Ein Gespräch mit der Journalistin und Buchautorin Ingrid Strobl

»Darüber freue ich mich heute noch«

Interview Von Christopher Wimmer

Wegen Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag war Ingrid Strobl von 1987 bis 1990 inhaftiert. Über ihre Erfahrungen im Gefängnis, Feminismus und Militanz schrieb sie das Buch »Vermessene Zeit«.

Sie waren von Weihnachten 1987 bis Mai 1990 in Haft. Sie hatten einen vom BKA präparierten Wecker gekauft, der für einen Bombenanschlag auf ein Verwaltungsgebäude der Lufthansa in Köln bestimmt war. Nun haben Sie über diese Zeit ein Buch veröffentlicht. Wann ­haben Sie gemerkt, dass Sie darüber schreiben wollen?

Als ich aus der Haft entlassen wurde, haben viele erwartet, dass ich nun ­darüber schreiben würde. Ich selbst wäre nicht einmal auf die Idee gekommen. Und nun, vor circa zwei Jahren, habe ich gedacht: Schreib das jetzt doch mal auf. Warum? Keine Ahnung. Aber ich bin froh, dass ich es ­getan habe.

»Wir haben mit der Frauen­bewegung schließlich Veränderungen erreicht, die erst mal undenkbar schienen.«

Im Buch behandeln Sie zwei Zeit­ebenen parallel: die Zeit im Knast sowie den Rückblick aus der Gegenwart. Was haben Sie beim Schreiben Neues entdeckt über die Frau, die Sie vor 30 Jahren waren?

Ich habe gestaunt über den Hass, den ich in mir gehabt habe. Man kann ­wütend sein über ein menschenfeindliches Verhalten. In dem Fall über die Abschiebung von Flüchtlingen und den Sextourismus. Aber ich habe kalten Hass empfunden. Vermutlich, weil ich wusste, dass ich nichts daran ändern kann, und wenn doch, dann erst nach Jahren und Jahren.

Wie schafft man es, vielleicht auch im Rückblick, die Grenze zwischen Gegnerschaft zum System und »kaltem Hass« nicht zu überschreiten?

Ich denke, das hängt auch von den Umständen ab. In einer Demokratie ist es machbar, wenn man sich bewusst vor dem Hass hütet. Er macht blind, fanatisch, bringt nichts Gutes hervor, selbst wenn man damit Erfolg hat. Eine der Frauen, die ich für mein Buch »Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand 1939–1945« interviewt habe, hat mir etwas zum Thema Hass gesagt, das mich tief beeindruckt hat: Sie haben den meist sehr jungen Kämpferinnen und Kämpfern ihrer Widerstandsgruppe Armée Juive (Jüdische Armee) Kurse in Moral gegeben. Denn: »Diese Jugendlichen gingen los, um ­jemanden zu töten. Und wir wollten nicht, dass sie zu Banditen werden.«

Sie wussten, dass der Wecker für einen Anschlag der Revolutionären Zellen (RZ) bestimmt war. Zwei Mitglieder der RZ waren an der Flugzeugentführung von Entebbe 1976 beteiligt, bei der jüdische von den nichtjüdischen Passagieren getrennt und Letztere freigelassen wurden. Spielte das eine Rolle für Sie?

Ich habe damals in Wien gelebt und war in der Frauenbewegung aktiv. Entebbe war etwas in den Nachrichten. Ich wusste damals noch nicht einmal, dass es die RZ gab. Diskutiert wurde, wenn überhaupt, nur über die RAF und die Bewegung 2. Juni. Und ich kann mich nicht erinnern, ob die Aktion damals besprochen oder diskutiert wurde. Sehr viel später, als ich schon lange in Deutschland lebte, war diese Aktion schon mal Thema in Diskussionen. Und die Leute, mit denen ich über die RZ diskutiert habe, haben diese Selektion einhellig verurteilt, wie ich auch. Es hat damals auch jemand gesagt, die RZ hätten sich aufgrund dieser Aktion gespalten oder so ähnlich. Und ich bin davon ausgegangen, dass die Leute, die den Anschlag auf das Lufthansa-Gebäude machen wollten, nicht zur antisemitischen Fraktion gehörten.

Ihre Verhaftung und Ihre Gefängniszeit waren geprägt von einer riesigen Solidaritätswelle. Zum Prozessbeginn fand in Essen eine Demonstration mit 10 000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen statt. Wie erklären Sie sich die Aufmerksamkeit, die Sie damals hatten?

Ich denke, es haben drei Aspekte dabei eine Rolle gespielt: Die Aktion, für die ich angeklagt wurde, richtete sich gegen die Abschiebung von Asylsuchenden und die Ausbeutung von Frauen als Sexsklavinnen. Das hat sie für viele sympathisch gemacht. Mich kannten viele Frauen als ehemalige Redakteurin von Emma und sie haben meine Artikel geschätzt. Und: Ich habe ja aus­gesagt, dass ich nicht wusste, wofür ich den Wecker gekauft hatte. Das haben mir viele Menschen auch geglaubt. Diese Menschen habe ich betrogen. Das hat mich schon im Gefängnis geplagt, und es tut mir heute noch leid.

Was bedeutet Solidarität konkret für Menschen im Gefängnis?

Du wirst nicht alleingelassen. Die Solidarität zeigt sich nicht »nur« in wunderbaren Demos und Veranstaltungen, sondern vor allem auch im Dauer­haften: den Besuchen, den Briefen und Büchern, die dir in die Zelle geschickt werden, dem Geld, das auf das Spendenkonto eingezahlt wird.

Im Buch schreiben Sie: »Eine politische Gefangene weint nicht.« Ebenso beschreiben Sie aber auch mit einer seltenen Wärme die Wärterinnen. Wie behält man unter Haftbedingungen, gar Isolationshaft, seine Menschlichkeit?

Indem man auch andere als Menschen sieht. Für mich waren zum Beispiel die Gefängnisbeamtinnen keine »Schlusen«, sondern Frauen, die mir höflich und später auch freundlich begegnet sind. Und eben nicht nur mir, sondern auch den anderen Gefangenen, die von ach so gebildeten bürgerlichen Menschen oft als primitiv verachtet werden – eine Haltung, die sich auch hinter vermeintlich progressiven Sprüchen verbergen kann.

Insbesondere die Frauen der RAF wurden nicht nur als Militante angegriffen, sondern auch als Frauen. Medien zogen über die »lesbischen Baader-Mädchen« her. Günther Nollau, von 1972 bis 1975 Verfassungsschutzpräsident, meinte gar, im bewaffneten Kampf der Frauen einen »Exzess der Befreiung der Frau« zu erkennen. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?

Nein, ich persönlich zum Glück nicht. Zumindest weiß ich nichts davon.

Ein Jahr nach Ihrer Entlassung aus der Haft erschien das RZ-Papier »Gerd Albartus ist tot«. Albartus war demnach von einer palästinensischen Gruppierung zum Tode verurteilt und erschossen worden. Dies nahmen die RZ zum Anlass, ihre internationalistischen und anti­imperialistischen Positionen einer grundsätzlichen Kritik zu unter­ziehen. Waren diese Debatten in der RZ damals nach Ihrer Entlassung noch von Bedeutung?

Das weiß ich nicht. Die RZ waren da kein Thema mehr für mich.

Sie haben es ja bereits erwähnt: Im Gefängnis haben Sie sich mit dem Widerstand der Partisaninnen gegen die deutsche Besatzung beschäftigt und darüber ein vielbeachtetes Buch geschrieben. Wenn Sie auf die heu­tige feministische Bewegung sehen, wer sind die Erbinnen dieser Parti­saninnen?

So gefragt, niemand. Denn es gibt zum Glück heute auch nichts, das dem ­Nationalsozialismus und den Verbrechen der deutschen Besatzer vergleichbar ist. Und man muss auch nicht vergleichen. Es gibt heute in vielen Ländern Frauen, die gegen ihre Unterdrückung als Frauen, als Angehörige einer bestimmten Ethnie oder dergleichen aufbegehren.

Militanz und Aufstand werden jedoch nur selten mit Frauen in Verbindung gebracht. Militante Frauen werden schnell als »Krawallbarbies« oder »Kampflesben« abqualifiziert. Gibt es Ansatzpunkte für weibliche Militanz?

Frauen waren immer beteiligt, ich sage nur: Louise Michel oder Vera Figner. Bloß ist es den lieben Genossen immer wieder gelungen, den Widerstand als etwas genuin Männliches darzustellen. Weibliche Militanz kann vieles sein. Wir haben in Wien in den siebziger Jahren zum Beispiel die Türschlösser von Pornokinos so verklebt, dass sie lange nicht zu öffnen waren. Darüber freue ich mich heute noch.

Ein weiteres Thema in Ihrem Buch ist Ihre Beobachtung im Gefängnis, dass viele Frauen die patriarchale Unterwerfung verinnerlicht haben. Der Soziologe Pierre Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von der »männlichen Herrschaft« und der (habituellen) »Komplizenschaft« der Frauen. Sehen Sie hiervon einen Ausweg?

Kurzfristig nur für Einzelne. Aber es gilt, immer weiter daran zu arbeiten. Und hier macht es sich Bourdieu zu einfach. Wer von klein auf dazu er­zogen wurde, sich Männern zu unterwerfen, wer von Frauen nur als »Fotzen« sprechen gehört hat, die wird – vielleicht – irgendwann zur Komplizin des Täters. Aber sie einfach darauf zu reduzieren, greift zu kurz.

Wie sehen Sie nach Jahrzehnten im Rückblick das Verhältnis von Militanz und Bewegung in feministischen Kämpfen?

Ich denke, das Wichtigste haben wir in den ersten Jahren der Frauenbewegung begonnen: Wir sind selbstbewusst aufgetreten, haben versucht, das, was wir gefordert haben, auch bei der Arbeit und an der Uni durchzusetzen, wir haben gegen den Abtreibungsparagraphen gekämpft und zumindest die Fristenlösung erreicht, wir haben Häuser für geschlagene Frauen und Hilfe für vergewaltigte Frauen organisiert und gleichzeitig theoretisch dazu gearbeitet etc. Und wir haben schließlich Veränderungen erreicht, die erst mal undenkbar schienen. Für jüngere Leserinnen und Leser: Der Ehemann durfte damals seine Frau noch vergewaltigen und ihr verbieten, arbeiten zu gehen. Das nur als kleines Beispiel.

Ingrid Strobl: Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich. Nautilus, Hamburg 2020, 192 Seiten, 18 Euro