Die Entwicklung der Kryptowährung Bitcoin

Bei 21 Millionen ist Schluss

Etwa alle vier Jahre halbiert sich die Belohnung bei der Produktion von Bitcoins. Beobachter sehen im deflationären Algorithmus der wichtigsten Kryptowährung eine Herausforderung der Notenbanken.

Am 11. Mai ereignete sich für Bitcoin etwas ebenso Unspektakuläres wie Folgenreiches. Nicht, weil ein Update die älteste und den Nutzerzahlen nach bedeutendste Kryptowährung schneller, effizienter oder nutzerfreundlicher gemacht hätte. Vielmehr lief bei der Open-source-Software alles nach Plan: Das im Code angelegte turnusmäßige »Halving« sorgte wie alle vier Jahre für einen Angebotsschock bei den in Umlauf gebrachten Bitcoin. Dabei halbiert sich die Belohnung (block reward), die sogenannte Miner für die Produktion neuer Bitcoins erhalten. Diese Unternehmer und Rechnerfarmen nutzen enorm energieintensive Computerleistungen und spezielle Hardware, um komplexe mathematische Rätsel zu lösen. Dies dient dazu, Bitcoin-Transaktionen zu verifizieren und in Datenblöcken zu sammeln. In einer Art dezentralem und öffentlichem Kassenbuch, der Blockchain, werden diese archiviert. Miner kontrollieren das Bitcoin-Netzwerk damit nicht, aber sie sorgen für dessen Nutzersicherheit.

Sollte sich Bitcoin oder eine andere Kryptowährung durchsetzen, könnte eine der zentralen Ideen von marktlibertären Ökonomen wie Hayek Wirklichkeit werden: das Ende des staatlichen Geldmonopols.

Immer wieder greifen Hacker die wenig regulierten Kryptowährungstauschbörsen und Drittanbieter an, um die Konten der Nutzer zu bestehlen. Zuletzt traf es etwa Altsbit: Die kleine italienische Kryptobörse musste im Februar ihren Nutzern verkünden, dass Hacker deren Bitcoin und Werte anderer Währungen wie Ethereum gestohlen hatten. Auf dem Schaden von umgerechnet über 300 000 Euro blieben die Kunden sitzen, eine Einlagensicherung existierte nicht. Doch die Bitcoin-Blockchain tangierte das nicht, sie gilt wegen ihrer dezentralen Speicherung als fälschungssicher. Tatsächlich ist es in elf Jahren niemandem gelungen, bereits getätigte Transaktionen rückgängig zu machen, zu manipulieren oder aufzuhalten.

Nach 210 000 Blöcken, etwa alle vier Jahre, verringert sich der ökonomische Anreiz für die Miner. Betrug der block reward vor dem ersten Halving 2012 noch 50 Bitcoin, liegt sie nun bei nur noch 6,25 Bitcoin für jeden erschaffenen Block. Kurzfristig dürften vor allem Miner aufgeben, die mit veralteter Hardware arbeiten oder in einer Region produzieren, in denen ein hoher Strompreis ihre Gewinne auffrisst. Zugleich spekulieren viele Miner, Bitcoin-Besitzerinnen und Investoren im Zuge der Angebotsverknappung mit einem drastischen Anstieg des extrem volatilen Bitcoin-Preises – und verweisen auf den bisherigen Kursverlauf. Beim ersten Halving im November 2012 war ein Bitcoin rund zwölf US-Dollar wert, beim zweiten im Juli 2016 waren es mehr als 600. Am Montag vergangener Woche, beim dritten Halving, lag der Preis bei knapp 9 000 US-Dollar.

Einen Grund für ihren Optimismus ziehen sie aus der Mengenbegrenzung des Bitcoin auf 21 Millionen. 18,3 Millionen Bitcoins wurden bereits generiert, doch durch den deflationären Algorithmus entstehen mit der Zeit immer weniger Einheiten; das Mining erschwert sich immer mehr. Der letzte Bitcoin könnte so nach jetziger Berechnung ungefähr im Jahr 2140 produziert werden. »Läuft Bitcoin Gold den Rang ab?« hieß ein Papier, das der Kryptowährungsanalyst Manuel Andersch von der staatlichen Bayerischen Landesbank (Bayern LB) im vergangenen Jahr veröffentlichte. Darin vergleicht er die Wertspeichereigenschaften von Gold und Bitcoin. Sein Fazit: »Bitcoin ist als ultrahartes Geld konzipiert. Im Jahr 2024 (…) erhöht sich der Härtegrad gnadenlos weiter und zwar auf ein in der Menschheitsgeschichte nie dagewesenes Niveau (…). Niemand weiß so recht, welche Auswirkungen ein solcher monetärer Standard haben würde.«

Das Bitcoin-Halving vollzieht sich in einer Phase extrem lockerer Geldpolitik; so hat die maßgebliche Zentralbank der Welt, die US Federal Reserve, im April angekündigt, weitere 2,3 Billionen US-Dollar zu drucken, um die taumelnde Wirtschaft in der Coronakrise zu stützen. Diese für viele Staaten entscheidenden Maßnahmen sorgen in der Regel jedoch auf längere Sicht für eine Entwertung ihrer Landeswährungen. Der Lizenz zum Gelddrucken in jeder nötigen Menge steht die streng begrenzte Menge von Bitcoin gegenüber.

Saifedean Ammous hat darüber ein ganzes Buch geschrieben. Der ehemalige Professor für Volkswirtschaft an der American University of Beirut unterrichtet mittlerweile in Online-Kursen die Lehren der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, die je­gliche ökonomische Intervention des Staats ablehnt. In »The Bitcoin Standard« (2018) argumentiert Ammous nicht nur, dass Bitcoin die einzige funktionierende dezentrale Alternative zum Zentralbankensystem sei, die die Menschheit zur Verfügung habe. Bitcoin sei zudem die härteste Währung in der Geschichte des Geldes: Digital auf bis zu acht Dezimalstellen teilbar und dadurch leicht tausch- und handelbar, aber absolut begrenzt auf 21 Millionen.

Seit US-Präsident Richard Nixon 1971 den Goldstandard aufgegeben hat, etablierte sich das Fiatgeldsystem, das heißt: Geld, dessen Wert nur in seiner Tauschfunktion besteht. Dieses System, so Ammous, werde auf lange Sicht scheitern, weil keine staatliche Währung mit den monetären Eigenschaften des Bitcoin konkurrieren könne. Ein internationaler Standard, der auf Bitcoin basiert, könnte Ammous zufolge ähnliche Zuwächse der Produktivität und des globalen Freihandels hervorbringen wie in der Ära des klassischen Goldstandards am Ende des 19. Jahrhunderts. Er würde allerdings auch Staaten darin einschränken, sich durch Schulden und Inflation zu finanzieren.

Sollte sich Bitcoin oder eine andere Kryptowährung durchsetzen, könnte eine der zentralen Ideen von marktlibertären Ökonomen wie Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises Wirklichkeit werden: das Ende des staatlichen Geldmonopols. Die Motive, sich dem Geldexperiment anzuschließen, scheinen für Großinvestoren und Banken äußerst unterschiedlich. Der Geschäftsführer von Twitter, Jack Dorsey, hat in seinem Profil auf der Plattform nur eines stehen: #bitcoin. In einem Interview mit dem Podcaster Joe Rogan sagte Dorsey, er glaube, Bit­coin werde zur Heimatwährung des Internets und schließlich zur globalen Währung. Der Silicon-Valley-Investor Peter Thiel bezeichnete Bitcoin als »digitales Gold«, das unterschätzt werde.

Der Geschäftsführer der Investmentbank JP Morgan, Jamie Dimon, sagte in den ersten Bitcoin-Jahren bis 2017, die Kryptowährung sei nur etwas für »Drogendealer und Mörder«. Vergangene Woche berichtete das Wall Street Journal, Dimons Institut biete nun Bankdienstleistungen für Coinbase und Gemini an, zwei der größten Kryptobörsen. Geminis Gründer sind die Zwillinge Cameron und Tyler Winklevoss, die mit Facebook-Chef Mark Zuckerberg von 2004 an einen langwierigen Rechtsstreit austrugen. Cameron Winklevoss tweetete am 12. Mai: »Indem ihr in Bitcoin investiert, erleichtert ihr den friedlichen Machtübergang von Staaten zu den Menschen.«

Lässt sich Bitcoin als marktradikale Antwort auf die derzeit weiche Geldpolitik der Zentralbanken charakterisieren? Menschenrechtler wie Alex Gladstein von der Human Rights Foundation hoffen, Bitcoin und andere Kryptowährungen könnten ein Mittel gegen Überwachung sein. Gladstein schrieb in einem Gastbeitrag für das Time Magazine, die stetige Zunahme von bargeldlosen Bezahlvorgängen sowie die Einführung von digitalen Notenbankwährungen biete Staaten wie China neue Möglichkeiten, um Einzelne auszuspionieren, unliebsame Kontenbewegungen zu behindern und anonyme Transaktionen zu verunmöglichen. Er sieht den Austausch von wirtschaftlichen Werten via Geld als Teil der Meinungsfreiheit – und Bitcoin als einen Schutz vor Inflation und staatlicher Willkür.

Ob Bitcoin oder andere Kryptowährungen diese Ansprüche erfüllen können, ist ungewiss. Alle Bitcoin zusammen sind rund 163 Milliarden US-Dollar wert; dem Finanzportal Investopedia zufolge wurden 2019 damit weltweit nur 0,4 Prozent aller Transaktionen abgewickelt und die großen Preisschwankungen machen ihn als Zahlungsmittel für die Supermarktkasse derzeit noch ungeeignet. Doch während niemand wissen kann, wie die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank oder der Federal Reserve in vier Jahren aussehen wird und wie viele Euro oder US-Dollar in Umlauf kommen, steht durch den Bitcoin-Algorithmus fest: Das Angebot an Bitcoin wird sich abermals halbieren, unabhängig von der Nachfrage.