch zensieren. Eine Plage der Sensibilität. Jeden Tag fordert, bedroht und verbeugt sich eine Gruppe, eine Minderheit, eine Person, die als Vertreter einer Sache erzogen wurde, und lässt die Menschen sich davor verbeugen.«

Während Fourest mit ihren scharfen Analysen zum Aufstieg des Front National, insbesondere auch zur ­politischen Strategie Marine Le Pens, auf Zustimmung in der Linken stieß, änderte sich dies, als sie den Fundamentalismus und Antisemitismus in migrantischen und islamistischen Milieus zu untersuchen begann. Mit ihrem 2004 veröffentlichten Buch »Frère Tariq« (Bruder Tariq), in dem sie sich kritisch mit dem islamistischen Intellektuellen Tariq ­Ramadan auseinandersetzt, wurde sie zum Hassobjekt linker und islamistischer Kreise.

In ihrem neuen Buch beschreibt Fourest, wie sie auf einer Veranstaltung an der Freien Universität Brüssel im Jahr 2007 von Studierenden ­beschimpft wurde: »Schmutzige ­Jüdin! Freimaurerin! Islamophobe!« Der Grund: »Man hat mir vorgeworfen, mich gegen Dieudonné (M’bala M’bala, ein antisemitischer Komiker und Schauspieler, Anm. d. Red.) und den islamistischen Guru Tariq ­Ramadan gestellt zu haben, die von den Studentinnen öfters eingeladen wurden.«

Nicht nur in den USA und Europa werden Debatten verhindert, weil sich eine Gruppe rassistisch oder ­sexistisch »beleidigt« fühlt. Oft geht es dabei um den Vorwurf der »kulturellen Aneignung«, der als neue Form der Blasphemie gilt. Ein paar Beispiele aus dem Buch: In Kanada ­erhielten behinderte Studierende seit langer Zeit Yogaunterricht. ­Aktivisten forderten, mit dieser »kulturellen Aneignung« Schluss zu ­machen, denn Yoga gehöre den Indern. An der renommierten Columbia-Universität in New York forderten Studierende, Ovids »Metamorphosen« aus dem Lehrplan zu nehmen, weil der Text »eurozentrisch« und »zu gewalttätig« seien. In Frankreich wähnen sich linke Gruppen trauma­tisiert, wenn auch Weiße sich eine Afrofrisur verpassen lassen, während es für sie normal ist, wenn weiße Studentinnen am »Hijab-Tag«, der in islamistischen Kreisen erfunden wurde, mit dem Kopftuch herumlaufen. Eine Sprecherin der linksidentitären Gruppe »Indigènes de la République« forderte, Vergewaltigungen nicht anzuzeigen, wenn der ­Täter muslimisch ist, um ihn vor rassistischer Polizei- und Staatsgewalt zu schützen.

Fourest erinnert in diesem Zusammenhang an den Fall einer Französin, die 1976 in Frankreich von einem migrantischen Arbeiter vergewaltigt wurde. Feministinnen hatten damals versucht, das Opfer von einer Anzeige abzuhalten – mit dem ­Hinweis, die Strafverfolgung »schadet dem Proletariat und nützt den rassistischen Unternehmern«. Heute erklären intersektionale Feministinnen jungen Frauen, dass der Kampf gegen die weibliche »Beschneidung« (Genitalverstümmelung) und das Kopftuch den Rassisten helfe und es besser sei, die laizistischen und ­universalistischen Frauen zu beschuldigen, »schmutzige weiße, bürger­liche Islamophobe« zu sein, schreibt Fourest.

Die Schilderung von Studierenden, die sich vom kleinsten Widerspruch verletzt fühlen und vor diesen »Mikroaggressionen« in einen safe space flüchten, wo man lernt, sich jeder Diskussion zu entziehen, machen anschaulich, worum es geht: Es kommt nicht mehr auf den Inhalt einer Aussage an, sondern auf die geographische oder soziale Herkunft des Sprechers, sein Geschlecht und seine Hautfarbe. Linke Identitäre geben vor, für andere zu sprechen, die damit in moralische Geiselhaft genommen werden. Sie versuchen, eine Einheit aller Unterdrückten zu kons­truieren, um mit der Unterstellung einer Kollektivschuld der »Weißen« die universellen Menschenrechte anzugreifen.

Fourest fordert, den Kampf gegen Antisemitismus, Sexismus und ­Homophobie entschlossen fortzuführen, allerdings mit dem Ziel, die kulturellen Stereotype zu zerlegen, anstatt sie zu stärken, wie es linke Identitäre tun. »Es ist hoch an der Zeit, die Verteidigung der Gleichheit wieder zu erlernen, ohne den Freiheiten zu schaden.«

Caroline Fourest schreibt mit erstaunlicher Klarheit und Eleganz. Ihr Buch präsentiert auf 162 Seiten überraschende Zusammenhänge und hätte es verdient, um Beispiele aus Deutschland ergänzt auch in deutscher Sprache zu erscheinen.

Caroline Fourest: Génération offensée: De la police de la culture à la police de la ­pensée. Grasset, Paris 2020, 162 Seiten, etwa 12 Euro