Nach der Präsidentschaftswahl in Ecuador werden viele Stimmen neu ausgezählt

Kein klarer Zweiter

In Ecuador kommt es zur Stichwahl um die Präsidentschaft. Doch ob der Bankier Guillermo Lasso oder der indigene Anwalt Yaku Pérez gegen den Linken Andrés Arauz antreten wird, ist noch unklar. Die Stimmen werden neu ausgezählt.

Jorge Acosta ist Gewerkschaftskoordinator aus Guayaquil und sich vollkommen sicher: »Bei der Auszählung der Stimmen der Präsidentschaftswahl vom 7. Februar ist nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Wir haben im Kanton Ventanas Stimmzettel für Yaku Pérez in Mülleimern gefunden«, sagt das 60jährige Mitglied der Agrargewerkschaft Astac. Diese ist in Provinzen wie Los Ríos, wo Ventanas liegt, besonders aktiv. Es gibt weitere Indizien für Unstimmigkeiten bei der Wahl.

Aus dieser ist der linke Kandidat Andrés Arauz mit etwa 32 Prozent der Stimmen als Sieger hervorgegangen. Auch bei den parallel stattfindenden Parlamentswahlen konnte sein Parteienbündnis UNES mit 31,6 Prozent die meisten Stimmen gewinnen. Da er die für einen Sieg im ersten Wahlgang nötigen 40 Prozent nicht erreicht hat, muss er sich einer Stichwahl stellen, die am 11. April stattfinden soll. Doch wer dabei gegen ihn antreten wird, ist offen: Um den zweiten Platz konkurrieren der Unternehmer und konservative Politiker Guillermo Lasso und der indigene Anwalt und Umweltschützer Yaku Pérez.

Am Freitag vergangener Woche trafen sich Yaku Pérez und Guillermo Lasso und vereinbarten die Neuauszählung aller Stimmen in Guayas und der Hälfte der Stimmen in weiteren 16 Provinzen Ecuadors.

Die Leiterin des Wahlrats (CNE), Diana Atamaint, erklärte in der Nacht nach der Präsidentschaftswahl öffentlich, dass die Tendenz für Yaku Pérez spreche. Da lag der Kandidat der Partei Pachakutik mit wenigen Tausend Stimmen vor Lasso. Das war auch am Montagmorgen nicht anders, als 97,56 Prozent der Stimmen ausgezählt waren. Pérez lag 0,2 Prozentpunkte vor dem Bankier aus Guayaquil.

Dann ordnete der Wahlrat die Kon­trolle auffälliger Auszählungsergebnisse an – eigentlich ein normaler Vorgang mit klar geregeltem Prozedere. Die Zahl solcher auffälliger Ergebnisse war jedoch außergewöhnlich hoch – es gab dreimal mehr als bei vorherigen Wahlen, wie die renommierte Anwaltsvereinigung Ecuadors bekanntgab. Es soll zu Pannen bei Zugangskontrollen zu Wahl- und Auszählungszentren sowie bei der digitalen Datenübermittlung gekommen sein. Nach den Überprüfungen lag Lasso 0,36 Prozentpunkte vor Pérez.

Dieser klagte schon, während die Überprüfungen im Gang waren, über möglichen Wahlbetrug und reichte am Donnerstag voriger Woche offiziell Beschwerde ein. Auch die Anwalts­vereinigung sah Anlass zur Sorge und machte den nationalen Wahlrat ver­antwortlich. Ihre Kritik hat sie in einer Erklärung festgehalten, die umgehend an die UN-Menschenrechtskommission und ihr interamerikanisches Pendant versandt wurde.

Der Menschenrechtsanwalt Mario Melo, der an der Päpstlichen katholischen Universität von Ecuador in Quito unterrichtet, hält dieses Vorgehen für angebracht: »Es ist noch zu früh, um zu beurteilen, ob es Wahlbetrug gab. Sicher ist, dass der Wahl- und Auszählungsprozess nicht ausreichend transparent ist – sonst hätte es niemals die Gerüchte über Wahlbetrug und die Verantwortung politischer Kreise dafür gegeben.«

Um einen Ausweg aus der schwierigen Lage zu finden, trafen sich Pérez und Lasso am Freitag voriger Woche am Sitz des Wahlrats in Quito. Sie verständigten sich auf eine Neuauszählung aller Stimmen in der bevölkerungsreichsten Provinz Guayas und der Hälfte der Stimmen in weiteren 16 der 24 Provinzen. So soll das politische System Ecuadors vor einer Legitimitätskrise bewahrt werden. Wer also bei der Stichwahl am 11. April gegen Andrés Arauz antritt, ist weiterhin offen.

Jorge Acosta, dessen ­Gewerkschaft Pérez unterstützt, glaubt, die Unstimmigkeiten bei der Wahl könnten auf eine Allianz der Etablierten gegen den politischen Emporkömmling hinweisen. Zu den Etablierten gehören für ihn der Banker Lasso ­genauso wie der Ökonom ­Andrés Arauz, der politischer Zögling des ehemaligen linken Präsidenten Rafael Correa ist (2007–2017).

Pérez repräsentiert in der Tat eine neue ökologische Linke in Ecuador, weshalb er sich gut als Gegenkandidat zu Arauz und Lasso profilieren konnte. Diese plädieren beide für eine Fortführung der extraktivistischen Wirtschaftspolitik. Pérez hingegen hat sich bereits 2002 gegen Pläne zur Privatisierung öffentlicher Wasserunternehmen und 2012 gegen Bergbauprojekte der damaligen Regierung von Correa gewandt. Damals wurde Pérez als Saboteur und Terrorist diffamiert und ­verhaftet, weil er an Straßenblockaden beteiligt war. Doch Pérez blieb hart­näckig.

In Girón, nur 30 Kilometer von seinem Wohnort Cuenca entfernt, unterstützte er ein Referendum gegen ein Bergbauprojekt eines kanadischen Konzerns INV Metals. Der wollte in einem geschützten Feuchtgebiet auf mehr als 3 000 Meter Höhe Gold fördern. Eine Ausnahmegenehmigung sollte das ermöglichen, obwohl das Feuchtgebiet für die Wasserversorgung der Region eine wichtige Rolle spielt. Das Referendum hatte 2019 Erfolg und verschaffte Pérez einige Reputation. Im Mai desselben Jahres wurde er zum Präfekten seiner Region Azuay gewählt.

Im Oktober 2019 nahm Pérez an Protesten gegen die neoliberalen Reformen der Regierung von Correas Amtsnachfolger Lenín Moreno teil. Diese betrafen die indigene Minderheit in Ecuador besonders. Gegen ihren Protest ließ Moreno die Armee aufmarschieren, Straßenblockaden niederreißen und Schlagstöcke einsetzen. Das hat die Proteste aber nicht beendet, sondern die zur Zeit der Präsidentschaft Rafael Correas zerstrittene indigene Bewegung wieder geeint. Das stärkte die Position von Yaku Pérez. Acosta hält diesen für einen »wahren Linken«, im Gegensatz zu den Anhängern von Correas politischem Lager, zu denen auch Arauz zählt, die den Bergbau fördern wollen, um das Land aus der ökonomischen und finanziellen Krise zu führen.

Pérez tritt für alternative Wirtschaftsmodelle ein, für mehr Nachhaltigkeit, den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft und den Schutz der natürlichen Ressourcen. In Cuenca fand parallel zu den Präsidentschafts- und Par­lamentswahlen ein Referendum zum Schutz von Flüssen und Wasserquellen statt. 80 Prozent stimmten dafür, dass kein Bergbau in direkter Nähe von Flüssen und Wasserquellen stattfinden dürfe. Das Ergebnis ist auch ein Erfolg für Yaku Pérez, der das Referendum mit initiiert hatte.