Die Europride in Belgrad

Zoff um die Europride

An die 1 000 Menschen tanzten Mitte September bei der LGBT-Parade durch Belgrad – zum Missfallen von Regierung und Behörden der serbischen Hauptstadt und obwohl die Demonstrationsroute behördlich stark verkürzt worden war. Dabei kam es wieder zu Angriffen rechtsextremer Hooligans.

Es waren groteske Szenen, die sich in der vergangenen Woche in der serbischen Hauptstadt Belgrad abspielten: Kurz nachdem das Innenministerium die geplante Pride-Demonstration für die Rechte von LGBT-Personen untersagt hatte, erschien die serbische Ministerpräsidentin Ana Brnabić von der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) bei der internationalen Menschenrechtskonferenz der Organisatoren und wünschte in ihrer Eröffnungsrede einen »Happy Pride«. Brnabić verwies in ­ihrer Ansprache vor allem auf ihre eigene Homosexualität und ihr fehlendes Recht, das Kind, das sie gemeinsam mit ihrer Partnerin hat, zu adoptieren. Und sie ergänzte: »Aber ich bin nicht die Einzige in diesem Land, die Kinder hat.« Damit dürften die Zehntausenden Protestierenden gemeint sein, die sich in den Wochen vor dem seit langem angekündigten Belgrader Europride im ganzen Westbalkan auf Gegendemonstrationen versammelten.
Diese Demonstrationszüge waren vor allem von nationalistischen Gruppen, der serbisch-orthodoxen Kirche, Motorradrockern, Hooligans und prorussischen Organisationen getragen worden. Ihre Forderung, die Pride-Veranstaltungen in Belgrad zu verhindern, begründeten diese Gruppen mit einer Bedrohung der traditionellen Familie und der Unvereinbarkeit nichtheterosexueller Lebensweisen mit serbischen und christlich-orthodoxen Traditionen.

Die rechtsextreme und ultraklerikale Kampagne sowie die staatliche Behinderung der Belgrader Pride-Parade haben zu einer realen Bedrohung geführt und die gesellschaftliche Polarisierung verstärkt.

Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit gelten nicht wenigen ultrakonservativen Kräften als aus dem Westen in die ehemals realsozialistischen Staaten importierte Phänomene. Einen entscheidenden Anstoß für die zahlreichen Proteste und die Gewaltaufrufe gegen den paneuropäischen LGBT-Marsch hatte allerdings der Präsident Serbiens, Aleksandar Vučić (SNS), in ­einem selbst für serbische Verhältnisse beispiellosen Politiktheater geliefert. Aufgrund von Sicherheitsbedenken und der schwelenden innen- und außen­politischen Konflikte werde »die Pride-Parade, oder wie auch immer man sie nennen mag, verschoben oder abgesagt«, so die Ankündigung des Präsidenten Ende August.

Damit will der immer autokratischer herrschende rechte Nationalist Vučić nach Ansicht vieler Beobachter auch vom Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo ablenken. Nahezu zur selben Zeit, als Vučić ankündigte, die Europride nicht stattfinden zu lassen, einigte sich die serbische Regierung auf einen Kompromiss mit dem Nachbarland: Serbien erkannte die Ausweis- und PKW-Dokumente des Kosovo als auch in Serbien gültig an.

Die serbischen LGBT-Aktivisten wiesen das vom Präsidenten angekündigte Demonstrationsverbot sogleich zurück und hielten an ihrer angekündigten Pride-Parade fest. Wenige Tage vor dem geplanten Marsch verbot das Innenministerium die Demonstrationsroute auf Basis einer Gefährdungsbeurteilung der Polizei, das Verwaltungsgericht lehnte eine Beschwerde der Anmelder ab. 130 EU-Parlamentarier, Menschenrechtsorganisationen, einzelne serbische Oppositionsparteien und zahlreiche internationale Botschafter reagierten prompt. »Ich finde es äußerst besorgniserregend«, so Dunja Mijatović, die Menschenrechtskommissarin des Europarats, »dass die Behörden den Europride-Marsch dermaßen stark behindern, während gleichzeitig andere Veranstaltungen und Massenkundgebungen frei und sicher auf den Straßen von Belgrad stattfinden.«

Einen Tag vor dem geplanten Pride-Marsch wurde die Demonstration nur auf einer sehr verkürzten alternativen Route unter dem Schutz der Polizei und der Gewährleistung der Sicherheit der Teilnehmenden erlaubt. Am Demonstrationstag schützten 6 000 Polizisten die mehreren Tausend ausländischen und serbischen Teilnehmenden. Frei von Übergriffen blieb die Parade an diesem Tag allerdings nicht: Nach Angaben der serbischen Tageszeitung Informer nahm die Polizei am Morgen einen schwerbewaffneten Ultranationalisten fest, der mutmaßlich Angriffe auf die Demons­tration geplant hatte. Während des Aufzugs gelang es immer wieder einzelnen Gegendemonstranten, die LGBT-Versammlung zu erreichen und Teilnehmende zu bedrohen und zu beleidigen. Lokale Zeitungen berichten zudem von schweren gewalttätigen Ausschreitungen und Angriffen auf die Polizei an mindestens zwei Orten in Belgrad.

Die LGBTI Equal Rights Association bestätigte einen Angriff durch Hooligans auf Pride-Teilnehmer aus Albanien, zwei von ihnen mussten demnach aufgrund ihrer Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der serbische Innenminister Aleksandar Vulin (Bewegung der Sozialisten, PS) sprach in seiner Tagesbilanz von 87 Festnahmen und 13 verletzten Polizisten; er betonte, dass das Verbot der Demonstration aufrechterhalten worden sei, da nur ein winziges Stück der eigentlichen Route gestattet wurde, und die Teilnehmer im Grunde nur zum geplanten Abschlusskonzert begleitet worden seien.

Die Ereignisse rund um die Europride stellen eine Zäsur dar, die bisher erreichte Fortschritte wieder in Frage stellt. Die erste Gay Pride in Serbien 2001 wurde von Rechtsextremen so stark gestört, dass sie abgebrochen werden musste. Im Jahr 2010 gab es nach Ausschreitungen zahlreiche Verletzte und Festgenommene. Trotz enormen Polizeiaufgebots demolierten die rechten Gegendemonstranten damals Einrichtungen von NGOs und Fernsehsendern, warfen Brandbomben auf Parteizentralen und riefen: »Tod den Homosexuellen!« Nach einzelnen Verboten in den folgenden Jahren, gegen die die Organisatoren klagten und die vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden, konnten die Proteste sexueller und geschlechtlicher Minderheiten zuletzt ohne größere Zwischenfälle und mit Demonstrationszügen durch die gesamte Innenstadt stattfinden.

Die rechtsextreme und ultraklerikale Kampagne sowie die staatliche Be­hinderung der Versammlung in diesem Jahr haben zu einer realen Bedrohung geführt und die gesellschaftliche Polarisierung verstärkt. Dabei ist die dominante Beteiligung westeuropäischer Organisationen und Aktivisten an der erstmals im südosteuropäischen Raum und außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums stattfindenden Europride sicherlich nicht nur von Vorteil. Viele serbische Medien nahmen den diesjährigen Pride-Marsch zum Anlass, gegen ihn als eine aus dem Westen und von der EU gesteuerten Kampagne zu ­hetzen, da mehr als die Hälfte der Teilnehmenden aus dem Ausland angereist war.

Die serbische Regierung ist deutlich nach Russland orientiert, zugleich ist das Land auch EU-Beitrittskandidat. Serbien ist wirtschaftlich sowohl von russischen und chinesischen Investitionen wie auch von EU-Fördermitteln ­abhängig. Der minderheitenfeindlichen Mobilisierung ultrakonservativer und religiöser Kräfte im Inland steht eine LGBT-freundliche Rhetorik in Richtung der EU gegenüber – in diesem Jahr aber betreibt die Regierung eindeutig Politik auf Kosten sexueller und geschlechtlicher Minderheiten.

Koen Slootmaeckers, Politikwissenschaftler an der City, University of London, äußerte gegenüber der Jungle World dennoch eine leise Hoffnung: »Ich denke, die staatliche Einschüch­terung gegen die Pride hat viele jüngere Aktivistinnen und Aktivisten derart verärgert und dadurch einen Trotz und eine Entschiedenheit entstehen lassen, die in Serbien in dieser Form für eine lange Zeit nicht mehr gesehen war. In dieser Hinsicht hat die Europride die Möglichkeit für LGBT-Politiken eröffnet, die weniger staats- und kompromissorientiert und entschieden radikaler sind.« Wie es mit der LGBT-Bewegung in Serbien weitergehen wird, ist unklar. Die inländischen Machtverhältnisse, die propagandistische Abkehr vom Westen und die Allianzen der globalen Rechten gegen LGBT- und Frauenrechte drohen die wenigen Errungenschaften für queere Menschen in Osteuropa zu beseitigen.