Die Autokraten Russlands, des Iran und der Türkei haben widerstreitende Interessen in Syrien und im Irak

Herrendreier mit Problemen

Sie treffen sich zwar händchenhaltend zu Gipfeln wie kürzlich in Teheran, ihre verschiedenen Interessen in Syrien und im Irak sorgen jedoch immer wieder für Konflikte.

Drei Präsidenten halten sich an den Händen – Wladimir Putin aus Russland rechts, Recep Tayyip Erdoğan aus der Türkei links und Ebrahim Raisi aus dem Iran in der Mitte. Am 19. Juli waren die drei Autokraten zu einem Gipfeltreffen in Teheran zusammengekommen. Das Bild hat nicht nur die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock empört. Doch Erdoğan stört die Kritik nicht, er will am 5. August bei Putin in Sotschi zu Gast sein.

Dabei dürfte der türkische Präsident mit dem Ergebnis des Dreiergipfels in Teheran keineswegs zufrieden gewesen sein. Sein lange gehegter Wunsch, die türkische »Schutzzone« in Syrien auf das Gebiet der Städte Tall Rifaat und Manbij auszuweiten, ging nicht in Erfüllung. Tall Rifaat steht unter der Kon­trolle des Regimes von Bashar al-Assad, dient aber kurdischen Guerillas zu Angriffen auf den von der Türkei besetzten Kanton Afrin. Manbij hat eine gemischte arabisch-kurdische Bevölkerung, wird aber politisch und militärisch vom kurdischen Rojava dominiert. Beide Gebiete liegen westlich des Euphrat, wo Russland den Luftraum für türkische Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sperren kann.

Die russische und die iranische Regierung wollen keine Geländegewinne der Türkei in Syrien, weil die Türkei die Position al-Assads untergräbt. Konzessionen an Erdoğan in Syrien dienten ihnen in der Vergangenheit dazu, den USA Probleme zu bereiten. Der Versuch des Assad-Regimes, die an der türkischen Grenze gelegene Provinz Idlib mit russischer Unterstützung zurückzuerobern, endete Anfang des Jahres in einem militärischen Patt.

Erdoğan hoffte offenbar, dass Putin ihm wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine Zugeständnisse machen würde. Er selbst verfolgte nach dem Überfall auf die Ukraine eine Politik des Sowohl-als-auch. Er ließ weiterhin den Verkauf von Bayraktar-TB2-Drohnen an die Ukraine zu, deren Einsatz in den ersten Wochen sehr erfolgreich war. Außerdem sperrte die Türkei Ende Februar gemäß dem Vertrag von Montreux die Einfahrt von Kriegsschiffen ins Schwarze Meer. Die Sperre gilt theoretisch für beide Seiten, praktisch geht sie aber vor allem zu Lasten Russlands. Andererseits hat sich die Türkei nicht den ökonomischen Sanktionen gegen Russland angeschlossen. Der Handel zwischen beiden Ländern floriert seit Beginn der Invasion mehr als zuvor.

Ein Nachgeben Putins in Syrien würde als Schwäche verstanden, eventuell würden sich daraufhin mehr Staaten von Russland abwenden.

Als die Türkei zunächst den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens blockierte, konnte Erdoğan annehmen, genügend Trümpfe in der Hand zu haben, um auf die eine oder andere Art etwas für sich herauszuschlagen. Doch ein Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in der Türkei Mitte Juni verlief für Erdoğan enttäuschend. Eine Ausweitung der türkischen Einflusszone in Syrien bewilligte Russland nicht. Nun hat die Türkei ihr Veto gegen den Beitritt Finnlands und Schwedens kassiert, wofür diese Länder und wohl auch die USA der Türkei einige Zugeständnisse gemacht haben. Schweden hat unter anderem eine Änderung der Verfassung versprochen, eine »Überarbeitung« des Antiterrorgesetzes und die Unterzeichnung eines Auslieferungsvertrags mit der Türkei. Finnland hat ein nach dem türkischen Einmarsch in Afrin verhängtes Waffenembargo aufgehoben. Außerdem haben beide Staaten unterschrieben, dass sie auch gegen mit der PKK verbündete Gruppen und Netzwerke vorgehen werden, wobei die syrisch-kurdische YPG-Miliz ausdrücklich erwähnt wird. Allgemein wird angenommen, dass Schweden und die USA versprochen haben, über Waffenlieferungen an die Türkei künftig weniger restriktiv zu entscheiden. Zwar ist das türkische Parlament in der Sommerpause und wird das Nato-Beitrittsprotokoll nicht vor Oktober ratifizieren, aber eine politische Niederlage für Putin ist es schon jetzt.

Dieser sieht sich offenbar nicht genötigt, in Syrien Zugeständnisse zu machen. Die russische Opposition gegen den Ukraine-Krieg hat er zum Schweigen gebracht, den Rubel stabilisiert, mit nach wie vor guten Beziehungen zu Ländern wie China, Indien, Brasilien und Südafrika ist er außenpolitisch keineswegs isoliert. Russlands Armee kommt in der Ostukraine nur sehr langsam und unter großen Verlusten voran, aber auch die Verluste der Ukraine sind hoch. Durch den Export von Gas, Erdöl, Getreide, Düngemitteln und Metallen hat Russland Druckmittel in der Hand. Ein Nachgeben Putins in Syrien würde als Schwäche verstanden, eventuell würden sich daraufhin mehr Staaten von Russland abwenden. Außerdem hat Erdoğan, nachdem dieser das Veto gegen den Nato-Beitritt aufgegeben hatte, Putin nicht mehr viel zu bieten. Die Bedeutung türkischer Drohnen im Krieg in der Ukraine ist zurückgegangen. Raketenwerfer aus US-amerikanischer Produktion sind viel wichtiger für das Arsenal der Ukraine.

Das iranische Regime verfolgt eigene Interessen. Es unterstützt Assad und konkurriert mit der Türkei um den Einfluss im Irak. Erdoğans Regierung unterstützt dort sunnitische Araber, die Turkmenen und die von der Familie Barzani geführte Demokratische Partei Kurdistans (KDP). Die proiranische schiitische Fatah hat indessen im Oktober 2021 eine schwere Wahlniederlage erlitten. Stärkste Kraft wurden die Anhänger des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr, der sich gegen die USA, aber auch gegen den Iran gewandt hatte.

Nur einen Tag nach dem Gipfel in Teheran beschoss türkische Artillerie ein bekanntes Touristenziel im kurdischen Nordirak. Im kleinen Dorf Barach, keine fünf Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, saßen Hunderte Touristinnen und Touristen aus dem heißen Südirak in Cafés an einem kühlen Bach. Die Granaten trafen eine Gruppe aus dem schiitischen Najaf, töteten neun Menschen und verletzten 23 weitere.

Die türkische Regierung beschuldigte eine »Terrorgruppe« der Angriffe und meinte die PKK. Doch selbst die kurdische Regionalregierung in Erbil, die seit langem eng mit der Türkei zusammenarbeitet, machte die Türkei verantwortlich. Die offenkundige Lüge steigerte nur die Empörung im Irak. Al-Sadr stellte sich an die Spitze der Proteste. Die Wut auf die Türkei reichte zwar nicht aus, um die Spaltung im schiitischen Lager zwischen proiranischen Parteien und Milizen und den Anhängern al-Sadrs zu überwinden, führte aber dazu, dass al-Sadr nun gegen den Iran und die Türkei gleichermaßen Stimmung macht.

Der Irak kann sich dem türkischen Einfluss nicht ganz entziehen. Die Möglichkeiten, mit anderen Nachbarländern Handel zu treiben, sind beschränkt, und mit seinen Staudämmen an Eu­phrat und Tigris sitzt die Türkei gewissermaßen am Wasserhahn des Zweistromlandes, da beide Flüsse auf türkischem Territorium entspringen. Trotzdem hat der türkische Einfluss im Irak einen schweren Schlag erlitten, und auch das iranische Regime dürfte die Gefahr, dass die Türkei ihre Interessen im Irak und in Syrien künftig mit Gewalt durchsetzt, nun höher einstufen.

Dies schafft für Putin einen weiteren Grund, Erdoğan in Syrien nicht nachzugeben, denn das würde das iranische Regime düpieren. Auch Erdoğan dürfte spätestens seit dem Gipfel in Teheran klar sein, dass er zumindest vorerst nicht auf Konzessionen in Syrien hoffen kann. Offenbar sucht er die Nähe Putins, weil er sich so international als wichtiger Staatsmann präsentieren kann. Aber Erdoğans internationale Inszenierung wird kaum vergessen machen, dass die Inflation in der Türkei im Juni auf 79 Prozent gestiegen ist.

Erdoğan hatte versprochen, die Türkei bis 2023 zu einer der zehn größten Nationalökonomien der Welt zu machen; stattdessen ist das Land von Platz 16 auf Platz 21 zurückgefallen. Im kommenden Jahr sollen das Parlament und der Präsident neu gewählt werden. Ob etwas außenpolitischer Glanz reicht, die Probleme zu übertünchen, ist fraglich. Es ist auch fraglich, ob dieser Glanz bestehen bleiben wird. Kann sich Russland in der Ukraine behaupten, dürfte Putin Erdoğan nicht mehr Entgegenkommen zeigen als derzeit. Sollte sich die Ukraine durchsetzen, hätte Erdoğan auf den falschen Verbündeten gesetzt.