Small Talk mit Deborah ­Hellmann über eine Grundlagenstudie zu Femiziden

»Weder Familiendrama noch Sextäter«

Small Talk Von Anke Schwarzer

Alle drei Tage wird in Deutschland dem Bundeskriminalamt zufolge eine Frau von ihrem Partner oder ehemaligen Partner getötet. Hinzu kommen die Morde an Frauen durch ihnen unbekannte Täter. Eine Grundlagenstudie über Femizide, also die Tötung von Frauen aus Frauenhass, untersucht nun die sozialen Kontexte und Motive solcher ­Taten. Die »Jungle World« sprach mit Deborah Hellmann, Professorin für Psychologie und Mitarbeiterin am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, das an der Studie beteiligt ist.

Wie möchten Sie und Ihre Kollegen die Studie angehen?

Zunächst führen wir Expertengespräche mit Fachanwältinnen und Richterinnen, mit Ermittlerinnen von Polizei und Staatsanwaltschaft, mit Vertreterinnen verschiedener Opferschutzverbände und mit psychosozialen Prozessbegleiterinnen. Dann analysieren wir Strafverfahrensakten von Fällen, in denen Frauen getötet oder Opfer einer Körperverletzung mit Todesfolge wurden. Auch Tötungsversuche werden einbezogen. Die Betroffenen können wir nicht befragen, da sie tot sind, und diejenigen, die einen Tötungsversuch überlebt haben, interviewen wir aus forschungsethischen Gründen nicht.

Wie groß ist die Datenbasis der Akten abgeschlossener Fälle?

Ausgewertet werden 250 bis 300 Akten der Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2017. Diese Datenbasis bildet etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung ab und spiegelt die Situation der großen Flächenländer wie auch der Stadtstaaten.

Warum beginnt die Studie erst jetzt?

Das Thema Femizide hat mittlerweile Einzug in die Gesellschaft gehalten. Und es ist klar geworden, dass wir in Deutschland keine zuverlässigen Daten darüber haben, wie viele Femizide es gibt, zumal eine einheitliche Definition fehlt. Aber wir können mit einer Arbeitsdefinition starten: Femizid ist die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind, und nicht weil sie, wie zum Beispiel bei einem Autobahnraser, ein zufälliges Opfer sind.

Was könnte die Studie Ihrer Ansicht nach be­wirken?

Im Strafgesetzbuch gibt es bislang das Delikt Femizid nicht. Die Studie könnte bewirken, dass ein solches eingeführt wird, wobei dies nicht das primäre Ziel ist. Wir analysieren, wie die Justiz mit Femiziden umgeht, welche Strafen verhängt werden. Stellen wir fest, dass die Perspektive der weiblichen Opfer in Strafverfahren systematisch vernachlässigt wird, dann könnten weitere Schritte folgen für Personen, die mit solchen Fällen betraut sind. Wir wissen etwa, dass häusliche Gewalt ein Risikofaktor, ein häufiger Vorläufer des Femizids ist. Wenn Angriffe gegen den Hals des Opfers nicht als Tötungsversuch, sondern regelmäßig als Körperverletzung gewertet würden, wäre das zum Beispiel eine wichtige Erkenntnis, die zu Schulungen von Staatsanwaltschaften und Richterinnen führen könnte.

Die Studie kann auch eine Sensibilisierung des Umfelds fördern, Frauenschutzeinrichtungen stärken und präventiv wirken. Sie kann in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Risikofaktoren schaffen. Wünschenswert wäre auch, dass die Medien dann nicht mehr länger von einem »Familiendrama« oder einem »Sextäter« sprechen, wenn es sich um ­Femizide handelt.