Russische Kriegsgegner betreiben im Exil das linke Medienprojekt Posle

Für die Zeit danach

Linke russische Kriegsgegner schaffen sich im Exil eine Plattform, um ohne Angst vor staatlicher Zensur Kritik an der Regierung zu veröffentlichen. Damit wollen sie den Aufbau einer Antikriegsbewegung unterstützen.

Gehen oder bleiben? Die russische Invasion der Ukraine stellte russische Regierungsgegner vor eine schwierige Entscheidung. »Ich liebe Russland. Ich bin Patriot meines Landes, und ich hatte nie vorgehabt, es zu verlassen, sondern wollte immer versuchen, die Situation von innen zu beeinflussen«, schrieb der Politikwissenschaftler Ilya Matveev im Mai auf seinem Twitter-Account. »Doch mein Land hat mich und andere wie mich, die diesen Krieg niemals akzeptieren werden, abgewiesen.« Zu emigrieren sei hart, so Matveev, doch gebe das die Möglichkeit, sich weiter gegen den Krieg auszusprechen.

Anfang Juni gründete Matveev gemeinsam mit dem Historiker Ilya Budraitskis und anderen Kriegsgegnern das Medienprojekt Posle (Danach), das aus linker Perspektive die russische Regierung kritisieren soll. »Ich kenne Aktivisten, die in Russland geblieben sind und jede direkte Kritik am Krieg vermeiden müssen. Stattdessen versuchen sie, über die wirtschaftlichen Probleme, die der Krieg bringt, zu sprechen, was nach wie vor halblegal ist«, sagt Budraitskis im Gespräch mit der Jungle World. Das Ziel ihres Projektes sei es, ohne Angst vor staatlicher Zensur eine klare Kritik an der russischen Regierung zu formulieren, um den »Aufbau einer breiten und demokratischen Antikriegsbewegung« zu unterstützen, wie es im Gründungsaufruf von Posle heißt. Denn trotz aller Repression und Propaganda seien Teile der russischen Bevölkerung gegen den Krieg gestimmt, meint Budraitskis. Diese Stimmung sei noch sehr still und verberge sich, aber sie wachse. Deshalb sei es nötig, in rus­sischer Sprache Widerspruch gegen den Krieg zu veröffentlichen und die Propaganda und ideologischen Mythen der Regierung zu kritisieren.

Viele oppositionelle Medienschaffende haben seit Kriegsbeginn Russland verlassen, um ihre Arbeit im Ausland fortzusetzen, so etwa Journalisten der Zeitung Nowaja Gaseta. Anders als die oft liberal eingestellten russischen Oppositionsmedien soll Posle einen klaren linken Standpunkt vertreten. »Wir können den Krieg nicht unabhängig von der enormen sozialen Ungleichheit und der Machtlosigkeit der arbeitenden Mehrheit betrachten«, heißt es auf der Website. Ebenso wenig sei von der »imperialistischen Ideologie«, die mit Militarismus und Xenophobie den Status quo in der russischen Gesellschaft stütze, abzusehen. »Die Armen werden für diesen Krieg bezahlen«, sagt Budraitskis. »Auch die russische Armee hat einen starken Klassencharakter, es sind die armen Männer aus den Provinzstädten, die in diesen Krieg ziehen müssen, weniger die aus Moskau oder Sankt Petersburg.«

Die Texte von Posle erscheinen auf Russisch und auf Englisch, denn sie richten sich auch an ein internationales linkes Publikum. Auch ukrainische Sichtweisen und Autoren will das Portal publizieren. Eine der ersten Veröffent­lichungen war ein Interview mit der ukrainischen Professorin an der Natio­nalen Universität in Charkiw, Irina Zherebkina, einer Koryphäe der Gender Studies im postsowjetischen Raum.

Ukrainische Autoren zu veröffent­lichen, diene auch der Aufklärung der russischen Bevölkerung, so Budraitskis. »Es ist eine der Tragödien dieses Krieges, dass die Ukraine für viele Russen, die der Regierungspropaganda ausgesetzt sind, ein fast unbekanntes Land geworden ist. Sie haben völlig verzerrte Vorstellungen von der ukrainischen Gesellschaft«, sagt der His­toriker.

Ein umfangreiches Interview mit Ilya ­Budraitskis erscheint online auf jungle.world.