Ein nicht rechtskräftiges Urteil erlaubt dem Verfassungsschutz, die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen

Verdächtig rechtsextrem

Das Verwaltungsgericht Köln hat entschieden, dass die AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werden darf. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht.

In weniger als zehn Jahren hat die AfD einen enormen Aufstieg vollzogen. Im Jahr 2013 gegründet, sitzt die Partei heutzutage in Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag, sie hat Abgeordnete im EU-Parlament, in allen Landes- und in zahlreichen Kommunalparlamenten. In den östlichen Bundesländern behauptet sie sich seit einigen Jahren stabil bei rund 20 Prozent. In Ostsachsen und Südbrandenburg entscheidet sich etwa jeder dritte Wähler für die AfD. Insbesondere dort scheint sie nicht trotz, sondern wegen ihrer völkisch-nationalistischen Positionen unterstützt zu werden. In Thüringen zum Beispiel war die AfD Umfragen zufolge im Februar mit 24 Prozent der Stimmen die beliebteste Partei. Der dortige AfD-Landesverband um seinen Landtagsfraktionsvorsitzenden Björn Höcke wird vom Thüringer Verfassungsschutz bereits seit einem Jahr als »erwiesen rechtsextrem« eingestuft.

Seit die Partei existiert, entwickelt sie sich immer weiter nach rechts. Als Frauke Petry 2015 den Parteivorsitz der AfD übernahm, wurde weithin vor einer Rechtsentwicklung in der Partei gewarnt, als Petry 2017 die Partei verließ, hatten die völkischen Kreise schon längst das Ruder übernommen. Zuletzt versuchte der Parteivorsitzende Jörg Meuthen – der seinen Aufstieg einem Bündnis mit dem völkischen sogenannten Flügel der Partei verdankte –, der Beobachtung durch den Verfassungsschutz durch ein zumindest nach außen hin gemäßigteres Auftreten zuvorzukommen. Scheinbar konnte er sich nicht durchsetzen und trat im Januar von seinem Amt zurück. Die Entscheidung erklärte er auch mit der stetigen Rechtsentwicklung der Partei. Er erkenne »ganz klar totalitäre Anklänge«.

Dem Gericht zufolge konnte der Verfassungsschutz keine ausreichenden Belege dafür vorlegen, dass der »Flügel« überhaupt noch existiere.

Der Verfassungsschutz hatte diese bereits Jahre andauernde Entwicklung erst 2019 registriert und die AfD zu einem Prüffall erklärt. Damit konnte der Geheimdienst die Partei zwar beobachten, durfte jedoch nur auf öffentlich zugängliche Quellen zurückgreifen. Nachdem der Verfassungsschutz dies zwei Jahre lang getan hatte, wurde die Partei im Jahr 2021 als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Zu diesem Zeitpunkt waren schon die Landesverbände in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als rechtsextremistische Verdachtsfälle geführt, wie verschiedene Medien berichteten.

Gegen die Einstufung der Gesamtpartei als rechtsex­tremer Verdachtsfall ging die AfD juristisch vor. Sie reichte insgesamt vier Klagen gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz ein. Im Mittelpunkt stand die Frage der Einstufung der Partei selbst. Daneben zweifelte die AfD an, dass es sich bei der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) um einen Verdachtsfall und beim sogenannten Flügel um eine »gesichert rechtsextremistische Bestrebung« handelte. Ebenfalls zur Disposition stand, dass dieser Flügel, also die besonders radikalen völkischen Kräfte um Björn Höcke, 7 000 Mitglieder habe, wie der Geheimdienst behauptet.

Vergangene Woche hat das Verwaltungsgericht in Köln bestätigt, dass die AfD als Ganzes als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werden könne. Das Urteil könnte für die Partei weitreichende Konsequenzen haben, sollte es rechtskräftig werden. Der Verfassungsschutz könnte dann geheimdienstliche Mittel zur Überwachung der Partei einsetzen. Er könnte zum Beispiel V-Leute in der gesamten Partei anwerben – bisher war das nur in den schon als Verdachtsfall eingestuften Landesverbänden möglich. Neben dem Einsatz von Spitzeln dürfte der Verfassungsschutz Telefone und Räume ohne richterlichen Beschluss abhören, E-Mails mitlesen und Zusammenkünfte observieren.

Darüber hinaus würde es für Staatsbedienstete schwieriger, ihre Tätigkeit mit der Mitgliedschaft in der Partei zu vereinbaren. Wegen der Verpflichtung zur Treue zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung könnten Polizistinnen, Soldatinnen, Lehrerinnen, Staatsanwälte oder Richterinnen Probleme bekommen, wenn sie Mitglied in einer als extremistisch eingestuften Partei sind. Nicht jedes AfD-Mitglied im Staatsdienst müsste jedoch mit disziplinarrechtlichen Maßnahmen rechnen, dies liegt im Ermessen der jeweiligen Behörden und müsste im Einzelfall juristisch begründet werden.

Einen Teilerfolg erzielte die AfD jedoch bei ihrer Klage zum sogenannten Flügel. Dem Gericht zufolge konnte der Verfassungsschutz keine ausreichenden Belege dafür vorlegen, dass dieser »Flügel« überhaupt noch existiere. Im April 2020 hatte der AfD-Parteivorstand die Selbstauflösung des Flügels gefordert, wohl um einer geheimdienstlichen Überwachung vorzubeugen. Björn Höcke erklärte damals, man werde diesem Beschluss nachkommen. In der Praxis dürfte das jedoch kaum Folgen gehabt haben, da der »Flügel« nur informell existiert hatte und alle seine Anhänger auf ihren Parteiposten verblieben.

Das Verwaltungsgericht urteilte nun jedoch, dass der »Flügel« nicht als »erwiesen rechtsextreme Bestrebung« beobachtet werden könne, weil seine Existenz nicht eindeutig nachweisbar sei. Dieser Urteilsspruch stellt einige Landesämter, wie zum Beispiel in Sachsen, womöglich vor Probleme. In dem Verfassungsschutzbericht Sachsens von 2020 nahm der »Flügel« mehrere Seiten ein. Die AfD könnte nun darauf bestehen, dass diese geschwärzt oder gelöscht werden.

So oder so sind die Auseinandersetzungen der AfD mit den Verfassungsschutzämtern noch lange nicht abgeschlossen. AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla gab nach dem Kölner Urteil bekannt, dass man die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht teile und sorgsam prüfen werde, weitere Rechtsmittel gegen den Beschluss einzulegen. Möglich wäre ein Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht Münster.