Hauke Hell, Mitglied der Betriebsgruppe von Verdi bei Gruner und Jahr, über die geplanten Entlassungen und den Medienmarkt

»Derzeit herrschen Wut und Empörung vor«

Interview Von Guido Sprügel

Der Zeitschriftenverlag Gruner und Jahr, der zu RTL Deutschland gehört, hat angekündigt, 23 Zeitschriften aus dem Print-Programm einzustellen und weitere zu verkaufen. Dabei werden auch mindestens 700 Beschäftigte ihre Arbeit verlieren. Die Jungle World sprach mit Hauke Hell über die Kürzungspläne und die Stimmung unter den Beschäftigten.

Bertelsmann steht glänzend da. Im November 2022 meldete der Konzern für die ersten drei Quartale den höchsten Umsatz in der Unternehmensgeschichte, der für das Gesamtjahr 20 Milliarden Euro übersteigen soll. Der Verlag Gruner und Jahr (G+J) erzielte 2021 einen Gewinn von 134 Millionen Euro. Bertelsmann, so der Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe, werde in den kommenden Jahren Umsatz und Gewinn steigern. Die Fusion von RTL und G+J bezeichnete er als »Wachstumsprogramm«. Warum wird bei solchen Zahlen ein Abbau von 700 der 1 900 Stellen bei G+J geplant?

Das haben wir Mitarbeiter die Geschäftsführung von RTL und Bertelsmann natürlich auch gefragt. Die Antwort war, dass im Zeitschriftengeschäft sinkende Erlöse erwartet werden, bei gleichzeitig steigenden Kosten. Andere, digitale Geschäftsmodelle, mit denen man zusätzlich Erlöse bei eher geringen Kosten realisieren könnte, seien in der Vergangenheit leider nicht ausreichend verfolgt worden.

»Es ist wohl zu befürchten, dass mit den verkauften Magazinen jeweils nur wenige ihrer bisherigen Mitarbeiter übernommen werden.«

Drastische Schritte hatten viele Beteiligte schon nach der Fusion von RTL und G+J erwartet. Als Außenstehender ist man verwundert über die Zusammenlegung von Print und Fernsehen, Journalismus und Entertainment. Das scheint doch gar nicht zusammenzupassen?

Es geht im Wesentlichen darum, den Werbekunden Zielgruppen über alle Medien hinweg anbieten zu können. Außerdem besteht die Hoffnung, dass Zuschauer auch zu Lesern und Hörern werden und umgekehrt. Nach allgemeiner Ansicht ist das für das Magazin Stern realistisch, vielleicht auch für Geo und Gala und eventuell Eltern, für andere nicht so sehr.

Der Printbereich steht seit Jahren unter starkem Druck. Ist der Stellenabbau nicht unausweichlich? Bietet eine Fusion, die medienübergreifende Angebote ermöglicht, nicht auch Chancen?

Print, wenn es ausschließlich als gedrucktes Produkte verstanden wird, muss man wohl langfristig auf dem absteigenden Ast sehen. Allerdings funktioniert es derzeit noch halbwegs gut und andere Zeitschriftenverlage sehen die Lage nicht so düster. Ich kann nicht beurteilen, wer recht hat. Ganz wesentlich ist sicherlich, dass man journalistische Inhalte eigentlich heute schon auch in digitalen Produkten anbieten muss. Dafür braucht man natürlich auch Personal, und das muss nicht immer nur neues, junges Personal sein.

Auch Printmedien gelingt es zu überleben. Was müssen sie tun, um sich weiterhin halten zu können? Reicht ein guter Digitalauftritt?

Entscheidend ist, nicht einfach nur ­einen Digitalauftritt, also eine einfache Website, anzubieten, sondern wirklich Produkte, die nicht nur inhaltlich interessant sind, sondern auch einfach zu erwerben und angenehm zu benutzen. Da hat die ganze Medienbranche noch viel zu lernen. insbesondere wird man auch attraktivere Zugänge durch die Paywalls einbauen müssen. Dann wird man auch zahlende Kunden finden, die Marktforschung bestätigt das. »Ich glaube nicht an paid content«, dieser Satz, den der damalige G+J-Digitalchef Arne Wolter vor einigen Jahren äußerte, war schon damals eine Fehleinschätzung – und fatal für G+J. Paid content wurde als Angriff auf das Geschäftsmodell mit der Werbung verstanden.

Warum geht es um Stellenabbau und nicht um Stellenverteilung? Es muss in einem so großen Medienkonzern doch möglich sein, qualifizierte Journalistinnen und Journalisten unterzubringen?

Ja, das sollte möglich sein. Aber in der Praxis geht es wohl doch meistens um spezifische Anforderungen und auch um den Arbeitsort. Nicht alle, die in Hamburg ihre Stelle verlieren, werden nach Köln umziehen wollen. Vermutlich wird Bertelsmann auch seinen Tochterfirmen nicht vorschreiben wollen, Mitarbeiter von anderen Konzerntöchtern zu übernehmen.

Ein gewisses Verständnis entnahm man den Medien für die Einstellung des Magazins Barbara, das ganz auf die Fernsehmoderatorin Barbara Schöneberger zugeschnitten ist. Lenkt das Schmunzeln über ein solches Spartenblatt von der eigentlichen Problematik ab?

Ich kenne die Zahlen von Barbara nicht. Neben den betroffenen Mitarbeitern soll auch Barbara Schöne­berger selbst sehr unglücklich über die Einstellung der mit viel Herz gemachten Zeitschrift sein.

Wie kann es in der immer bunteren und dem Streaming-Rausch ­erlegenen Medienwelt weitergehen? Was ist in diesen Zeiten Qualitätsjournalismus und wie ist er finanzierbar?

Mit interessanten, relevanten Inhalten in attraktiven, digitalen Produkten und vielleicht einem intelligenten Medienmix werden sich viele zahlungswillige Kunden finden. Es leben ja heute schon einige Titel gar nicht schlecht davon. Auch G+J hat bereits vor etlichen Jahren siebenstellige Umsätze mit ­E-Magazinen gemacht.

Einige Magazine sollen an andere Unternehmen verkauft werden. Ist das gut? Kann es gelingen? Können so Arbeitsplätze erhalten werden?

Es ist wohl zu befürchten, dass mit den verkauften Magazinen jeweils nur wenige ihrer Mitarbeiter übernommen werden. Besser mag es bei der Beteiligung an der Deutschen Medienmanufaktur aussehen. Hier frage ich mich allerdings, ob nicht die RTL-Vermarktungs- und Vertriebsorganisationen (Ad Alliance und DPV) Mandanten verlieren könnten. Dazu hat sich die Geschäftsführung bisher nicht geäußert, nur, dass sie die Beteiligung verkaufen wollen.

Wie ist die Stimmung unter den Beschäftigten?

Die Kolleginnen und Kollegen tragen es äußerlich mit Fassung, aber viele dürften schon etwas verzweifelt sein. Derzeit herrschen noch Wut und Empörung vor, es ist die Frage, wie sich das entwickelt, wenn die schlimmen Entscheidungen dann wirklich getroffen und verkündet worden sind. Ich hörte, dass sich in manchen Bereichen die Krankmeldungen häufen.

Gibt es da Konkurrenz untereinander? Wollen die von Entlassung ­Bedrohten vor allem ihre eigene Position sichern oder ist die Stimmung eher kämpferisch und solidarisch?

Ich nehme eher Solidarität wahr und sehe auch keinen Grund für Konkurrenz, weil die Geschäftsführung die Entscheidung, was mit welchem Titel passiert, schon bekanntgegeben hat.

Haben die Betroffenen eine Chance auf andere Stellen? Gibt es einen Sozialplan?

Ein Sozialplan wird derzeit verhandelt.

Kritik kommt ja sogar von unternehmerischer Seite. Julia Becker, die Aufsichtsratsvorsitzende der Funke-Mediengruppe, hat »das Zerschlagen eines traditionsreichen und bedeutenden Verlags« kritisiert und will mit einem Runden Tisch »Wege suchen, unabhängigen Journalismus zu retten«. Wie bewerten Sie diese Initiative?

Einiges von dem, was sie gesagt hat, würden sicherlich alle G+J-Mitarbeiter gern unterschreiben, beispielsweise: »Journalistische Titel alleine unter (überzogenen) Renditeerwartungen zu beurteilen, ist reines Controller-Denken.« Aber letztlich kann und will ich die Initiative nicht bewerten.

Und noch eine Antwort auf eine Frage, die Sie gar nicht gestellt haben: Niemand bei G+J hat etwas gegen RTL. Viele tolle Kolleginnen und Kollegen arbeiten dort. Es gab viele Fragezeichen bei der Zusammenlegung hinsichtlich der unterschiedlichen Zielgruppen, aber über das Haus oder die Mitarbeiter dort habe ich nichts Ne­gatives gehört.

Hauke Hell arbeitet seit 21 Jahren bei Gruner und Jahr und seit elf Jahren in der IT-Abteilung. Er ist in der Verdi-Beriebsgruppe aktiv. Mit der »Jungle World« spricht über die Stellenstreichungen, mögliche Alternativen und die Digitalisierung des Medienmarkts. RTL Deutschland ist die Dachgesellschaft der deutschen Firmen der RTL Group, die ihrerseits zu mehr als 75 Prozent dem Konzern Bertelsmann gehört. Zu RTL Deutschland gehört auch der Verlag Gruner und Jahr, aus dessen Programm nun 23 Zeitschriften eingestellt werden sollen, überwiegend Ableger von Kernmarken wie »Brigitte« und »Geo«; andere, wie »Business Punk« und »Beef«, sollen verkauft werden. Geplant ist die Streichung von 700 der 1 900 Vollzeitstellen. Die Zahl der Entlassungen könnte noch höher ausfallen, da diese 700 Vollzeitstellen das reine wöchentliche Stundenvolumen bezeichnen, das auch Teilzeitstellen einbezieht. Zudem sind auch bei den zum Verkauf stehenden Titeln Entlassungen zu ­erwarten. Mehrere Hundert Beschäftigte in Hamburg protestierten am 25. Januar vor dem Verlagsgebäude und am 7. Januar auf dem Rathausmarkt gegen die Kürzungspläne. Der Betriebsrat befindet sich derzeit in Verhandlungen mit der Geschäftsführung.