Small Talk mit Rieke Wens, Pflegefachkraft in Ausbildung und Mitglied der Tarifkommission, über die Streiks an nordrhein-westfälischen Unikliniken

»Aufgeben ist keine Option«

Small Talk Von Tobias Brück

Seit zehn Wochen streiken Pflegekräfte und andere Beschäftigte an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen (Jungle World 23/2022). Die Gewerkschaft Verdi verhandelt mit den Klinikleitungen um einen »Tarifvertrag Entlastung«. Die »Jungle World« sprach mit Rieke Wens. Sie ist Pflegefachkraft in Ausbildung an der Uniklinik Münster und Mitglied der Tarifkommission.

Wie ist Ihre Stimmung nach über zwei Monaten Streik?

Es ist langsam ernüchternd. Wir streiken nicht, weil wir gerne streiken möchten, sondern weil wir sehen, wie notwendig es ist – für das Wohl der Patienten und für bessere Arbeitsbedingungen für uns Klinikmitarbeitende, denn wir können nicht mehr. Auch der Streik bringt uns an unsere Grenzen. Trotzdem ist Aufgeben für uns keine Option. Der Streik zeigt uns, wie stark wir sind, wenn wir uns ­organisieren.

Wie ist der Stand der Verhandlungen?

Momentan ist es so, dass Klinikbereiche, die direkt von den Krankenkassen finanziert werden, schon erste Angebote bekommen haben. Dies betrifft aber die Mehrheit der Beschäftigten nicht, also alle, die nicht direkt am Bett pflegen. Dazu zählen Therapeuten, Pflegekräfte der Notaufnahme, Servicekräfte, Transportdienste und so weiter. Diese Bereiche haben entweder sehr schlechte oder teil­weise noch gar keine Angebote erhalten. Aber wir sind eine Bewegung und werden keine Berufsgruppe fallenlassen. Die Spaltungsversuche der Arbeitgeber scheitern an unserer Solidarität.

Woran hakt es genau?

Die Arbeitgeber bewegen sich beim Kern des neuen Tarifvertrags bisher keinen Zentimeter. Wir fordern einen schichtgenauen Belastungsausgleich in Form von freien Tagen, wenn wir in Unterbesetzung arbeiten. Nach drei Schichten mit hoher Belastung wollen wir einen freien Tag bekommen. Zusätzlich wollen wir, dass die Personaluntergrenzen pro Schicht neu festgelegt und eingehalten werden. Derzeit mangelt es an der Bereitschaft der Arbeitgeber, mehr Personal einzustellen. Grundsätzlich geht es um eine Machtfrage. Wir nehmen unsere Arbeitsbedingungen selbst in die Hand, das passt einigen Klinikvorständen nicht.

Seit Ende Juni ist die neue nordrhein-westfälische Landesregierung im Amt. Der Landtag beschloss eine Änderung des Hochschulgesetzes, damit die Klinikleitungen mit Verdi einen Tarifvertrag aushandeln können, und nun erklärte Gesundheits­minister Karl-Josef Laumann (CDU), dass die Mehrkosten dafür vom Land getragen werden sollen. Was halten Sie davon?

Wir fordern, dass die Landesregierung ihre Finanzierungszusicherung einhält. Wir nehmen Laumann dabei beim Wort. All das, was im »Tarifvertrag Entlastung« beschlossen wird, muss vom Land bezahlt werden. Die Arbeitgeber sind am Zug, mehr Personal einzustellen. Die neue Landesregierung muss Druck auf die Klinikleitungen ausüben, endlich gute Angebote vorzulegen. Wir haben der Politik die Refinanzierung abgerungen, dafür gesorgt, dass der rechtliche Rahmen für den Tarifvertrag geschaffen wird, und uns der Schikane der Arbeitgeber, die unter anderem gegen den Streik geklagt hatten, widersetzt.

Denken Sie, dass Sie mit Ihrem Anliegen Erfolg haben werden?

Ja, wenn die schichtgenaue Personalbesetzung kommt, wird es einen Erfolg und damit einen Tarifvertrag geben, der das Gesundheits­system in Nordrhein-Westfalen verbessern wird. Ob es zum Abschluss kommt, liegt an der Arbeitgeberseite. Wir Beschäftigten sind ihnen entgegen­gekommen und haben bereits Forderungen zurückgestellt, etwa was das Patienten-Pflegekraft-Verhältnis pro Schicht oder die freien Tage für den Belastungsausgleich angeht.

Unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen haben wir schon einiges gewonnen, in dem wir uns vernetzt und Strukturen für den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen aufgebaut haben. Zudem haben wir ein Bewusstsein geschaffen, dass im Gesundheitssystem nicht die Profitmaximierung, sondern die Menschen im Mittelpunkt stehen sollten. Diesen Konflikt werden wir für uns entscheiden.