Helene Hegemann erzählt in »Schlachtensee« von Surfern, Schweinen und vom Sterben

Wilde Schweine

Platte Buch Von Holger Heiland

<p>Gleich auf den ersten Seiten ist es vorbei mit der Leichtigkeit eines Sommers an der französischen Atlantikküste.</p>

Gleich auf den ersten Seiten ist es vorbei mit der Leichtigkeit eines Sommers an der französischen Atlantikküste. Zwischen Surf-Shop und Strand­restaurant auf und ab laufend, erfährt die Erzählerin bei einem Telefonat mit ihrem Vater von dessen unheilbarem Krebsleiden. Der Vater will sich seinem Tod nun wahlweise leidenschaftlich hingeben oder revolutionär stellen und beruft sich dabei auf die Peanuts als Quell der Weisheit. »Snoopy, das Meer und ich« ist die Auftaktgeschichte in Helene ­Hegemanns Erzählband »Schlachtensee«, der 15 »radikale Lebensäußerungen« lose zu einem Panorama der Gegenwart zusammenfügt.

Mit großer Rasanz geht es weiter: Grelle Popmomente und wild an­einandergereihte Einfälle, die immer mal wieder auch vom gerade eingeschlagenen Erzählpfad wegführen, jagen einander. Neben krassen Gewaltträumen beanspruchen zärtlichere Bilder Raum, an manchen Stellen wirkt das Ringen um Verständnis für das alles grundierende Begehren fast rührend. Vielfach kolportierte Klischees, die ihren Bezug zum Tonfall früherer Bücher von Bret Easton Ellis nicht verstecken, gewinnen dabei kombiniert mit souverän eingebrachten Verweisen auf Klaus Theweleits Theoretisierung soldatischer Männerkörper, die Melancholie von Strindberg-Stücken und Überlegungen zu Geschlech­teridentitäten und Queerness neuen Glanz. Hinzu kommen leitmotivisch eingesetzte Naturbeschreibungen und jede Menge Tiere: Pfauen und alle möglichen anderen Vögel, aber auch Lämmer und – in der schönsten Geschichte – Wildschweine ziehen die Aufmerksamkeit der Erzählerin auf sich.

Insgesamt ergibt das ein in kraftvollen Farben leuchtendes Mosaik der Welt mit ihren Widersprüchen und immer noch nicht ausgetriebenen Sehnsüchten. Weil Hegemanns Erfindungsreichtum so sehr sprudelt, ist es sehr zu begrüßen, dass die Autorin nicht dem Rat eines der ­wenigen Verrisse zu ihrem vorhergehenden Roman »Bungalow« aus der Zeit gefolgt ist, es besser mal mit dem Genre des Memoir zu versuchen.

Helene Hegemann: Schlachtensee. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 272 Seiten, 23 Euro