Die britische Debatte, wie man mit Kapitalanlagen russischer Oligarchen umgehen soll

Ein sicherer Hafen

Regierungsnahe russische Oligarchen haben in Großbritannien großen Einfluss. Sie profitieren vom kaum regulierten Finanzmarkt und der Duldsamkeit der konservativen Regierung.

In der Ukraine-Krise gibt sich Großbritannien vordergründig als einer der besonders entschlossenen Nato-Staaten. Kämpferische Rhetorik und Drohungen gegen Russland waren von Premierminister Boris Johnson und Außen­ministerin Liz Truss zu hören. Großbritannien hat auch Panzerabwehrwaffen an die Ukraine geliefert und deren Streitkräfte in der Benutzung ausgebildet. Doch viele Briten und internationale Beobachter, und nicht zuletzt auch die USA, fürchten, dass die angedrohten ökonomischen Sanktionen gegen Russland und seine Oligarchen gerade in Großbritannien unterlaufen werden könnten.

Ende Januar hatte ein Bericht des Center for American Progress, eines der Demokratischen Partei der USA nahestehenden Think Tanks, daran erinnert, wie stark russischer Einfluss in Großbritannien ist. Es sei eine Herausforderung, so der Bericht, den regierungstreuen russischen Oligarchen in London finanziell zuzusetzen, denn sie seien insbesondere mit den regierenden Konservativen, aber auch mit der Presse ­sowie der Immobilien- und Finanzwirtschaft eng verbunden.

Die Londoner Börse ist zu einem wichtigen Bindeglied zwischen dem russischen Staat und der globalen Finanzwirtschaft geworden.

Dabei zitierte der US-amerikanische Bericht fast wörtlich aus Unterlagen, die der Sicherheits- und Geheimdienstausschuss des britischen Parlaments im Jahr 2020 in seinem Russland-Bericht veröffentlicht hatte. Darin stellten die Abgeordneten fest, dass »russischer Einfluss in Großbritannien die neue Normalität« sei. Kremlnahe Oli­garchen seien derart integriert, dass jegliche Maßnahmen der Regierung zu spät kämen, um diesen Einfluss zu beenden. Man könne den Schaden nur mehr begrenzen.

Vorausgesetzt wird dabei, dass die britische Regierung tatsächlich derartige Maßnahmen ergreifen will. Doch daran bestehen erhebliche Zweifel.

Edward Faulks, Baron Faulks, ein angesehener Anwalt und ehemaliger konservativer Staatssekretär, hatte 2017 und noch einmal 2018 versucht, neue Gesetze gegen Geldwäsche und Finanzdelikte durchzusetzen. Beide Male pfiff ihn die damalige Premierministerin Theresa May zurück; die Regierung habe ihn »aufgefordert, die Gesetzesvorlagen fallenzulassen«, sagte Faulks der Tageszeitung Guardian. Man habe ihm erklärt, die Regierung arbeite selbst an einem Gesetz. »Ich wurde hinters Licht geführt, denn seit dieser Zeit ist nichts passiert.«

Auch Tom Tugendhat, der konservative Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im britischen Unterhaus, bemängelte die Tatenlosigkeit der Regierung. Er ist ein prominenter Kritiker des Premierministers und hat jüngst seine eigenen Ambitionen kundgetan, die Konservativen zu führen. Auf Twitter schrieb er: »Schmutziges Geld ist seit Jahrzehnten ein Problem, aber es ist wie ein Gift, dass immer tiefer in unser System einsickert.«

Russische Oligarchen fühlen sich ­angezogen von London. Dessen Status als globales Finanzzentrum basiert nicht zuletzt darauf, Menschen mit viel Geld willkommen zu heißen, ohne ­viele Fragen zu stellen. Seit der radikalen Deregulierung der britischen Finanzwirtschaft zu Beginn der achtziger Jahre unter Premierministerin Mar­garet Thatcher haben die britischen Regierungen den Finanzstandort London immer weiter gestärkt. Den Finanzfirmen wurde erlaubt, immer neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und immer mehr Regulationen zu umgehen. Gesetze wurden mit Ausnahmen aufgeweicht und die Steuerraten niedrig gehalten.

Teil des komplexen und vielschichtigen Sektors, der dadurch entstanden ist und derzeit circa neun Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, sind auch Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, private ­Vermögen zu verwalten. Ihren Kunden bieten diese Firmen unter anderen an, Geld vor dem Zugriff von Polizei und Steuerfahndern, vor Enteignungsversuchen oder schlicht vor unangenehmen Nachforschungen zu schützen.

Lange war die Haltung des laissez-faire gegenüber der Finanzwirtschaft in Großbritannien ein überparteilicher Konsens. So hat das Land zwar ein öffentlich einsehbares Katasterbuch und Firmenregister, dennoch ist oft nicht klar, wem eine ­Immobilie gehört. Fast 100 000 britische Immobilien sind Eigentum auslän­discher Firmen, nur vier davon sind offiziell im Besitz russischer Unternehmen. Die meisten anderen, so ist seit der Veröffentlichung der »Pandora Papers« bekannt, werden von Scheinfirmen in britischen Überseegebieten wie den British Virgin Islands verwaltet, oft für Mitglieder der russischen Führungsschicht.

Begünstigt wird der britische Finanzstandort zudem durch eine Besonderheit des Einwanderungsrechts. Bereits 1994 führte die britische Regierung ein sogenanntes Investorenvisum ein. Gegen die Investition von mindestens zwei Millionen Pfund erhalten Ausländer Aufenthaltsrecht, der erste Schritt zur Staatsbürgerschaft. Wo investiert wurde und woher das Geld kommt, wurde lange nicht weiter hinterfragt; der Kauf einer teuren Immobilie, zum Beispiel in Chelsea oder im Westend Londons, genügte. Seit 2008 sind fast 15 000 russische Staatsbürger mit ­einem sogenannten Goldenen Visum nach Großbritannien gekommen, vor allem nach London, weswegen britische Medien gerne über »Londongrad« spötteln.

Es geht längst nicht mehr nur um Steuerhinterziehung oder Geldwäsche für private Zwecke. Die Londoner Börse ist auch zu einer wichtigen Verbindung zwischen dem russischen Staat und der globalen Finanzwirtschaft geworden. Dies gilt insbesondere, seit wegen der russischen Annexion der Krim internationale Sanktionen verhängt wurden. So werden zum Beispiel Aktien der von US-Sanktionen betroffenen Firma EN+ an der Londoner Börse gehandelt – mittels sogenannter Hinter­legungsscheine (Global Depository Receipts), die das Eigentum an Aktien verbriefen, die der Käufer nicht direkt erwerben kann oder darf. So werden die Sanktionen umgangen.

Die Aktivitäten der russischen Führung in Großbritannien beschränken sich auch nicht auf den Finanzbereich. Regierungskritiker und in Ungnade Gefallene wie der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter und Doppelagent Sergej Skripal müssen um ihr Leben fürchten. 2018 vergifteten Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes GRU Skripal und seine Tochter in der britischen Kleinstadt Salisbury, beide überlebten, nachdem sie mehrere Wochen in kritischem Zustand im Krankenhaus verbracht hatten.

Auch das britische Rechtssystem wird gerne genutzt, um gegen Kritiker der russischen Regierung vorzugehen. Spezialisierte Anwaltsfirmen haben in den vergangenen Jahren unter anderem die Journalisten Catherine Belton und Tom Burgis vor britische Gerichte gezerrt. Oft handelt es sich um so­genannte strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung, die nicht darauf zielen, ein Gerichtsverfahren zu gewinnen, sondern Beklagte durch die zu ­befürchtenden Kosten und den hohen Aufwand einzuschüchtern und so zum Schweigen zu bringen.

Auf politische Maßnahmen wird gezielt Einfluss genommen. Der erwähnte Bericht des britischen Parlaments kam zu der Einschätzung, dass Russland versucht habe, Großbritannien zum Austritt aus der EU zu bewegen. Der Bericht lässt zwar offen, ob dies den Ausgang des Referendums beeinflusst hat, wirft allerdings der britischen Regierung vor, kaum auf diese Einflussnahme reagiert zu haben.

Der Bericht wurde im Wahlkampf 2019 zu einem Politikum. Boris Johnson weigerte sich, den bereits fertiggestellten Bericht vor den Wahlen zu veröffentlichen – er erschien erst 2020, erheblich redigiert. Die Tories hatten von signifikanten Spenden aus den Kreisen russischer Oligarchen profitiert.

Es mangelt nicht an Ideen, wie dem wachsenden Einfluss Russlands entgegengewirkt werden könnte. In den USA gibt es inzwischen in vielen Bundesstaaten Gesetze gegen Klagen, die auf Einschüchterung zielen. Großbritan­nien hat ein solches Gesetz bislang nicht. Auch mehr Transparenz im Immobi­lienrecht könnte rechtlich erzwungen werden. Bereits seit 2016 kündigt die britische Regierung ein entsprechendes Gesetz an, geschehen ist bisher nichts. Ein Gesetz gegen Finanzdelikte, ähnlich dem, das Lord Faulks 2018 vorgeschlagen hatte, wurde in der jüngsten Regierungserklärung erneut aufgeschoben.

In der vergangenen Woche handelte die Regierung dann doch. Sie kündigte an, dass das Goldene Visum mit sofortiger Wirkung abgeschafft werde. Ob damit in der eskalierenden Ukraine-Krise einen grundsätzlicher Wandel der britischen Politik beginnt, bleibt fraglich.