Über das geheimnisvolle Verschwinden chinesischer Topmanager

Unternehmerisches Risiko

Was kümmert mich der Dax Von Jörn Schulz

<p>Man sei »nicht in der Lage, Herrn Bao Fan zu kontaktieren«, teilte China Renaissance vorige Woche mit.</p>

Man sei »nicht in der Lage, Herrn Bao Fan zu kontaktieren«, teilte China Renaissance vorige Woche mit. Obwohl man hinzufügte, dies habe keinen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit, sorgte das Verschwinden des Gründers, Vorsitzenden und CEO des Finanzkonzerns für einen Aktienkurssturz um etwa 50 Prozent, der bis Dienstag nicht einmal zur Hälfte wieder aufgeholt wurde. Bezeichnenderweise glaubt niemand, Bao Fan könne in Privatinitiative entführt oder ermordet worden sein. Eingedenk früherer Fälle dieser Art geht man davon aus, dass er sich im Gewahrsam der chinesischen Behörden befindet.

Auftauchen wird Bao Fan wohl wieder, dafür sind zwei Szenarien denkbar. Er könnte, wie der Unternehmer Xiao Jianhua, vor Gericht erscheinen und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt werden, oder wie Jack Ma, der langjährige Leiter der Handelsplattform Alibaba, eine modernisierte Form der rituellen Selbstkritik stalinistischen Ursprungs üben, aber strafrechtlich unbehelligt und reich bleiben. Xiao Jianhua hatte das Pech, die Vermögen bei Machtkämpfen ins Hintertreffen geratener Kader verwaltet zu haben; er wurde von 2017 bis 2022 interniert und dann wegen Korruption und Betrug zu 13 Jahren Haft verurteilt. Jack Ma hatte seine Kritik an der chinesischen Wirtschaftspolitik zu offen geäußert, doch spielte es in seinem Fall wohl auch eine Rolle, dass auch auf seine Geschäfte Einfluss genommen werden sollte. Im Oktober 2020 verschwunden, tauchte er im Januar 2021 bei einer Konferenz von Landschullehrer:innen wieder auf. Er habe »gelernt und nachgedacht«, fortan werde er sich verstärkt der Philanthropie auf dem Land und im Bildungsbereich widmen, denn dies sei »die Verantwortung unserer Generation von Geschäftsleuten«. Im Fall Bao Fans warten vorsichtige Anleger:in­nen nun erst einmal ab, denn noch ist unklar, warum er in Ungnade gefallen ist und worauf die Regierung hinauswill.

Die chinesische Methode ist eleganter als die russische, wo man im Umgang mit missliebig ­gewordenen Oligarchen nun wieder auf den archaischen Sturz aus dem Fenster zurückgreift. Dennoch ist ihre Anwendung ein Zeichen dafür, dass auch das vergleichsweise effiziente staatskapitalistische System Chinas Probleme hat, die Bourgeoisie diskret zu kontrollieren. Der Anteil staatlicher Unternehmen an der Wirtschaftsleistung liegt bei etwa 40 Prozent, der Online- und High-Tech-Sektor, in dem Jack Ma und Bao Fan tätig waren, ist weitgehend in Privateigentum. Zwar gibt es bislang keine Anzeichen dafür, dass sich die chinesische Bourgeoisie bemüht, die Fesseln der Staatskontrolle zu sprengen, doch lauert hier eine potentielle Gefahr für das Regime. Jack Ma wurde wohl auch zurechtgestutzt, weil er in einem Film mitspielte sowie bei einem Gesangswettbewerb auftrat und vielen Chines:innen als role model galt. Nunmehr führt er ein unauffälliges Leben im Ausland, seine Jacht durfte er offenbar behalten, aber sein Konzern Alibaba musste Unternehmensteile verkaufen und eine Strafe von umgerechnet 2,8 Milliarden US-Dollar zahlen. Als Mittel der Einschüchterung nach dem Mao zugeschriebenen Motto »Bestrafe einen, erziehe 100« mag das wirksam sein, doch die Konflikte ­zwischen staatlicher Wirtschaftslenkung und privater Akkumulation dürften sich so auf Dauer nicht ­lösen lassen.