Homestory

Homestory #03/23

<p>»Wir hatten Glück. Die neben uns wurden vom Hund gebissen«, erzählt ein Kollege.</p>

»Wir hatten Glück. Die neben uns wurden vom Hund gebissen«, erzählt ein Kollege. »Ich hab generell lieber mehrere Meter oder brennende Mülltonnen als nur meine Haut zwischen mir und diesen Freunden«, resümiert eine Kollegin, die sich häufiger von Polizist:innen hat wegtragen lassen, ihre Erfahrungen. Die Gewaltfreiheit der Protestierenden bei Sitzblockaden wird von der Gegen­seite keineswegs immer honoriert – diese nicht ganz neue Erkenntnis hat eine interne Umfrage der Jungle World bestätigt.

Was die große weite Welt betrifft, kommt die Jungle World auch nicht umhin, über Dinge zu berichten, die nicht wirklich neu sind wie zum Beispiel Polizeigewalt. Aber Journalist:innen fragen bekanntlich immer: Was ist das Neue? Bei den Protesten in Lützerath scheint es der Tunnelbau zu sein. Ein Tunnel schützt vor an Feuerkraft überlegenen Feinden, das wussten bereits so unterschiedliche Interessengruppen wie die Vietminh und El Chapos Drogenkartell. Ein Kollege erinnert sich, dass er mit Freunden einst erwogen hat, einen Tunnel zu einer nahegelegenen Münzprägestätte zu graben. »Aber wir waren dann doch zu faul«, gesteht er. Bei zivilen Protesten hingegen wurde die staatliche Ordnung auf diese Weise noch nicht untergraben. Doch halt: 1978 drangen Gegner:innen des Flughafens Narita in Japan durch einen Tunnel in den fast fertiggestellten Kontrollturm ein, die Untertunnelung des besetzten Geländes hatte auch in den vorherigen zehn Protestjahren eine wichtige Rolle gespielt. Also doch wieder nichts Neues? Es kommt darauf an. Vielleicht handelte es sich ja um eine eigene Erfindung der Tunnelbauer:in­nen in Lützerath, die von den japanischen Vorbildern gar nichts wussten, und nicht um kulturelle Aneignung.

Die Jungle World wird jedenfalls weiter nach dem Neuen suchen, mag uns die Phantasielosigkeit der Bourgeoisie wie der Linken die Arbeit auch schwer machen, und jenseits der Publizistik auch nach etwas dringend notwendigen Neuen, einer neuen Unterkunft für unsere Redaktion nämlich. In dieser Hinsicht gibt es Fortschritte zu verzeichnen, es gibt Optionen, erste Besichtigungen fanden statt. Gute Nachrichten also – und das ist doch wirklich mal etwas Neues.