Mit Marx und den Situationisten für die Abschaffung der entfremdeten Arbeit

Arbeiten im Falschen

Disko Von Hans Manko

Nicht nur die Umweltzerstörung drängt zur von den Situationisten angestrebten Aufhebung der fetischistischen Produktionsweise, sie wäre auch notwendig, um die elende Verfasstheit der Arbeit im Kapitalismus zu überwinden.

Was den Arbeitsbegriff angeht, verhält es sich bei den Texten der Situatio­nistischen Internationale wie bei denen von Marx: Wer will, kann die radikale Zurückweisung von Arbeit als dem Kapitalismus immanenten Zwang ebenso finden wie die Annahme, Arbeit sei »ewige Naturnotwendigkeit«. Bekannt ist von den Vorläufern der Situatio­nistischen Internationalen (SI) vor allem ein Foto mit dem Graffito »Ne travaillez jamais!« (Arbeitet niemals!) an einer Mauer im Paris der fünfziger Jahren; einige Jahre später hing in einer Ausstellung in Dänemark eine Art Ge­mälde von Guy Debord, das in dicken Lettern »Abolition du travail aliéné« (Abschaffung der entfremdeten Arbeit) forderte.

Mit dem Zusammenbruch der nachholenden Akkumulationsregime, die real existierender Sozialismus genannt wurden, hat die menschliche Vorgeschichte bekanntlich nicht ihr Ende gefunden. Ebenso wenig der Leninismus, jene eigentliche »Kinderkrankheit des Kommunismus«, sei es nun in stalinistischen Sekten oder anderen Formen der Hingabe ans konzentrierte Spek­takuläre. Diese Hingabe zeigt sich anhand des gegenwärtigen Ukraine-Kriegs oder geistert im Gewand des modernisierten Antiimperialismus als postkoloniales Elend weltweit über den Campus und den Kunstbetrieb. Allerlei abgewrackte Bilderwelten prägen und begrenzen so die zeitgenössischen Vorstellungen von der überlebensnotwendigen Aufhebung der fetischistischen Produktionsweise jener kapitalistischen Weltgesellschaft, die Tag für Tag mit neuen katastrophalen Resultaten aufwartet.

Sprachen die Situationisten und ­Situationistinnen Mitte der sechziger Jahre angesichts des damaligen Standes der Emanzipation von der spektakulären Warenproduktion noch von 40 Jahren verlorener Zeit für die Menschheit, so lassen sich heute in Anbetracht der ökologischen Konsequenzen des herrschenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses gut und gerne noch die seitdem vergangenen 50 Jahre draufschlagen: Die Umweltzerstörung und das Proletariat stellten, so konstatierte die SI bereits 1972, im Jahr der Veröffentlichung des Berichtes über die »Grenzen des Wachstums« des Club of Rome, die beiden konkreten Seiten der Kritik der politischen Ökonomie dar. Karl Marx zitierend bilanzierte sie, es sei »also jetzt schon so weit gekommen, dass die Individuen sich die ­vorhandene Totalität von Produktivkräften aneignen müssen, nicht nur um zu ihrer Selbstbestätigung zu kommen, sondern schon um überhaupt ihre Existenz sicherzustellen«.

Die »Abschaffung der entfremdeten Arbeit« wäre kein hippie shit oder Hass auf die Vermittlung, sondern ein Programm, um zu einer wirklich menschlichen Tätigkeit zu kommen.

Was der Kapitalismus mit sich bringt, ließe sich bei allen, die es wissen wollen, als bekannt voraussetzen, jedenfalls bei nüchternem Blick auf die Welt, wäre da nicht die spezifisch fetischistische Qualität der kapitalistischen Warenproduktion. Denn deren Erscheinung ist nicht mit ihrem Wesen identisch, weshalb es eines entschlüsselnden Blicks bedarf, um sie zu kritisieren das Wort »wissenschaftlich« ist wie so viele andere Begriffe im Realsozialismus reichlich ramponiert worden.

Und eine bürgerliche Wissenschaft, »wie sie der Produktionsweise und den von ihr produzierten Aporien des Denkens dient, kann sich keine wirkliche Umkehrung des Laufs der Dinge vorstellen«, schrieben einige Situationisten 1972, dem Jahr der Auflösung der Gruppe. »Sie kann nicht strategisch denken, was im Übrigen niemand von ihr verlangt; und sie besitzt auch nicht die praktischen Mittel zur Intervention. Sie kann daher lediglich den Fristablauf diskutieren, und die besten Linderungsmittel, die, würden sie streng angewandt, diesen Fristablauf verzögern würden.«

Sebastian Müller konstatierte kürzlich in der Zeitschrift Versorgerin zum beliebten Wunsch eines Sprungs in den »vollautomatisierten Luxuskommunismus«: »Die durch die kapitalistische Produktionsweise hervorgebrachten ökologischen Schäden inklusive der Konsequenzen des Klimaumbruchs müssen als unumgängliche Voraussetzung für jeden Entwurf einer post­kapitalistischen Gesellschaft ernst genommen werden.« Von Letzterer zeichnet sich nichts auch nur halbwegs Emanzipatorisches ab, es sieht vielmehr danach aus, dass im »ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, (…) der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen«, wie im »Manifest der kommunistischen Partei« seit 1848 nachzulesen, das Zweitgenannte eintreten wird. Das aber entbindet nicht davon, die Kritik am Bestehenden so zu betreiben, dass, wo es zur Selbstbemächtigung des globalen Proletariats kommen sollte, die zur theoretischen Praxis und Selbstorganisation für seine Selbstabschaffung führt, dem Proletariat Begriffe zur Selbstverständigung und zur Reflexion des eigenen Handelns und dessen Möglichkeiten zur Verfügung stehen.

Denn die Welt, in der die jeweilige individuelle Reproduktion die Reproduktion der Gattung in Frage stellen muss, wird höchst arbeitsteilig und global hergestellt, und so verweist der Tanz nach der Pfeife des Kapitals auch immer darauf, was eine sich weltweit zur ­Erfüllung ihrer Bedürfnisse zuarbeitende Menschheit leisten könnte – auch noch inmitten dieser Trümmerlandschaft, die sie als eine kapitalistischer Vergesellschaftung Unterworfene aus der Welt gemacht hat.

Weil es bisher nicht gelang, die zweite, die fetischistische, Natur aufzuheben, und wir es nun auf katastrophale Weise mit der ersten zu tun haben, wäre sicherlich zuvörderst die Welt so zu gestalten, dass nicht so viele Menschen sterben müssen, ob sie nun aus den Bergen oder von den Küsten zu fliehen gezwungen sind.
Die Forderung »Arbeite niemals!« hieße demnach, die Entfremdung überall anzugreifen, wo sie sich zeigt, um das Reich der Freiheit zu erweitern und das Reich der Notwendigkeit zurückzudrängen, die disponible Zeit als wirklichen Reichtum und echte Freiheit auszudehnen und abstoßende Tätigkeiten in anziehende zu verwandeln sowie nach Zwecksetzung zu automatisieren oder umfassend umzuverteilen.

Fragen, wie sie die Zukunft des Urbanismus, das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren natürlichen Voraussetzungen und eine humane, vernunftgeleitete Verwissenschaftlichung beispielsweise bei Landwirtschaft, Textilproduktion und Transport aufwerfen, zeigen, wie viel es zu tun gäbe. Entwenden und Umformen des Bestands, die Erprobung und Verwerfung des aus der alten Welt Mitgeschleppten, das Gewahrwerden, dass der Mensch mit seinen radikalen Bedürfnissen und Fähigkeiten die erste Produktivkraft ist, könnten eine gesellschaftliche Raumzeit kreieren, in der die globale (re)produktive Gesamtarbeiterin die elende Verfasstheit hinter sich ließe, die ihr die kapitalistische Produktionsweise aufgezwungen hat.

Die »Abschaffung der entfremdeten Arbeit« wäre somit kein hippie shit oder Hass auf die Vermittlung, sondern fassbar als Programm, zu einer wirklich menschlichen Tätigkeit zu kommen, in der jede und jeder die eigenen Fähigkeiten entfalten kann. Menschengemäße Bedingungen, in denen das (re-)produktive Tätigsein ein Moment des Genusses und der Interaktion wäre, beschrieb Marx 1844 an einer der wenigen Stellen, wo er versuchte, zu denken, was sein könnte, wenn nicht die die Gesellschaft unter der Herrschaft der Warenproduktion stünde:

»Gesetzt wir hätten als Menschen produziert: (…) Meine Arbeit wäre freie Lebensäußerung, daher Genuss des Lebens. Unter der Voraussetzung des Privateigentums ist sie Lebensentäußerung, denn ich arbeite, um zu leben, um mir ein Mittel des Lebens zu verschaffen. Mein Arbeiten ist nicht Leben. Zweitens: In deiner Arbeit wäre daher die Eigentümlichkeit meiner Individualität, weil mein individuelles Leben bejaht. Die Arbeit wäre also wahres, tätiges Eigentum. Unter der Vor­aussetzung des Privateigentums ist meine Individualität bis zu dem Punkte entäußert, dass diese Tätigkeit mir verhasst, eine Qual und vielmehr nur der Schein einer Tätigkeit, darum auch eine nur erzwungene Tätigkeit und nur durch eine äußerliche zufällige Not, nicht durch eine innere notwendige Not mir auferlegt ist. Nur als das, was meine Arbeit ist, kann sie in meinen Gegenstand erscheinen. Sie kann nicht als das erscheinen, was sie dem Wesen nach nicht ist. Daher erscheint sie nur noch als der gegenständliche, sinnliche, angeschaute und darum über allen Zweifel erhabene Ausdruck ­meines Selbstverlustes und meiner Ohnmacht.«