Die neue honduranische Präsidentin Xiomara Castro steht vor großen Herausforderungen

Hohe Erwartungen an Castro

In Honduras steht die linke designierte Präsidentin Xiomara Castro vor großen politischen Problemen. Sie muss es mit Klientelismus und Korruption in Justiz und Politik aufnehmen.

Die Euphorie der ersten Wochen nach der Wahl hat sich gelegt. »Natürlich ist es nach wie vor überwältigend, dass wir nach zwölf Jahren, in denen wir von einer korrupten und demokratiefeindlichen Clique um Juan Orlando Hernández regiert wurden, nun erstmals eine demokratisch legitimierte Präsidentin haben, die alles besser machen will. Doch das wird schwer«, meint Rodolfo Peñalba. Der 48jährige ist Geschäftsführer der Kaffeegenossenschaft Comsa, die rund 1 600 Mitglieder hat.

Diese Woche soll Xiomara Castro von der linken Partei Libre als Präsidentin vereidigt werden. Nach dem Militärputsch gegen den liberalen Präsidenten José Manuel Zelaya 2009 hatte die konservative Nationale Partei (PNH) das Land regiert, ab 2010 zunächst unter Präsident Porfirio Lobo Sosa, seit 2014 unter Hernández. Peñalba befürchtet, dass die neue Regierung mit viel politischem Widerstand rechnen müsse, und macht vor allem die Sitzverteilung im Einkammerparlament verantwortlich: »Unser Nationalkongress hat 128 Sitze. Davon hat die Koalition von Xiomara Castro aber nur 60. Sie muss sich also Mehrheiten suchen. Die sind nötig, um etliche der Gesetze, die ihr Vorgänger Juan Orlando Hernández oft zu Gunsten einer korrupten Führungsschicht durchgebracht hat, rückgängig zu machen.«

»Honduras könnte Modell stehen für Guatemala, Nicaragua oder El Salvador. Hier bietet sich eine historische Chance für ganz Mittelamerika.« Claudia Samayoa,  Menschenrechtsverteidigerin

Zwei Drittel der Stimmen, also 85 Mandate, sind in den meisten Fällen nötig, um umstrittene Gesetze wie das über die Sonderwirtschaftszonen Zede (Zonen für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung) von 2013, das vor allem Linke, Menschenrechtler und Umweltschützer kritisieren, rückgängig zu machen. Erwartet wird, dass der PNH unter Hernández, die über 44 Mandate verfügt, jedoch an den Zede festhalten will. Castro hingegen hat sich in ihrem Wahlprogramm klar dazu bekannt, diese abschaffen zu wollen. Dafür hat sie zwei Möglichkeiten. »Sie kann versuchen, die Stimmen durch geschicktes Verhandeln im Parlament zusammenzubekommen oder aufs Ganze zu gehen und ein Referendum zu initiieren«, meint Miriam Miranda, Koordinatorin der Organización Fraternal Negra Hondureña (Ofraneh), der wichtigsten Interessenvertretung schwarzer Menschen in Honduras. Miranda setzt sich für die Rechte der afrokaribischen Minderheit der Garifuna ein.

Die zweite von Miranda benannte Vorgehensweise wird derzeit immer wahrscheinlicher, denn seit dem Wochenende ist Libre im Parlament geschwächt. Mit Luis Redondo von der Partei Salvador de Honduras (PSH) und Jorge Cálix, ursprünglich Libre, haben sich gleich zwei Abgeordnete am Sonntag in konkurrierenden Wahlgängen zum Parlamentspräsidenten wählen lassen: Redondo mit den Stimmen von 48 Abgeordneten und der Unterstützung der designierten Präsidentin, Cálix mit 79 Stimmen, darunter die 44 der PNH sowie die 18 abtrünniger Libre-Abgeordneter. Die 18 Abtrünnigen inklusive Cálix wurden von Castro wegen der parallelen Wahl aus Libre ausgeschlossen. Die Unterstützung der PNH für Cálix deutet darauf hin, dass er ein Abkommen mit den Konservativen geschlossen haben könnte. Gerüchte weisen ebenfalls in diese Richtung. So soll er von der zweitgrößten honduranischen Bank Ficohsa sowie prominenten Unterstützern der Zede unterstützt werden.

Bisher bestehen drei Sonderwirtschaftszonen, eine vierte ist in Vorbereitung. Gerüchte kursierten, dass weitere 22 kommen sollen, so Miranda. Gegen die Sonderwirtschaftszonen – nicht nur an der Karibikküste des Landes, wo die meisten Garifuna leben – engagiert sie sich seit 2012. Bereits 2011 hatte der Kongress das Gesetz über besondere Entwicklungsgebiete (REDs) verabschiedet, das 2012 allerdings für verfassungswidrig erklärt wurde. 2013 wurde die Verfassung geändert und das Gesetz über die Zede verabschiedet.

Die Zede haben enorme negative Folgen für die lokale Bevölkerung. Sie sind autonome Gebiete mit eigener Währung, eigenem Steuer- und Bildungssystem sowie eigener Verwaltung, de facto sollen die Territorien nicht mehr der nationalen Souveränität unterstehen, um den Investoren freie Hand zu geben. »Für uns ist das eine neue Form der Kolonisierung – dagegen wehren wir uns«, sagt Miranda. »Am Ende müssen wir noch Pässe vorweisen, um uns auf unserem zuvor eigenen Territorium bewegen zu können.«

Bis Castro und eine neue Regierung es schaffen, die entsprechenden Gesetze zu ändern, die dem korrupten Apparat unter Hernández zugute kamen, könnten Jahre vergehen. Die Wahl von zwei Parlamentspräsidenten stürzt das Land in eine institutionelle Krise, die dies noch schwieriger macht, befürchten Analysten wie Joaquín Mejía, Jurist und Mitarbeiter des jesuitischen Forschungs- und Kommunikationszen­trums Eric. Die Menge an heiklen Gesetzen, die korrigiert werden müssten, ist immens. Dazu gehört auch das Strafgesetzbuch. Mitte 2020 wurde es novelliert, dabei wurde das Strafmaß für Vergewaltigung reduziert, obwohl deren Zahl in Honduras extrem hoch ist.

Ein Team von Mitarbeitern und Beratern Castros ist in den vergangenen Wochen durchs Land gereist, um Gespräche mit NGOs, sozialen und politischen Organisationen sowie Expertinnen und Experten über nötige Änderungen zu führen. Dass viele Gruppen in der Bevölkerung sehr hohe Erwartungen hegen, sehen Unterstützer Castros wie Peñalba auch als Problem. »Wir brauchen einen strukturellen Wandel. Das braucht Zeit und Visionen. Dafür sind Experten mit Entwicklungsideen nötig«, so der Kaffeebauer, der sich für ökologischen Anbau in der Kaffeeregion Marcala einsetzt. Dort hat er es mit einem Team von engagierten Experten geschafft, die Müllkippe der gleichnamigen Stadt Marcala mit einer Biogas-, Recycling- und Kompostierungsanlage auszustatten. Derartige Initiativen wären in vielen Kommunen sinnvoll. Auch Miranda hat in ihrer Gemeinde nachhaltige Anbaumethoden gefördert.

Die Justiz ist in Honduras mehrheitlich noch mit Personal besetzt, das der Clique um Hernández die Treue hält. Castro möchte deshalb eine Kommission gegen die Straflosigkeit wie diejenige in Guatemala (Internationale Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala, CICIG) ins Land holen, um Klientelismus und Korruption besser bekämpfen zu können. Der Antrag an die Vereinten Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist bereits vorbereitet. Bislang dominiert das korrupte Netzwerk auch die Gerichte und juristischen Berufsverbände. De facto sorge dies dafür, dass die Rechtsprechung mehr oder minder käuflich sei, so Mejía. Ein Instrument wie die juristische Expertenkommission »könnte Wunder wirken, wenn es die nötige internationale Unterstützung erhält«, so der Anwalt. Weil er Probleme klar benennt, erhielt er schon öfter Drohungen. Mehrfach musste er ins Ausland gehen, weil Attentate gegen ihn befürchtet wurden.

Vielen Menschen, die sich öffentlich für soziale und Menschenrechte sowie ein demokratisches Honduras einsetzen, ergeht es wie Mejía, weshalb sie besser geschützt werden müssten. Bei der Unterstützung der Reformen im Justizsystem kommt den USA, aber auch der EU eine wichtige Rolle zu. Sie sollten den Demokratisierungsprozess in Honduras unterstützen, weil er für die ganze Region überaus wichtig sei, meint Claudia Samayoa, die als Gründerin und Koordinatorin der Organisation UDEFEGUA (Schutzorganisation für Guatemalas Menschenrechtsverteidiger) international bekannt ist: »Honduras könnte Modell stehen für Guatemala, Nicaragua oder El Salvador. Hier bietet sich eine historische Chance für ganz Mittelamerika.« Doch die institutionelle Krise macht es fraglich, ob diese Chance ergriffen werden kann.