»Walk on the Wild Side« – Neue Kolumne über eine Wanderung auf dem Pacific Crest Trail

Auszeit in High Heels

Walk on the Wild Side. Zwei Schwule – ein Wanderweg.

So ziemlich jeder Thru-hiker, der heutzutage den 4 265 Kilometer langen US-amerikanischen Pacific Crest Trail läuft, verwurstet die Wanderung entweder zu einer Selfmade-Youtube-Doku (verwackelte Handyaufnahmen vom Boden, Hintergrundrauschen, dann setzt ein Lied von irgendeiner Indie-Band ein, dazu ein Voice-over: »I’ve never felt so much freedom in my life … «), schreibt ein Buch darüber oder macht ein »art project« daraus, um neben der Darstellung seiner selbst ein bisschen cashflow für die nächste »journey« zu generieren.

Hollywood entdeckte den PCT 2014 mit »Wild«, der Verfilmung von Cheryl Strayeds gleichnamigem autobiographischem Buch: ein auf Sinnsuche und Ekelbilder reduziertes Filmchen, das mit der Realität kaum etwas gemein hat. Spätestens da war der PCT im Mainstream angekommen, und auch »Gilmore Girls« ließen in ihrem Comeback 2016 die Hauptfigur ­Lorelai zumindest versuchen, den Pfad zu wandern, was ihr dann aber doch zu viel Selbstverwirklichung war.

Auch der deutsche Büchermarkt hat den PCT und das Reisen als Weg zur Selbstoptimierung für sich entdeckt. So findet man Titel wie »Mit 50 Euro um die Welt – Wie ich mit wenig in der Tasche loszog und als reicher Mensch zurückkam«, »Fräulein Draußen: Wie ich unterwegs das Große in den kleinen Dingen fand«, »Tausche Alltag gegen Leben: Meine Reise ins Glück«, »Gehen, um zu bleiben: Wie ich in die Welt zog, um bei mir anzukommen« oder »Die geilste Lücke im Lebenslauf: 6 Jahre Weltreisen«. Diese Liste ließ sich ziemlich lange fortführen. Gemeinsam haben diese Titel alle das Versprechen, durch Ent­sagung, Minimalismus, Mut und Achtsamkeit das große Glück, den inneren Frieden und Reichtum zu finden. Eine romantisierte Vorstellung von »Das Glück liegt auf der Straße«, der man bequem von der heimischen Couch aus frönen kann, und obendrein wird man noch mit Sinnsprüchen und Binsenweisheiten versorgt, die klingen, als seien sie direkt aus der Feder von ­Paulo Coelho geflossen, dem Meister des seichten Geschnatters.

Als Ausnahme sei Christine Thürmer genannt. In ihrem Bestseller »Laufen. Essen. Schlafen.« (man beachte: der Titel kommt ohne die Wörter »Reichtum« oder »Glück« aus) beschreibt sie ihre Reise auf dem PCT und mahnt die Leserinnen und Leser, dass man selbst als sinnsuchender Wanderer eine Verdauung und somit auch Ausscheidungen hat. So schön kann die Reise zu (und in) sich selbst sein.

Jetzt, obwohl eigentlich schon viel zu spät (manchmal braucht es eben einen Moment der Reflexion und des Innehaltens, um die aktuellen Trends zu entdecken), sind auch wir endlich drauf und dran, dem Ruf der Freiheit und der Selbsterkenntnis zu ­folgen und unsere Komfortzone hinter uns zu lassen.
Was bewegt uns wirklich dazu, den PCT zu laufen? Vielleicht hat es tatsächlich ein wenig mit »Auszeit«, »Selbstfindung« und »dem Alltag entfliehen« zu tun.

Der eigentliche Grund ist jedoch natürlich fame, Glanz und Gloria, wenn wir als Erste in High Heels den PCT laufen werden. Okay, das stimmt jetzt auch nicht ganz. Stöckelschuhe wurden zwar in Betracht gezogen, allerdings machen da Knie- und Rückenleiden einen Strich durch die Rechnung.

Wieso braucht es also jetzt eine Reisekolumne über den PCT? Braucht es nicht, aber es wird sicherlich unterhaltsam.