Lieferdienste wie Gorillas sind Milliarden wert, machen aber noch keinen Profit

Kampf um den Liefermarkt

Der Lieferdienst Gorillas erhielt vergangene Woche fast eine Milliarde US-Dollar von verschiedenen Investoren. Profit macht das Unterneh­men bislang nicht.

Die pinken, schwarzen oder blauen Räder sausen mittlerweile fast rund um die Uhr durch die Straßen deutscher Großstädte. Zahlreiche Lieferdienste konkurrieren um einen neuen Markt. Dabei ist noch längst nicht ausgemacht, dass sie damit überhaupt Gewinne erzielen können.

Die Idee des sogenannten Quick Commerce ist nicht neu. Bereits 2013 begann das Unternehmen Gopuff in den USA mit der Geschäftsidee, online bestelle Lebensmittel binnen kurzem nach Hause zu liefern. Zunächst hielt sich der Erfolg in Grenzen. Doch das änderte sich mit der Covid-19-Pandemie, als die Nachfrage nach Online-Lieferdiensten in den USA förmlich explodierte. Seitdem bemühen sich zahlreiche Nachahmer, in Kontinentaleuropa ein ähnliches Geschäftsmodell einzuführen; Gopuff expandiert derweil nach Großbritannien.

Es ist vor allem die Hoffnung auf eine lukrative Zukunft, die den Markt für Lebensmittellieferungen boomen lässt.

In Deutschland versucht der Berliner Lebensmittellieferdienst Gorillas seit 2020, den Markt zu erobern. Innerhalb eines Jahres entwickelte sich das Start-up-Unternehmen zu einem sogenannten Einhorn. So nennt man Start-ups, die noch vor dem Börsengang einen Wert von einer Milliarde US-Dollar erreichen. Inzwischen ist Gorillas sogar noch einiges mehr wert. In der vergangenen Woche erhielt das Unternehmen bei einer weiteren Finanzierungsrunde fast eine Milliarde US-Dollar Kapital, der Firmenwert wurde dabei auf 2,5 Milliarden Euro festgelegt. Allein der Berliner Essenslieferdienst Delivery Hero investierte 200 Millionen Euro und erhielt dafür acht Prozent der Anteile an Gorillas.

Zugleich wird der Wettbewerb in der Branche schärfer. Amazon unterhält den konzerneigenen Lieferdienst Fresh. Doch der wichtigste Rivale von Gorillas ist wohl Flink. Das Unternehmen wirbt ebenfalls damit, in zehn Minuten zu liefern, und ist eine Kooperation mit Rewe eingegangen.

Bislang verbrennt Gorillas nur Geld, ohne Gewinne zu erwirtschaften. Die Fahrer müssten mindestens sechs Lieferungen pro Stunde ausführen, nur um etwas mehr Liefergebühr zu generieren, als der Stundenlohn kostet – eine wenig realistische Kalkulation. Auch mit den angebotenen Waren sind kaum Gewinne zu erzielen, weil sie nicht teurer angeboten werden als in stationären Supermärkten.

Gorillas kann zwar die Handelsmargen kassieren, da es seine Waren direkt von den Produzenten ohne Zwischenhändler bezieht. Doch diese Margen sind im Lebensmittelhandel sehr gering. In Supermärkten werden die geringen Erträge bei manchen Waren durch größere bei anderen kompensiert. Solche Mischkalkulationen funktionieren beim Quick Commerce schlechter, weil das Sortiment kleiner ist. Hinzu kommen die Kosten für Logistik, Werbung und Verwaltung. Die schnelle Lieferung funktioniert nur mit vielen Warenlagern, die über die Stadt verteilt sind, wofür hohe Mietkosten anfallen.

Wie knapp die Kalkulation ist, hat die Zeitschrift Capital kürzlich dokumentiert, die aus internen Papieren und Präsentationen von Gorillas zitierte. Demnach bleiben bei einem fiktiven Warenkorb von 23,80 Euro plus 1,80 Euro Liefergebühr nach Abzug aller Kosten für Waren und Zustellung nur 25 Cent übrig – vorausgesetzt, 1 100 Bestellungen pro Tag treffen ein. Allerdings liegt der durchschnittliche Warenkorbwert derzeit bei rund 20 Euro und der monatliche Umsatz pro Kunde bei gerade mal 115 Euro. Bei anderen Diensten sehen die Margen nicht viel besser aus.

Warum liefern sich die Bringdienste also einen ruinösen Wettbewerb in einer Branche, in der die Aussichten auf Gewinne so mager sind? Es ist vor allem die Hoffnung auf eine lukrative Zukunft, die den Markt für Lebensmittellieferungen boomen lässt. Einer Studie des Handelsforschungsinstituts IFH zufolge ist der Umsatz im Online-Handel mit Lebensmitteln in Deutschland im vergangenen Jahr um 58 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro gestiegen. Und die Wachstumsraten dürften hoch bleiben. So könnte der Umsatz bis zum Jahr 2025 nach einer Prognose des IFH auf mehr als 13 Milliarden Euro steigen. Dann würden mehr als fünf Prozent aller Lebensmittel in Deutschland online verkauft werden.

Weltweit betrug der Umsatz von Online-Lebensmittellieferdiensten zuletzt rund 107 Milliarden US-Dollar. Das Marktvolumen werde jährlich um durchschnittlich 12,2 Prozent zulegen und 2024 über 182 Milliarden US-Dollar erreichen, prognostizieren die Marktforscher des Datenanbieters Statista in ihrem »Online Food Delivery Report 2020«. Das meiste Wachstum wird es demnach in China geben, dem mit Abstand größten Markt; dort dürften 2024 über 650 Millionen Kunden Lieferdienste in Anspruch nehmen.

Wer am Ende den Wettkampf um den potentiell lukrativen Markt gewinnen wird, hängt von mehreren Faktoren ab, darunter die Höhe der Gebühren und die Preise. Entscheidend ist es, sich gleich zu Beginn möglichst viele Kunden und Liefergebiete zu sichern. Nur so können Fahrer voll ausgelastet werden, nur so können dauerhaft mehr Kunden gewonnen werden.

Wenn die Gebiete irgendwann aufgeteilt sind, dürfte eine Konsolidierungsphase folgen, die nur wenige Anbieter überleben. Ähnlich lief die Entwicklung bereits bei den Restaurant-Lieferdiensten. In Deutschland hat sich Lieferando durchgesetzt, weltweit ist Delivery Hero mittlerweile einer der größten Anbieter. Vergleichbares spielte sich nach der Deregulierung des deutschen Fernbusmarktes ab. Mittlerweile hat Flixbus einen Marktanteil von 95 Prozent, nachdem das Unternehmen die größten Mitbewerber übernahm oder mit ihnen fusionierte.

»Move fast and break things« lautete schon Mark Zuckerbergs Devise: schnell wachsen und expandieren. Wer in der Anfangsphase große Marktanteile erobert, kann später den Markt dominieren oder zumindest seine Anteile teuer an einen kommenden Monopolisten verkaufen.

Voraussetzung dafür ist, über genügend Kapital für die Expansion zu verfügen. Mit der neuen Einlage von Delivery Hero will Gorillas europaweit expandieren und die Lieferkonkurrenz durch Kampfpreise unterbieten. Bislang sind Investoren bereit, Risikokapital zuzuschießen, denn am Ende lockt der große Preis. Sie hoffen auf einen Coup, der im stationären Einzelhandel noch niemandem geglückt ist: ein Unternehmen, das europaweit Marktmacht gegenüber seinen Lieferanten auf­bauen kann. Ein solches Unternehmen könnte dann bislang dominante Einzelhandelskonzerne wie Aldi, Lidl oder Edeka angreifen.