Myanmars Militärregime scheitert mit einem Dialogangebot an Rebellenorganisationen

Friedensprozess als Farce

Myanmars Militärregime hat die Rebellenarmeen der ethnischen Minderheiten zu einem neuen Dialog eingeladen. Die wichtigsten von ihnen boykottieren aber die Gespräche.

Die Zahl der Binnenflüchtlinge in Myanmar ist nach Angaben der Vereinten Nationen erstmals auf über eine Million gestiegen. Allein seit dem Militärputsch vom 1. Februar 2021 hätten fast 700 000 Einwohnerinnen und Einwohner des südostasiatischen Landes ihre Heimatorte verlassen müssen, heißt es in der am 31. Mai publizierten Stellungnahme des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA). Sie haben sich zu einer sechsstelligen Zahl von Menschen gesellt, die schon in den Jahren zuvor wegen eskalierter Konflikte aus verschiedenen Regionen des Landes fliehen mussten. Zum Vergleich: Myanmar hat etwa 55 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, etwas weniger als Italien.

Zwar handelt es sich bei der Angabe von mindestens einer Million Menschen nur um eine grobe Schätzung, da fast alle ausländischen Berichterstatter das Land verlassen haben, unabhängige einheimische Medienschaffende nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit haben und auch internationale Hilfsorganisationen kaum noch präsent sind. Doch so ungenau und schwer verifizierbar die Zahl ist: Sie illustriert ein Leiden der Zivilbevölkerung, das in mehreren Landesteilen kaum mehr steigerbar scheint.

Das Portal »Myanmar Now« berichtete am 5. Juni von Tausenden desertierten Soldaten.

Schon länger eskalieren die Kämpfe des Tatmadaw, der Streitkräfte der Putschistenregierung unter General Min Aung Hlaing, gegen die Volksverteidigungskräfte (People’s Defence Forces, PDF) der demokratischen Gegenregierung (National Unity Government of the Republic of the Union of Myanmar, NUG) und verbündete lokale Milizen. Dazu gesellen sich erbitterte neue Gefechte zwischen Truppen des Regimes und Einheiten der diversen Rebellenorganisationen der ethnischen Minderheiten. 135 dieser Bevölkerungsgruppen sind neben den die Mehrheit stellenden Bamar (Burmesen) offiziell anerkannt. Ihre zwei Dutzend bewaffneten Organisationen stehen schon seit Jahrzehnten mit der Zentralmacht im Konflikt.

Es war der Vielfrontenkrieg im Innern, dem sich das Regime nun ausgesetzt sieht, der Min Aung Hlaing diplomatisch in die Offensive gehen ließ: In einer Fernsehansprache am 22. April lud er die Rebellen (nach myanmarischem Sprachgebrauch Ethnic Armed Organizations, EAO) zu einem neuen Dialog ein. Der Friedensprozess für ein Nationales Waffenstillstandsabkommen (NCA) hatte schon unter der semizi­vilen Übergangsregierung von Präsident Thein Sein (2011–2016) begonnen. Die demokratische Regierung der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) unter der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi (2016–2021) hatte in der folgenden Legislaturperiode diese Bestrebungen mit noch größerem Elan vorangetrieben. Wäre die NLD nicht durch den Putsch entmachtet worden, hätte sie nach ihrem erneuten Wahlsieg im November 2020 das Ziel verfolgt, Myanmar in ein föderales Staatswesen umzuwandeln. Immerhin zehn EAO waren bis dahin dem NCA beigetreten.

Der Putschistenführer Min Aung Hlaing lässt allerdings ein Grundkonzept für seinen Dialog vermissen. Überhaupt wirkte sein Vorstoß eher notgetrieben und wenig durchdacht. Bis zum 9. Mai sollten sich die Gruppen melden. Zwar gingen zehn auf das Angebot ein, allerdings handelte es sich dabei um Organisationen, die schon seit Jahren de facto als befriedet gelten oder zumindest derzeit nicht in Kämpfe mit der Armee verwickelt sind. Gerade jene militärisch starken EAO, die dem Regime erheblich zusetzen, lehnten die Einladung entweder öffentlichkeitswirksam ab oder ignorierten sie schlicht. Was bisher an Gesprächen stattfand, wurde so zur Farce.

Am 30. Mai traf sich Min Aung Hlaing mit Vertretern des politischen Arms der United Wa State Army (UWSA), der United Wa State Party (UWSP), angeführt von deren stellvertretendem Vorsitzenden U Lau Yaku. Beide Seiten betonten danach, man habe einen generellen Konsens über eine Autonomie­regelung für die Siedlungsgebiete der Bevölkerungsgruppe der Wa erzielt. Treffend konstatierte das unabhängige Nachrichtenportal Mizzima am 6. Juni, die getrennte und »private« Art der Gespräche gewähre den Rebellen keine kollektive Verhandlungsmacht, aber beiden Seiten des jeweiligen Austausches »Kontrolle über die Darstellung der Resultate«.

Vor dem Treffen mit der UWSP hatte das Regime schon mit dem Restoration Council of Shan State (RCSS), der New Mon State Party und der Karen National Union (KNU)/Karen National Liberation Army – Peace Council gesprochen. Die demokratische Gegenregierung NUG konterte dies mit einer Erklärung, dass es sich bei den Putschisten aus ihrer Sicht um ein terroristisches Regime handle und etwaige Vereinbarungen mit ihnen deshalb nichtig seien. Selbst die UWSP ließ sich insofern nicht vereinnahmen, als sie am 31. Mai erklärte, sie beziehe keine Stellung für das Regime oder die NUG, sondern betrachte deren Konflikt als »interne Angelegenheit« der Bamar-Mehrheitsbevölkerung.

Dafür riefen ebenfalls Ende Mai drei andere EAO – Chin National Front (CNF), KNU und Karenni National Progressive Party (KNPP) – gemeinsam mit der NUG die Vereinten Nationen und das Internationale Rote Kreuz auf, humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung nicht über das Regime zu verteilen. Diese drei Gruppen sind es zudem, die Neuzugängen der PDF, der Volksverteidigungskräfte der NUG, in begrenztem Umfang militärisches Grundtraining bieten. Ebenso gibt es gemeinsame Operationen. KNU, CNF und KNPP hatten auch schon in einer gemeinsamen Erklärung die Gesprächsofferte des Regimes vom April zurückgewiesen. Ohne Einbeziehung von NUG und PDF sei ein Dialog sinnlos, so die Kernaussage. Ganz ähnlich positionierte sich die Kachin Independence Army (KIA). Die Ta’ang National Liberation Army (TNLA) dementierte sogar, überhaupt eine Einladung erhalten zu haben – beteiligen werde man sich ohnehin nicht. Die wie KIA und TNLA zur sogenannten Nordallianz gehörende Arakan Army (AA) warnte das Regime vor neuen Eskalationen im Teilstaat Rakhine.

Derweil mehren sich Berichte über mutmaßliche Kriegsverbrechen des Tatmadaw wie Morde an Zivilisten oder das Niederbrennen ganzer Ortschaften – eine Taktik, die zuletzt vor allem während der brutalen Militäroffensive im Herbst 2017 in Rakhine angewandt wurde und rund 740 000 Rohingya über die Grenze nach Bangladesh flüchten ließ. Das Portal Myanmar Now berichtete am 5. Juni von Tausenden Soldaten, die inzwischen desertiert seien. Viele andere haderten noch mit einem solchen Schritt, der ihre Familien in Gefahr bringen würde. Etwa 3 000 sollen sich seit dem Putsch sogar schon der Widerstandsbewegung angeschlossen haben, heißt es seitens der NUG, dazu etwa die doppelte Anzahl an Polizisten.