Small Talk mit mit Silke Klumb von der Deutschen Aidshilfe über Covid-19 und Aids

»Rund 22 Prozent weniger HIV-Tests«

Small Talk Von Marie Frank

Vor 40 Jahren tauchte die Pandemie Aids zum ersten Mal auf und wurde zum weltweiten Schreckgespenst. Rund 80 Millionen Menschen haben sich bislang mit dem HI-Virus angesteckt. Heutzutage beherrscht die Covid-19-Pandemie den Alltag. Die Jungle World sprach mit Silke Klumb, der Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Bekämpfung der beiden Infektionskrankheiten und darüber, wie Covid-19 den Kampf gegen Aids erschwert.

Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen der Coronakrise und der Situation in den achtziger Jahren?

Ja, aber wir sehen auch Unterschiede. Ein wichtiger ist die Sterblichkeit: Wer vor Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapie gegen HIV im Jahr 1996 – 15 Jahre nach den ersten Aidsfällen – eine HIV-Diagnose bekam, war damit praktisch zum Tode verurteilt. Bei Covid-19 ist die Sterblichkeit viel geringer. Auch die Infektionswege und damit das Infektions­risiko sind anders: HIV wird vor allem beim ungeschützten Sex und durch gemeinsame Nutzung von Spritzen beim Drogengebrauch übertragen. Ähnlich ist hingegen die Stigmatisierung durch Sprache – zum Beispiel mit Begriffen wie »Schwulenpest« oder »Wuhan-Virus«. Bei Corona wie HIV ist eine gesellschaftliche Lernstrategie am wirksamsten, also ein auf Fakten und Aufklärung basierender Weg, solidarisch mit den Risiken umzugehen.

Hat die Politik schnell genug auf die neue Pandemie reagiert?

HIV und Aids betreffen vor allem Gruppen, die sowieso schon gesellschaftlich ausgegrenzt sind. Wir wissen heute, dass Menschen in prekären Wohn- und Arbeitsverhältnissen deutlich stärker betroffen sind, dennoch sind bei Corona faktisch alle gefährdet. Deswegen reagierte auch die Politik schneller. Bis Politikerinnen und Politiker dagegen die Aids-Krise endlich ernst nahmen, waren schon viele Zehntausend Menschen gestorben.

Was hat sich in den vergangenen 40 Jahren bei der Bekämpfung von Aids getan?

Das Wichtigste ist die Entwicklung und ständige Verbesserung der antiretroviralen Medikamente. Sie ermöglichen bei früher Diagnose und frühem Behandlungsbeginn eine normale Lebenserwartung bei weitgehender Beschwerdefreiheit. Auch herrscht mittlerweile ein breiter Konsens, dass HIV beziehungsweise Aids nicht ohne Veränderung der sozialen Strukturen eingedämmt werden kann, denn Rassismus, LGBTIQ-Feindlichkeit, Geschlechterungerechtigkeit, ungleicher Zugang zur gesundheitlichen Versorgung und viele andere Faktoren bestimmen entscheidend mit, wer besonders gefährdet ist und wer seine Gesundheit schützen kann. Ein augenfälliges Beispiel ist ähnlich wie bei Covid-19 der Zugang zu Medikamenten – noch immer bekommen viele Menschen mit HIV keine Medikamente, und zwar insbesondere in ärmeren Ländern des Globalen Südens.

Erschwert die Covid-19-Pandemie den Kampf g­egen Aids?

Ja. Insbesondere global, aber auch bei uns fehlen Ressourcen. Gleichzeitig sind wir stolz, dass die Aids-Hilfen sehr kreativ ihre Angebote aufrechterhalten oder so früh wie möglich wieder aufgenommen haben. Aber dennoch: Weltweit wurden 2020 rund 22 Prozent weniger HIV-Tests vorgenommen, weil viele Ange­bote geschlossen waren oder Menschen im Lockdown nicht zum Arzt gegangen sind. Ähnlich sieht es bei Tuberkulosetherapien aus, deren Zahl um 18 Prozent zurückging – und Tuberkulose ist global die häufigste Todesursache bei Menschen mit HIV.