Gespräch mit Marvin Reschinsky, Verdi-Gewerkschaftssekretär und Leiter der Flug­hafenstreiks

»Die Beschäftigten gehen auf dem Zahnfleisch«

Small Talk Von Anton Biljan

An den Flughäfen in Deutschland kommt es derzeit zu zahlreichen Verspätungen und Flugausfällen. Grund sind zum Teil Arbeitskämpfe an den Flughäfen. Seit Anfang Juli führen die Gewerkschaft Verdi und Lufthansa Tarifverhandlungen für die rund 20 000 Beschäftigten beim Bodenpersonal. Am 13. Juli scheitert auch die zweite Verhandlungsrunde, woraufhin die Beschäftigten Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche bundesweit streikten. Die »Jungle World« sprach mit Verdi-Gewerkschaftssekretär und Streikleiter Marvin Reschinsky.

Der Warnstreik des Bodenpersonals ist beendet. Über 1 000 Flüge mussten gestrichen werden und über 130 000 Passagiere, darunter viele Urlauber, mussten ihr Reisepläne ändern. Muss das sein?

Wir haben natürlich volles Verständnis, wenn Passagiere verärgert sind. Wer aber auch seit Wochen und Monaten verärgert ist, sind die Beschäftigten, die auf dem Zahnfleisch gehen, weil an ihnen in der Coronakrise gespart wurde. Die Lufthansa hat ein Drittel des Bodenpersonals während der Pandemie abgebaut und dann nicht pünktlich neues Personal eingestellt. Deshalb erleben wir jetzt seit Wochen dieses Chaos an den Flughäfen. Außerdem haben wir den Streik ­bewusst 40 Stunden vorher angekündigt, um der Lufthansa die Chance zu geben, zum Hörer zu greifen, um mit uns zusammenzu­kommen. Das hat die Lufthansa aber ignoriert, da gab es keinerlei Rückmeldung.

Der Streik stieß beim Personalvorstand der Lufthansa, Michael Niggemann, auf vollkommenes Unverständnis. Ihm zufolge gab es ein Tarifangebot »hoher und sozial ausgewogener Vergütungserhöhung« seitens der Arbeitgeber. Trifft das zu?

Das trifft aus unserer Sicht ganz klar nicht zu. Die Lufthansa hat für große Beschäftigtengruppen 3,5 bis 5,5 Prozent Lohnerhöhung im Durchschnitt angeboten, also weit unter der Inflationsrate, und das Ganze dann noch in Abhängigkeit vom Konzernergebnis.

Wie ist die Arbeitssituation der Beschäftigten im Allgemeinen zu bewerten?

Wir haben eine skurrile Situation im Luftverkehr, nicht nur bei der Lufthansa. Die Personalkosten im Luftverkehr sind im Endpreis eines Tickets für den Fluggast verschwindend gering. Was die Unternehmen jedoch machen, ist, zuerst beim Personal zu kürzen. Das hat auch schon vor der Pandemie dazu geführt, dass Beschäftigte überlastet waren. Der Personalabbau hat die Situation verschärft. Dadurch gibt es jetzt die Situation, dass sich Bewerberinnen und Bewerber nicht mehr für diese Branche interessieren, weil die Arbeitsbedingungen einfach zu schlecht sind. Der Bedarf der Unternehmen ist hingegen so groß wie nie und sie kommen jetzt nicht mehr hinterher.

Sind Sie zuversichtlich, dass die kommende, dritte Tarifverhandlungsrunde erfolgreich sein wird?

Wir setzten alles daran, dass wir nächste Woche zu einem Ergebnis kommen. Dabei liegt es nach dem klaren Signal der Beschäftigten aber jetzt bei der Lufthansa, ihr Angebot zu verbessern, damit diese endlich Entlastung bekommen. Insgesamt haben sich mehr als 5 000 Beschäftigte an den Streiks beteiligt. Gerade zu Anfang hatten wir Beteiligungsquoten von über 90 Prozent. Alles in allem ein ­eindrucksvoller und kräftiger Streik. Wenn die Lufthansa jetzt nicht nachbessert, ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Streiks folgen.