Medien berichten über vereitelte iranische Anschläge auf Israelis in Istanbul

Gefährlicher Urlaub

Medienberichte über vereitelte Anschläge auf Israelis in Istanbul könnten auf eine wachsende Distanz der türkischen Regierung zum Iran hinweisen.

Dem türkischen Geheimdienst MİT und der Polizei soll es am 15. Juni in Zusammenarbeit mit dem israelischen Geheimdienst Mossad gelungen sein, einen Anschlag iranischer Agenten auf israelische Touristen in Istanbul zu verhindern, wie unter anderem die Times of Israel berichtete. In Berichten anderer Medien war von israelischen Diplomaten als Anschlagsziel die Rede. Ein israelischer Nachrichtensender zitierte eine nicht namentlich genannte Quelle aus dem Militär mit der Aussage, Israelis in Istanbul seien »nur Minuten von ihrem Tod entfernt« gewesen.

Der israelische Außenminister Yair Lapid forderte alle israelischen Staatsangehörigen auf, die Türkei wegen einer »realen und unmittelbaren Gefahr« so rasch wie möglich zu verlassen. Eine Touristengruppe wurde angewiesen, nicht ins Hotel zurückzukehren und sofort auszufliegen. Israel sprach eine Reisewarnung der höchsten Stufe für die Türkei aus. Neben geplanten Anschlägen war in den Medien auch von geplanten Entführungen die Rede.

Während die israelischen Medien spätestens am 18. Juni darüber berichteten, erschien ein erster Bericht in der türkischen Zeitung Hürriyet erst am 24. Juni. Ohne Quellenangabe berichtete diese, der Mossad habe eine Gruppe von Ausländern verfolgt. Diese habe sich im selben Hotel im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu einquartiert, in dem auch eine israelische Reisegruppe abstieg, zu der die Ehefrau eines pensionierten Diplomaten gehört habe. In dem Hotel und in einer tageweise vermieteten Wohnung in Beylikdüzü, einer Vorstadt etwas außerhalb von Istanbul am Marmarameer, seien fünf Verdächtige festgenommen worden, die sich noch immer in Polizeigewahrsam befänden, also bisher keinem Haftrichter vorgeführt worden seien. Zwei Pistolen und zwei Schalldämpfer seien sichergestellt worden. Dem Bericht ist ein sehr unscharfes Foto von Festnahmen auf der Dachterrasse eines Wohnhauses beigefügt.

Der am selben Tag in der englischsprachigen Hürriyet Daily News erschienene Bericht weicht von der türkischen Ausgabe erheblich ab. Demnach wurden »annähernd zehn« Verdächtige einschließlich lokaler Kollaborateure festgenommen, und zwar in einem Hotel und in drei Mietwohnungen in Beyoğlu. Als Datum wird der 17. Juni genannt. Während im türkischen Text in Hinsicht auf die israelischen Touristen nur von der Ehefrau des pensionierten Diplomaten die Rede war, meldet der englische, dass beide Eheleute dabei gewesen seien. Wieder fehlt die Angabe einer Quelle.

Außerdem erwähnt Hürriyet Daily News in diesem Zusammenhang die Festnahme von acht mutmaßlichen iranischen Agenten in der Provinz Van, nicht weit von der iranischen Grenze am 13. Oktober 2021. Ihre Aufgabe soll es gewesen sein, einen ehemaligen iranischen Soldaten zu entführen, der mit den Initialen M. A. bezeichnet wird. Das ist das einzige Mal, dass einer der beiden Berichte einen Namen nennt.

Dass iranische Infiltrationen in der Türkei sowohl in Israel wie auch in der Türkei zum Thema wurden, dürfte mit politischen Interessen zusammenhängen. Der mit israelischer Hilfe vereitelte Anschlag wurde zu einem Zeitpunkt aufgedeckt, als die israelische Regierung bereits ihre parlamentarische Mehrheit verloren hatte. Am 20. Juni wurden Neuwahlen im Oktober angekündigt. Da kam eine Erfolgsmeldung der kriselnden Koalitionsregierung von Ministerpräsident Naftali Bennett und Außenminister Yair Lapid nicht ungelegen; am 23. Juni reiste Letzterer nach Ankara und bedankt sich bei seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu für den Einsatz des MİT. Israelische Bürger seien aufgrund der diplomatischen und sicherheitsrelevanten Zusammenarbeit zwischen Israel und der Türkei gerettet worden, sagte Lapid.

Die auffallende Schweigsamkeit türkischer Behörden in dieser Affäre deutet darauf hin, dass die Regierung im Konflikt zwischen dem Iran und Israel nicht eindeutig Stellung beziehen möchte; eine Tatsache, die in iranischen Regierungskreisen für Verstimmung sorgt. Am 22. Juni oder kurz davor wurde der Leiter und Gründer des Geheimdiensts der iranischen Revolutionsgarden, Hossein Taeb, abgelöst, angeblich wegen des Verdachts, interne Spionage bei den Revolutionsgarden nicht verhindern zu können. Taeb, ein Geistlicher mittleren Ranges, befehligte auch die für die Niederschlagung innerer Unruhen gebrauchte Basij-Miliz und gehört zu den Vertrauten des Obersten Führers Ali Khamenei, dessen Schüler er war. Seine Entlassung muss aber nicht unbedingt auf eine fehlgeschlagene Aktion in Istanbul zurückzuführen sein. Taeb kann in den 13 Jahren, in denen er den Geheimdienst der Revolutionsgarden leitete, auf eine lange Reihe von Niederlagen im Agentenkrieg mit Israel zurückblicken, und auch Revolten im Innern konnte er nur mit Mühe unterdrücken.

Immer wieder gelingen Israels Agenten Anschläge und Sabotageakte gegen das iranische Atomprogramm und den militärisch-industriellen Komplex. Der schwerste Schlag war die Tötung des Nuklearphysikers Mohsen Fakhrizadeh, eines Angehörigen der Revolutionsgarden, im Oktober 2020. Der mutmaßliche »Vater des iranischen Atomprogramms« starb bei einem Anschlag auf seine gepanzerte Limousine zusammen mit drei seiner elf Leibwächter. Der letzte Rückschlag für Taebs Organisation war eine Explosion in einer Raketenbasis bei Teheran am 20. Juni. Das könnte Khamenei dazu bewogen haben, Taeb zu entlassen.

Nach israelischer Lesart ging es dem Iran darum, durch Anschläge auf Israelis in Istanbul die Annäherung der Türkei und Israels zu stören. Die ist Teil einer Neuorientierung der türkischen Politik auch gegenüber Saudi-Arabien und Ägypten. Der Iran würde so zusehends isoliert. Weitere Spannungen zwischen der Türkei und dem Iran sind möglich, wenn Russlands Präsident Wladimir Putin wegen des Kriegs in der Ukraine seine Unterstützung für Bashar al-Assad in Syrien einschränken muss, was sich bereits andeutet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan könnte das nicht nur für einen Schlag gegen die Kurden ausnutzen, er könnte die Opposition gegen das vom Iran unterstützte Regime Assads stärken – natürlich den islamistischen Teil der Opposition, der Erdoğan genehm ist.