China und Russland nähern sich einander an, doch China verfügt auch über gute Beziehungen zur Ukraine

Lavieren und exportieren

Bei seiner Asienreise im Mai hat US-Präsident Joe Biden sowohl Russ­land als auch China kritisiert. Das lässt die beiden Länder offenbar noch enger zusammenrücken, doch China hat auch enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zur Ukraine.

Bei seinem Besuch in Japan am 23. Mai sagte US-Präsident Joe Biden, sein russischer Amtskollege Wladimir Putin müsse »einen hohen Preis für seine Barbarei in der Ukraine zahlen«, sonst erkenne China möglicherweise nicht, welchen schwerwiegenden Konsequenzen das Land ausgesetzt wäre, sollte es versuchen, Taiwan militärisch einzunehmen. Die USA würden Taiwan im Falle eines Angriffs der Volksrepublik mili­tärisch beistehen. Die chinesische Regierung protestierte sofort gegen diese »Einmischung in innere Angelegenheiten«, da sie Taiwan als abtrünnige ­Provinz betrachtet.

Bereits 2021 hatte Biden von einem Kampf der »Demokratien« gegen die »Autokratien« gesprochen. Er hat auch die unter Präsident Barack Obama verkündete Strategie des »pivot to Asia« wieder forciert. Sie zielt darauf ab, die Präsenz der USA im Pazifikraum und ihre dortigen militärischen Verbündeten zu stärken. Südöstlich von China unterhalten die USA Militärstützpunkte in Südkorea und Japan. Mit seiner ­Asienreise im Mai wollte Biden auch das Quad genannte sicherheitspolitische Bündnis zwischen den USA, Indien, Japan und Australien stärken; alle vier Länder fühlen sich von China bedroht.

Die chinesische Regierung hat nie offen Kritik an Russlands Invasion der Ukraine geübt.

Zusätzlich plant die US-Regierung, eine neue Wirtschaftszone mit verbündeten Ländern zu schaffen, das Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity (Ipef). China ist davon ausgeschlossen. US-Außenminister Antony Blinken sagte in einer Grundsatzrede zur China-Politik am 26. Mai, das Ziel sei, die globalen Lieferketten neu zu ordnen, um die Abhängigkeit von der Volksrepublik zu überwinden, insbesondere bei Technologien, die als relevant für die »nationale Sicherheit« ­bewertet werden.

Es ist fraglich, ob China bei der Auseinandersetzung mit den USA im indopazifischen Raum von Russland Unterstützung erwarten kann. Russland ist der wichtigste Waffenlieferant Indiens und Vietnams, die beide sehr angespannte Beziehungen zu China haben und sich in Ipef einbinden lassen, ohne die westlichen Sanktionen gegen Russland mitzutragen. Die russischen und chinesischen Streitkräfte hielten zwar einige gemeinsame Manöver ab – eines just während Bidens Besuch über dem Japanischen Meer –, aber einen militärischen Beistandsvertrag zwischen beiden Ländern gibt es nicht.

Seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar bekräftigt die chinesische Regierung ihre Position: Sie hat bisher keine offene Kritik an Russlands Invasion geübt, ruft jedoch zu einem sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen auf. Die territoriale Integrität beider Staaten müsse gewahrt werden. China unterstützt also keine Verschiebung der Grenzen zugunsten Russlands. Auch die russische Annexion der Krim 2014 hat die chinesische ­Regierung nicht anerkannt. In der UN-Vollversammlung enthielt sich die Volksrepublik wie viele Länder des Globalen Südens am 2. März bei der Abstimmung über die Resolution, die den russischen Einmarsch verurteilte. Allerdings stimmte China gegen den Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat. Die westlichen Sanktionen gegen Russland lehnt die chinesische Regierung ab.

Die Angebote der Volksrepublik, im Ukraine-Krieg zu vermitteln, haben bisher sowohl die USA und ihren engen Verbündeten als auch Russland ignoriert. Bei dem Online-Gespräch am 18. März mit dem chinesischen Präsident Xi Jinping warnte Biden diesen vor Konsequenzen, falls China Russland im Krieg materiell unterstützen sollte. Bisher hat die US-Regierung China keine Zugeständnisse angeboten, falls die chinesische Regierung stärker auf Distanz zur russischen gehen sollte. Von der Regierung Donald Trumps 2018 verhängte Strafzölle gegen Importe aus China sind immer noch in Kraft. Zumindest hat Biden deren Überprüfung angekündigt, nicht zuletzt ­wegen der hohen Inflation in den USA.

Es scheint Konsens innerhalb der US-Führung zu sein, dass die Entscheidung in der Ukraine militärisch fallen und eine Schwächung Russlands über den Krieg hinaus bewirkt werden soll. Am 4. April äußerte allerdings der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba in einem Telefongespräch mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi die Hoffnung, China könne vermittelnd auf Russland einwirken. In einem Interview Ende April forderte Kuleba Sicherheitsgarantien Chinas für die ­Wahrung der Souveränität seines Landes. Beide Länder ­haben 2013 einen Freundschaftsvertrag geschlossen, in dem sie einander Unterstützung beim Schutz ihrer territorialen Integrität zusichern. Diesen Vertrag hatte noch die prorussische Regierung unter Präsident Wiktor Januko­wytsch (2010–2014) ausgehandelt. Die chinesische Regierung sieht sich jedoch nicht in der Pflicht und betont ihre Neutralität.

Vor Beginn der russischen Invasion der Ukraine war China mit Abstand der größte Handelspartner des Landes. 2020 kamen 54 Prozent der Importe der Ukraine aus China und 46 Prozent der Exporte gingen dorthin. Aufgrund des Embargos für Militärgüter, das die USA und die EU 1989 gegen China verhängt haben, ist die Volksrepublik bei der Modernisierung ihrer Streitkräfte stark von russischer und ukrainischer Technologie abhängig. Nach der Verschlechterung der russisch-ukrainischen ­Beziehungen infolge des Maidan-Aufstands 2014 kaufte China statt russischer in großen Ausmaß ukrainische Technologie für Luftwaffe, Marine, ­U-Boote und Flugzeugträger sowie für Raumfahrt und Nukleartechnologie. Bemerkenswerterweise war die ukrainische Regierung sogar bereit, Hochtechnologie zu liefern, die Russland China verweigert hatte, um den eigenen technologischen Vorsprung nicht zu verlieren.

Die Ukraine konnte die ökonomischen Folgen des Zerwürfnisses mit Russland durch die Zusammenarbeit mit China abfedern. Seit 2017 ist die Ukraine Teil des gigantischen Infrastrukturprojekts »Belt and Road Initiative« (auch »Neue Seidenstraße« genannt) und spielt eine wichtige Rolle in bei der geplanten Land- und Seeverbindung von China nach Europa. Der ukrainische Außenminister Kuleba sagte deshalb, dass der Krieg das Ende dieses Projekts bedeuten könnte, was nicht im chine­sischen Interesse wäre.

Trotz der guten Beziehungen zur Ukraine betont die Volksrepublik ihre enge Freundschaft und strategische Partnerschaft mit Russland. In westlichen Medien wird diese Beziehung als natürliche Allianz von »Autokratien« dargestellt. Die Geschichte der Beziehungen ist jedoch wechselhaft. Nachdem Spannungen im Zuge eines chinesisch-sowjetischen Grenzkonflikts 1969 beinahe zu einem Krieg geführt hatten, näherten sich beide Länder erst Ende der achtziger Jahre wieder an. In den frühen neunziger Jahren konnten China und Russland schließlich ihre historischen Grenzstreitigkeiten beilegen. Die gemeinsame Grenze ist über 4 200 Kilometer lang. Auch deshalb ist das Verhältnis zueinander von zentraler strategischer Bedeutung für beide Länder. Bisher ist Russland zurückhaltend bei chinesischen Vorschlägen, die Grenzgebiete gemeinsam wirtschaftlich zu entwickeln; offenbar fürchtet die russische Führung chinesische Unterwanderung durch Migration und Wirtschaftsmacht.

Lange zielte die Außenpolitik beider Länder unabhängig voneinander auf eine Anerkennung als globale Macht durch die USA. Nach der Verhängung der westlichen Wirtschaftssanktionen wegen der Annexion der Krim 2014 war es vor allem Russlands Präsident Wladimir Putin, der die Nähe zu China suchte und auch die Infrastruktur für russische Energieexporte in Richtung Osten ausbauen wollte. Die sinorussischen Wirtschaftsziehungen blieben jedoch asymmetrisch. Das Bruttoinlandsprodukt Russland ist mit dem der chinesischen Provinz Guangdong vergleichbar. 2020 waren die USA mit einem Anteil über 17 Prozent der wichtigste Abnehmer chinesischer Ex­porte. Russland kam mit zwei Prozent lediglich auf Platz 14. Dagegen ist ­China für Russland der wichtigste Handelspartner, mit dem es über 18 Prozent des Außenhandels abwickelte. Russland ist mittlerweile der zweitgrößte Kohle- und Erdöllieferant sowie der drittgrößte Erdgaslieferant Chinas.

Die Bildung eines sinorussischen Blocks galt jahrzehntelang als Alptraumszenario für die US-Außenpo­litik. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass nun eine US-Regierung diese Blockbildung unter der Parole des Kampfs ­gegen »Autokratien« befördert. Das bricht mit den traditionellen Vorstel­lungen einflussreicher US-amerikanischer Geostrategen, entweder China gegen Russland (Henry Kissinger) oder Russland gegen China (wie es der »Neorealist« John Mearsheimer wünscht) auszuspielen. Dass eine Vermittlung Chinas im Ukraine-Krieg von den USA oder Russland willkommen geheißen werden könnte, ist ­derzeit nicht zu erwarten.