In Rumänien opponiert die rechte Partei AUR gegen die Einführung des Holocaust als Unterrichtsgegenstand

Wenig Wissen über den Holocaust

In Rumänien polemisiert die rechte AUR gegen die geplante Einführung eines Schulfachs über den Holocaust. In der rumänischen Bevölkerung ist der Beitrag Rumäniens zur Shoah trotz guter Forschungslage weitgehend unbekannt.

Das neue Jahr beginnt in Rumänien politisch mit einem Skandal. Die rechte Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) hatte in einem Schreiben an das Bildungsministerium die Einführung eines Schulfachs über die Geschichte des Holocaust und Sexualerziehung in der Schule abgelehnt. Beide Unterrichtsthemen seien in jüngster Zeit aufgewertet worden, während der AUR zufolge wichtigere Themen wie rumänische Sprache und Literatur, Geschichte und die exakten Wissenschaften abgewertet worden seien. Sarkastisch forderte die AUR das Bildungsministerium auf, sich in »Ministerium zur Umerziehung für den globalen Markt« umzubenennen, damit man wenigstens wisse, woran man sei. Der israelische Botschafter in Rumänien, David Saranga, aber auch rumänische Politikerinnen und Politiker reagierten empört auf die Äußerungen der AUR, entsprechende Kommentare fanden sich in den Medien.

Am 15. November hatte der rumänische Senat ein Gesetz beschlossen, das vorsieht, im Herbst 2023 an weiterführenden und Berufsschulen ein neues Schulfach einzuführen: »Geschichte der Juden. Der Holocaust«, so die wörtliche Übersetzung inklusive Punkt im Namen. Bisher konnten Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe dieses freiwillig als Profilfach wählen, nun soll es für alle verpflichtend werden. Das Gesetz hatte der Vertreter der jüdischen Minderheit im rumänischen Parlament, Silviu Vexler, erarbeitet, alle Fraktionen außer der der AUR hatten es angenommen. Jede anerkannte ethnische Minderheit hat in Rumänien einen ­Anspruch auf einen Parlamentssitz.

Dass Unterricht über die Shoah in ­Rumänien dringend geboten ist, zeigen Umfragen über den Wissensstand der Bevölkerung zum Thema. Wie eine Erhebung im Auftrag des rumänischen Elie-Wiesel-Instituts für die Erforschung des Holocaust in Rumänien vom Dezember gezeigt hat, wissen nur 32 Prozent der Rumäninnen und Rumänen überhaupt, dass der Holocaust auch in Rumänien stattgefunden hat – als Verbrechen des faschistischen, mit den Na­tionalsozialisten verbündeten Regimes von Ion Antonescu (1940 bis 1944). Alexandru Florian, der Leiter des Instituts, schreibt auf die Frage der Jungle World, wie es um die Erinnerung an den Holocaust bestellt sei, es gebe einerseits ein offizielles Gedenken an die Opfer, aber andererseits eine Verherrlichung von Kriegsverbrechern, also der Täter im Holocaust. »Wir haben es mit einer widersprüchlichen Erinnerung zu tun. Es gibt keine Konfrontation der Erinnerungen, sondern vielmehr zwei parallele Erinnerungen«, so Florian. Das Gesetz von 2002, das die Leugnung des Holocaust verbietet, funktioniere nicht, meint er. Das geplante Schulfach hält er für eine sehr gute Idee: »Schauen wir, wie das Gesetz ausgestaltet wird.«

Nach dem Ende des Realsozialismus hat Ion Iliescu, der das Ausmaß der Judenvernichtung in Rumänien zuvor noch heruntergespielt hatte, schließlich 2004 als erster rumänischer Präsident ohne Wenn und Aber Rumäniens Verantwortung für den Holocaust anerkannt. Er hatte eine internationale Kommission aus Historikern und Repräsentanten von jüdischen Gemeinden sowie Israels eingesetzt, die den Holocaust in Rumänien aufarbeiten sollte. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass das Regime unter Antonescu für die ­Ermordung von 280 000 bis 380 000 Jüdinnen und Juden verantwortlich war. Das rumänisch besetzte Transnis­trien sei zu einem »gigantischen killing field für Juden« geworden, heißt es da­rin; die Befehle für den Genozid in ­Rumänien und in den von der rumä­nischen Armee besetzten Gebieten seien vom rumänischen Regime in Bukarest gegeben worden, nicht vom deutschen in Berlin.

Antonescu ließ sich dabei vom traditionellen rumänischen Antisemitismus motivieren. Dieser prägte auch christ­liche und nationalistische Parteien und die faschistische Bewegung der »Legion Erzengel Michael«, auch »Legionäre« genannt, aus der die Eiserne Garde hervorging, bei denen Antonescu sich beliebt machen wollte. Im christlich-mys­tizistischem Nationalismus der Legion stellten die Juden den Sündenbock schlechthin dar und der Anführer der Bewegung, Corneliu Zelea Codreanu, hatte in seinen Schriften zur Vernichtung der Jüdinnen und Juden aufgerufen.

Tatsächlich beteiligten sich viele Rumäninnen und Rumänen am Genozid. Während manche Beamtinnen und ­Beamte Schutzgeld von Jüdinnen und Juden akzeptierten und sie dafür verschonten, bereicherten sich viele andere an geraubtem jüdischem Eigentum. In zahlreichen Briefen wurde Antonescu um Gnade für Jüdinnen und Juden ­gebeten, andere drängten ihn, sie noch erbarmungsloser zu verfolgen. All das ist in Rumänien nur wenig bekannt. Umfragen zufolge gilt Antonescu der Mehrheit als großer Führer. Auf ihn wird eine Sehnsucht nach Ordnung projiziert.

Nach dem Krieg flüchteten manche überlebende Legionäre und Mitglieder der Eisernen Garde ins westliche Ausland. Einige andere nahmen Ernst Jüngers Schrift »Der Waldgang« wörtlich und verübten aus Verstecken im Wald heraus Anschläge im stalinistischen Rumänien. Doch auch das Regime unter Nicolae Ceaușescu (1965 bis 1989) stärkte den Nationalismus, um sich ­außenpolitisch von der UdSSR zu eman­zipieren und sich innenpolitisch größere Legitimation zu verschaffen. Ceau­șescu ging unter anderem so weit, sich offiziell als Conducător (Führer) titulieren zu lassen – wie einst Antonescu.

Nach dem Sturz des Regimes Ceaușescus profitierte auch die Ideen­tradition der Legionäre von der neu gewonnenen Meinungsfreiheit und erstarkte im Umfeld von religiösen Gruppen oder faschistischen Kleinparteien wie der Noua Dreaptă (Neue Rechte) – und heutzutage eben der AUR. Eine Aufwertung des Unterrichts über den ­Holocaust und die Geschichte der Jüdinnen und Juden in Rumänien könnte zumindest den nachfolgenden Generationen helfen, zu verstehen, wohin s­olche Ideologie ihr Land schon einmal geführt hat.