Veröffentlichte Interna geben Aufschluss über die Befürchtungen des Regimes

Besorgte Mullahs

<p>Ungeachtet der Repression beteiligten sich Einzelhandelsgeschäfte in mehr als 40 iranischen Städten diese Woche fast geschlossen am Aufruf zu einem dreitägigen Generalstreik.</p>

Ungeachtet der Repression beteiligten sich Einzelhandelsgeschäfte in mehr als 40 iranischen Städten diese Woche fast geschlossen am Aufruf zu einem dreitägigen Generalstreik. Es kam zu Arbeitsniederlegungen in wichtigen Industrien des Landes, darunter in der Ölindustrie, der Gasindustrie und unter Lastwagenfahrern. Studierende streiken in zahlreichen Universitäten und veranstalten Sit-ins. Die Proteste weiten sich nicht nur aus, sie sind auch besser organisiert. Das Nachrichtenportal Iran International berichtet von Untergrundorganisationen, die ihre Proteste in 30 Städten koordinierten.

Leaks der Hackergruppe Black Reward offenbarten vergangene Woche, wie sehr das Regime inzwischen die Sorge plagt, die Proteste nicht in den Griff zu bekommen. Black Reward konnte die Datenbanken der als regimenah geltenden Nachrichtenagentur Fars hacken, zahlreiche Dateien löschen und andere veröffentlichen; Fars soll unter Kontrolle der Revolutionsgarden stehen. Die Hacker ver­öffentlichten auch die Audioaufnahme eines mehrstündigen Treffens zwischen einem General der Revolutionsgarden und einer Gruppe von Vertretern staatlich gelenkter Medien. Ghasem Ghoreyshi, der stellvertretende Kommandeur der paramilitärischen Basij-Miliz, zeigte sich bei diesem Treffen besorgt über die Ermüdung der Ordnungskräfte des Regimes. Viele Einheiten seien völlig erschöpft und frustriert, insbesondere nach den Massakern in der Provinz Sistan und Belutschistan, wo Ende September an einem Tag mindestens 82 Menschen erschossen worden waren. Zwar gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich signifikante Teile der Ordnungskräfte vom Regime abwenden, doch beruhigt können dessen Anführer nicht sein. Ein weiteres geleaktes Dokument enthüllt, dass 115 Mitglieder der Streitkräfte der Islamischen Republik wegen ihrer Unterstützung des Aufstands verhaftet worden seien. Insgesamt soll ein Prozent aller bei den Protesten festgenommenen Personen der Armee angehören.

Auch über den Medienkrieg gibt die Audioaufnahme Aufschluss. Ali Shamkhani, Leiter des sogenannten Sicherheitsrats der Islamischen Republik Iran, sprach von einer »kompletten Niederlage« an dieser Front. Bereits im November wurde bekannt, für wie bedrohlich die Führung der Islamischen Republik die Freiheitsbewegung hält. Mostafa Rostami, der Repräsentant von Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei an den Universitäten, sah bei 83 Prozent der Bevölkerung Sympathien für die Freiheitsbewegung, die sich im Kern gegen das Regime als Ganzes wendet.

Das Regime reagiert mit Gewalt und dem Versuch, die Proteste zu diskreditieren. Mehr als 18 000 Menschen wurden bisher verhaftet, mehr als 473 getötet, 80 Gefangene sind von Hinrichtung bedroht. Nun soll Russland Berater und Ausrüstung für die Unterdrückung der Proteste liefern. Um die Streiks zu diskreditieren, machte Irans Oberster Richter Gholam-Hussein Mohseni-Eje’i »Randalierer« verantwortlich, die Ladenbesitzer bedroht hätten. So soll suggeriert werden, dass nur eine kriminelle Minderheit hinter den Protesten stehe. Wiederholt bemüht das Regime auch die Erklärung, die Proteste seien von außen, insbesondere aus Israel, gesteuert. So ließ es vier Männer hinrichten, denen ihnen eine Zusammenarbeit mit Israel vorgeworfen wurde (siehe Seite 5). All das zeigt ein brutales Regime im Ausnahmezustand, das den Kampf um die Zustimmung der Bevölkerung verloren hat, während die Freiheits­bewegung in eine revolutionäre Phase eingetreten ist.