Eine Ausstellung in Berlin beschäftigt sich mit dem Tuntenhaus

Im Tuntentower

Das Tuntenhaus war ein in der Ostberliner Mainzer Straße nach dem Mauerfall besetztes Haus, in dem schwule Kommunisten lebten. Diese hatten viel zu kämpfen: gegen Neonazis und gegen die Polizei, die das Gebäude schließlich Ende 1990 räumte.

Als am 15. November 1990 Polizisten feixend durch die Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain zogen und dabei gefilmt wurden, wie sie eine ­Stereoanlage und persönliche Gegenstände aus den vollkommen verwüsteten Wohnhäusern trugen, war der Sommer der Anarchie zu Ende. Der Senat hatte seine »Berliner Linie der Vernunft« mit der Hilfe westdeutscher Polizeieinheiten gewaltsam gegen die Hausbesetzer der Mainzer Straße durchgesetzt. Bereits 1981 hatte der Westberliner Senat unter dem damaligen Bürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) festgelegt, dass keine Hausbesetzung nach ihrem Bekanntwerden länger als 24 Stunden bestehen bleiben dürfe. Diese Maßgabe fand nach der Eingliederung der DDR in die BRD auch im Ostteil der Stadt Anwendung. Vogel, mittlerweile SPD-Bundesvorsitzender, bezeichnete die gewaltsame Räumung damals lapidar als Herstellung von Recht, Sicherheit und sozialem Frieden.

Mit der Ausstellung »Tuntenhaus Forellenhof 1990 – Der kurze Sommer des schwulen Kommunismus« erinnert das Schwule Museum in Berlin an die Geschichte der Mainzer Straße Nr. 4 – eines der damals ins­gesamt 13 besetzten Häuser der Straße. »Die 4 ist das Tuntenhaus, der Tuntentower, das Geisterhaus der Straße, mit Abstand das hübscheste, das schönste, das kitschigste, das schrillste, der größte Stein des Anstoßes für alle Nachbarn und Nachbarinnen«, beschreibt Jacob, ein Besetzer der Mainzer Straße 8, das Tuntenhaus im Sommer 1990. Seit dem 1. Mai 1990 hatten circa 30 Tunten – mehrheitlich aus Westdeutschland – das Gebäude besetzt. Sie richteten ein Antiquariat für DDR-Literatur ein und betrieben die Bar »Forelle Blau«. Es gab regelmäßige Lesungen und Tuntenshows wie das eigene Format »Der Große Scheiß«.

Von der bürgerlichen Schwulenbewegung, die als kommerziell wahrgenommen wurde, grenzten sich die Bewohner des Tuntenhauses ab. Statt eines Aktivismus, der sich in der Frage um Repräsentation und Iden­tität erschöpft, war die Idee des Tuntenhauses immanent politisch. Die Enge der schwulen Subkultur war als eine Scheinfreiheit entlarvt worden, mit der man sich nicht zufriedengeben konnte. Die Kritik der Tunten galt dem Wunsch bürgerlicher Homosexueller nach bloßer Teilhabe an einer Gesellschaft, die auf Unterdrückung und Ausbeutung beruht. Die Diskriminierung von Schwulen sollte im Zusammenhang mit Klassengesellschaft und Patriarchat verstanden und kritisiert werden.

Aus der Sicht vieler bürgerlichen Medien und des Staats waren die Besetzer der Mainzer Straße »Chaoten«, die Verwüstung über Berlin gebracht hätten und den ordnungshütenden Polizisten nach dem Leben trachteten.

Das Gros der Bewohner verstand sich als schwule Kommunisten und zielte auf eine neue Gesellschaftsordnung. Sie lehnten die sogenannte Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ab und wollten einen anderen, besseren Sozialismus als den Staatskapitalismus der DDR – Positionen, die es auch in der linken DDR-Opposition gab und die heut­zutage weitestgehend von schwarzrotgoldenen Jubelbildern aus der ­offiziellen Erinnerungspolitik verdrängt worden sind.

Die vom ehemaligen Bewohner Bastian Krondorfer kuratierte Ausstellung wirft einen melancholischen Blick zurück auf das Tuntenhaus und seine Bewohner. Das Erinnern an das besetzte Haus ist nicht zu trennen vom Scheitern und dem ­jähen Ende dieses vielbeschriebenen Aufbruchs, der sich über die letzten Monate der DDR legte.

Zentrales Ausstellungsobjekt ist der begehbare Nachbau des Ess­zimmers der Mainzer Straße 4. Dieses wurde nach Bildern aus dem Dokumentarfilm »The Battle of Tuntenhaus« rekonstruiert. Ein noch nicht abgedeckter Frühstückstisch und ein randvoller Aschenbecher erwecken den Eindruck, die Bewohner seien eben erst aus diesem Raum verschwunden. Neben unscheinbaren Gegenständen wie alten Ausgaben des Neuen Deutschland oder einer Lenin-Wandplakette sticht eine an die Wand geklebte Liste mit Telefonnummern ins Auge. Sie erinnert an die Telefonkette, mit der sich die Bewohner der verschiedenen besetzten Häuser untereinander vor Angriffen von Neonazis warnten. Solche Objekte vergegenwärtigen die latente Bedrohung, der das Tuntenhaus von Anfang an ausgesetzt war.

Das nur wenige Kilometer entfernte Neonazi-Hausprojekt in der Weitlingstraße 122 entwickelte sich nach der Maueröffnung zu einer Anlaufstelle für gewaltbereite Nazis rund um die 1990 gegründete und einzige dezidiert rechtsextreme Partei der DDR, die Nationale Alternative. Nachdem auch Rechte Häuser in Ost-Berlin besetzt hatten, bot die städtische Wohnungsverwaltung das Objekt in der Weitlingstraße im Tausch gegen die besetzten Wohnungen an. In dem nunmehr legalisierten Hausprojekt horteten die Neonazis Waffen und richteten ihre Parteizentrale ein.

In der Mainzer Straße verübten Neonazis immer wieder Überfälle, die Verkleidung der Fenster mit Gittern und Holzklappen war für die ­Bewohner bald lebenswichtig, um sich vor in die Fenster geworfenen Molotowcocktails zu schützen.

Aus der Sicht vieler bürgerlichen Medien und des Staats waren die ­Besetzer der Mainzer Straße »Chaoten«, die Verwüstung über Berlin ­gebracht hätten und den ordnungshütenden Polizisten nach dem Leben trachteten. Offensichtlich war das der Versuch, den Zweck von Hausbesetzungen auf sinnlose Gewalt zu ­reduzieren und ihnen damit jeglichen sozialen wie auch politischen Gehalt abzusprechen. Chaotisch muteten die an, die sich nicht an die Regeln des Warentauschs hielten, und ganz besonders jene häuserbesetzenden Tunten, die in schrillen Frauenkleidern die heterosexuelle Piefigkeit herausforderten.

Die Wahrnehmung des Tuntenhauses, der Hass mancher Anwohner auf die Hausbesetzer inmitten der nationalistischen Hurrastimmung verdient eine ausführliche Betrachtung, die in der Ausstellung zu kurz kommt. Hier sind es vor allem die ­Bewohner selbst, die in einer Vielzahl von zeitgenössischen Berichten und Zitaten die Geschichte des Sommers 1990 wiedergeben. Die Exponate und Textfragmente zeugen vom Versuch eines neuen Zusammenlebens und der Arbeitsteilung in der Hausarbeit, von der Idee, schwule Politik mit der linksradikalen, autonomen Szene zu verbinden, von den Konflikten zwischen den Wessis und den Schwulen aus der DDR und schließlich von den verheerenden Folgen für die Einzelnen, die die gewaltsame Vertreibung der Bewohner aus ihrem Tuntenhaus mit sich brachte.
Juliet Bashore, die mit ihrem Filmteam die letzten Wochen und die Räumung des Tuntenhauses begleitete, kam 1992 ein weiteres Mal nach Berlin, um die ehemaligen Besetzer wiederzusehen. Die Stadt hatte sich gewandelt, Hoffnung und kämpferische Zuversicht waren tiefer Depres­sion gewichen. Die Freundschaften der früheren Bewohner existierten nicht mehr, Leere war an die Stelle der Hoffnung auf einen politischen Wandel getreten.

Während Neonazis in Ost und West Menschen ermordeten, die nicht in ihre Volksgemeinschaft passten, zog das HI-Virus weiter eine Schneise der Verwüstung durch die schwulen Communities. Auf das Virus waren Abscheu und Strafbedürfnis der Mehrheitsgesellschaft gegenüber schwulen Männern gefolgt. Vom Tuntenhaus, das nach der Vorstellung eines der Bewohner eine Art eman­zipatorisches Leuchtfeuer und Zufluchtsort werden sollte (»In jeder Stadt ein Tuntenhaus!«), war nichts mehr übriggeblieben. Die Mainzer Straße wurde renoviert und die Wohnungen waren bereits vermietet, in denen einst diskutiert, gefeiert und kollektiv zusammengelebt wurde. Der bis heute im Prenzlauer Berg existierende Nachfolger des Tuntenhauses verstand sich nicht mehr als politischer Ort.

Am Ende erweist sich der melancholische Blick auf die kurze Geschichte des Tuntenhauses, den das Schwule Museum gewählt hat, als politisch treffend. Nostalgie und der pädagogisch-kämpferische Optimismus, der viele gegenwärtige Auseinandersetzungen mit LGBT-Geschichte prägt, lassen allzu oft das vergessen, worum die Gesellschaft die Menschen betrügt – das ungelebte Leben. So wird Wut über Unrecht in aktivistische Betriebsamkeit kanalisiert, noch bevor sie zur Erkenntnis reifen könnte.

Der alte Slogan aus der Hausbesetzerszene, »Die Häuser denen, die drin wohnen«, drückt seit jeher etwas furchtbar Banales aus: dass die Dinge den Menschen, die sie benötigen, dienen sollten – und nicht umgekehrt. Solange solch einer Banalität mit Abscheu und Aggressionen begegnet wird, solange bleibt auch die Geschichte von besetzten Häusern wie dem Tuntenhaus eine unabgeschlossene. Die Forderungen der tuntischen Besetzer aus dem Sommer 1990 ­haben bis heute nichts von ihrer Dringlichkeit eingebüßt.

Die Ausstellung »Tuntenhaus Forellenhof 1990: Der kurze Sommer des schwulen Kommunismus« ist noch bis zum 31. Oktober im Schwulen Museum Berlin zu sehen.