Die Buchreihe »Exil«

Erste Reihe rechts, gleich neben Kubitschek

In der vom Dresdner Buchhaus Loschwitz herausgegebenen Buchreihe »Exil« wird neurechter Kulturpessimismus gepflegt.

Das Exil als letzter Ausweg: Das galt vor allem für jene Autoren, die nach 1933 von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, weil sie Juden waren oder die »falsche« Gesinnung hatten und um ihr Leben fürchten mussten. Ausgerechnet das Dresdner Buchhaus Loschwitz hat sich den Begriff vor einigen Jahren zu eigen gemacht, um eine Buchreihe zu vermarkten, in der hauptsächlich Autoren publizieren, die der AfD, Pegida und der Neuen Rechten nahestehen, darunter Jörg Bernig, Angela Wierig und Uwe Tellkamp.

Die Autoren konstruieren eine Welt, in der nationale Mythen ebenso überlebenswichtig sind wie Vorurteile. Sie erzählen von der Angst vor dem »Großen Aus­tausch«, der die Völker »vermischt« und ihrer »Identität« beraubt.

Der Reihentitel ist der Versuch, solche Autoren zu Opfern einer vermeintlichen »Gesinnungsdiktatur« zu stilisieren. »Die neue Buchreihe Exil in der Edition Buchhaus Loschwitz«, heißt es auf der Homepage ebenso pathetisch wie holprig, »versteht sich als Kunst der Zuflucht ebenso wie als Zuflucht der Kunst, die sich einem Klima zunehmender politischer Anfeindung ausgesetzt sieht.«

Dass das von den Buchhändlern Susanne Dagen und Michael Bormann geleitete Verlagshaus für diese Reihe die langjährige Autorin des ­Fischer-Verlags, Monika Maron, hatte gewinnen können, sorgte für Irrita­tionen; Maron hatte ihre 112seitige Essaysammlung »Krumme Gestalten, vom Wind gebissen« im Dresdner Verlagshaus veröffentlicht. Fischer hatte sich daraufhin von seiner prominenten Autorin getrennt und den Schritt begründet: »Man kann nicht bei S. Fischer und gleichzeitig im Buchhaus Loschwitz publizieren, das mit dem Antaios-Verlag kooperiert«, erklärte die verlegerische Geschäftsführerin Siv Bublitz. Für den 1886 von Samuel Fischer gegründeten Verlag, der seit 1962 zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck gehört, geht es auch um die Wahrung seines historischen Erbes. Verleger Gottfried Bermann Fischer musste in den dreißiger Jahren ebenso vor den Nationalsozialisten flüchten wie zahlreiche Autoren, deren Werke bei S. Fischer erschienen oder immer noch erscheinen, darunter Sigmund Freud, Stefan Zweig, Max Horkheimer und Bertolt Brecht.

Die Autorin Cora Stephan sah sich dennoch veranlasst, die Dresdner Reihe in einem Aufsatz auf dem Blog »Achse des Guten« zu verteidigen: Der Titel »Exil« sei »vielleicht ein wenig zu hoch gegriffen«, wiegelte sie ab. Dem Fischer-Verlag wollte sie zwar immerhin zugestehen, sich »daran« zu »stören, schließlich wurde die Eigentümerfamilie 1936 aus Deutschland herausgedrängt, und im Ausland gründete der Verlagsleiter Gottfried Bermann Fischer mehrere Exilverlage. Mehr aber auch nicht.« Mehr nicht? Skandalisiert werde Stephan zufolge vor allem, »dass die Bücher der Edition Loschwitz auch – auch! – von Antaios vertrieben werden, dem Verlag von Götz Kubitschek«.

Tatsächlich arbeitet Susanne Dagen nicht nur logistisch mit dem Verlag Antaios zusammen. Gemeinsam mit Kubitscheks Ehefrau Ellen Kositza produziert sie eine Literatursendung, die unter dem Titel »Aufgeblättert. Zugeschlagen – Mit Rechten lesen« auf Youtube hochgeladen wird. Dort werden auch die Schriften der Reihe Exil vorgestellt, die sich bevorzugt gegen die Moderne und die Aufklärung richten. Die Autoren konstruieren eine Welt, in der nationale Mythen ebenso überlebenswichtig sind wie Vorurteile. Sie erzählen von der Angst vor dem »Großen Austausch«, der die Völker »vermischt« und ihrer »Identität« beraubt.

Das Buch »Pawlowsche Idioten« von Angela Wierig passt in diese Reihe. Die Autorin ergeht sich darin in kulturpessimistischen Betrachtungen und erklärt den »homo insipiens« zum Mängelwesen, das ohne klar gesetzte Grenzen und ohne Führung verloren scheint. Homogenität und Identität dienen als letzte Bastion gegen die universalistische Moderne. Als Anwältin im NSU-Prozess hat Wierig eine unrühmliche Rolle gespielt. Dort vertrat sie die Nebenklage von Ayşen Taşköprü, der Schwester von Süleyman Taşköprü, der in seinem Gemüseladen erschossen worden war. Taşköprü hatte 2017 beim Gericht die Entpflichtung ihrer Anwältin beantragt.

In ihrem Buch »Nazis Inside. 401 Tage NSU-Prozess« notiert Wierig über den Prozess: »Nicht nur in diesem Prozess, sondern in ganz Deutschland gilt zweierlei Recht; Meinungsfreiheit für die moralisch überlegene Multikulti-Vegan-Impfverweigerungs-Fraktion; Redeverbot für die Rechten.«

Bleibt die Flucht ins »Exil«, wo sie auf Jörg Bernig trifft. In einem Gastbeitrag für die Sächsische Zeitung diagnostiziert der Lyriker, »dass wir uns wieder in einer Lage befinden, in der die Regierung und auch weite Teile der Medienwelt gegen das Volk regieren«. In einer Rede aus dem Jahr 2016 bezeichnet er die Einwanderung von Geflüchteten als »Umbau des Volkes«. Im Sommer sollte Bernig in Radebeul bei Dresden mit Stimmen der AfD und CDU zum Leiter des Kulturamts gewählt werden. Nach öffentlichen Protesten verzichtete er auf das Amt.

Uwe Tellkamp dürfte der bekannteste Autor in der Reihe sein. In seinem jüngst erschienenen Buch »Im Atelier« lässt er den Maler Thomas Vogelstrom zu Wort kommen. Die Kunstfigur erinnert an Axel Krause, einen Vertreter der Neuen Leipziger Schule, der sich als Sympathisant der AfD outete. Tellkamp lässt Vogelstrom Folgendes denken: »Er überlege, ob der Vesuv in anderer als rein geologischer Form ein Dresdner Vulkan sei und auch sein Herculaneum und Pompeji unter sich begraben habe; (…) mit Folgen für die ganze Republik, vielleicht der Vesuv von Dresden nur ein gerade offener Schlot, ­einer von vielen im ganzen scheinbar so beruhigten Land. (…) Eines der größten Reiche der Weltgeschichte, das Römische Reich, ist an der Dekadenz zugrunde gegangen. So ist es auch heute, auch wir werden zugrunde gehen.« In einer an Oswald Spengler erinnernden Diktion wird der »Untergang« als ein scheinbar unaufhaltsames Naturereignis dargestellt.

Alles halb so schlimm, findet Vera Lengsfeld: »In Tellkamps Buch ist die auslösende ›Stelle‹ der linken Erregung der Vergleich eines Vesuv-Ausbruchs mit der Masseneinwanderung von 2015. Tatsächlich hat dieser Einbruch unser Land radikal verändert.« Dass Tellkamp Anleihen bei Kubitschek nimmt, erwähnt sie nicht. In seiner Zeitschrift Sezession schreibt dieser im März 2018: »Regierungsvertreter und selbsternannte Sprecher der ›Zivilgesellschaft‹ begrei­fen eines nicht mehr: dass immer mehr Deutsche ihr Dorf, ihren Stadtteil, ihr Leben, ihre homezone an den Fuß des Vesuvs versetzt wähnen, nicht wissend, wann das ›Verhängnis‹ glutheiß wie Vulkanasche auf uns herabregnen wird.«

Nicht verwunderlich, dass die Rhetorik auch bei Matthias Matussek gut ankommt. Auf dem Blog »Tichys Einblick« veröffentlichte er eine Lobeshymne auf Susanne Dagen und die Buchreihe mit dem, so Matussek, »provokanten Titel: Exil«.

Um historische Bezüge scheint Dagen ohnehin nicht verlegen. Schon vor drei Jahren initiierte sie einen offenen Brief, in dem sie dem Börsenverein des deutschen Buchhandels vorwarf, durch einen Aufruf zur Auseinandersetzung mit Verlagen der rechten Szene einer »Meinungsdiktatur« Vorschub zu leisten. Der Titel ihres Aufrufs, »Charta 2017«, zu dessen Erstunterzeichnern Jörg Bernig, Uwe Tellkamp, Cora Stephan, Vera Lengsfeld und Matthias Matussek gehören, sollte offenbar an die Petition der Opposition in der Tschechoslowakei, »Charta 77«, erinnern.

 

Anmerkung: Die in dem Artikel als ein Grund für den Antrag von Ayşen Taşköprü auf die Entpflichtung ihrer Anwältin Angela Wierig von uns angegebene Behauptung erhalten wir nicht aufrecht.