Die ehemalige Fraktionsvorsitzende will nicht mehr bei Wahlen für die Partei »Die Linke« antreten

Wagenknechts Abrissparty

Sahra Wagenknecht will nicht mehr für die Linkspartei kandidieren. Schon seit Jahren bereitet sie eine Abspaltung vor, die sich auf unzufriedene Wähler der Linkspartei, der AfD und aus dem »Querdenken«-Milieu stützen könnte.

Zum Abschluss der Kundgebung mit dem Motto »Aufstand für Frieden« am 25. Februar in Berlin standen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine Hand in Hand in der Mitte der Bühne. Zufrieden blickten sie in die Menge. »Das, was wir heute hier erleben, ist der Beginn einer Bürgerbewegung, die bitter nötig ist«, fabulierte Alice Schwarzer, die mit Wagenknecht das Happening vor dem Brandenburger Tor initiiert hatte. Ob die 80jährige Emma-Herausgeberin mit diesem Wunschtraum die gleiche Hoffnung verbindet wie das Ehepaar aus dem saarländischen Merzig, ist allerdings zweifelhaft.

Nach dem desaströsen Scheitern ihrer Sammlungsbewegung »Aufstehen« vor vier Jahren bauen Wagenknecht und Lafontaine darauf, dass ihnen der Ukraine-Krieg doch noch ermöglicht, das Parteiensystem in Deutschland zu verändern. Dank der Kundgebung im Februar, vor allem jedoch dank des Zuspruchs für das von Wagenknecht und Schwarzer verfasste »Manifest für Frieden«, das inzwischen mehr als 740 000 Menschen unterschrieben haben, nehmen nun die Pläne für eine Abspaltung der Wagenknecht-Anhänger:innen von der Linkspartei und die Gründung eines eigenen Wahlbündnisses Konturen an.

Seit dem Parteitag von Ende Juni vergangenen Jahres in Erfurt reifen die Spaltungsüberlegungen im politischen Umfeld Wagenknechts und Lafontaines, der bereits im März 2022 seinen Austritt aus der Linkspartei erklärt hatte. Bei der Versammlung in der Landeshauptstadt Thüringens hatten es die Anhän­ger:innen Wagenknechts nur noch auf etwa ein Fünftel der Delegierten gebracht und waren sowohl inhaltlich als auch personell auf ganzer Linie gescheitert. Von einem »Affront gegen einen relevanten Teil der Partei, dem man auf diesem Parteitag signalisiert hat, dass er nicht mehr erwünscht ist«, sprach anschließend Wagenknecht, die auf dem Parteitag selbst nicht anwesend war, in der Süddeutschen Zeitung.

Immer gepaart mit scharfen Angriffen auf die Parteiführung, kokettiert die ehemalige Bundestagsfraktionsvorsitzende seither offen mit der Gründung einer neuen Partei – ohne allerdings zu konkret und eindeutig zu werden. Denn das würde ihr geradezu zwangsläufig ein Parteiausschlussverfahren bescheren und damit mit ziemlicher Sicherheit ein nicht selbstgewähltes Ende ihrer Mitgliedschaft. Wagenknechts Textbausteine sind seit Monaten weitgehend gleich. So bekundete sie im Oktober 2022 auf einer Veranstaltung in Zwickau, es gebe »eine große Leerstelle im politischen System«.

Mitte Februar 2023, also ein halbes Jahr später, ist daraus in einem Interview mit den ihr sehr gewogenen Nachdenkseiten eine »riesige Leerstelle im politischen System« geworden. Es gebe »da schon Bedarf für eine neue Partei, die rund 30 Prozent der Menschen endlich einmal wieder eine Stimme gibt«. Doch dann kommt stets der Einwand, dass es nicht einfach sei, eine solche Partei zu gründen. Sie sage nicht, »dass das generell nicht möglich ist, aber man muss sich das sehr über­legen«, so Wagenknecht im Herbst 2022. »So ein Projekt ohne solide Vorbereitung zu beginnen, hätte wenig Aussicht auf Erfolg«, so Wagenknecht im Frühjahr 2023.

Nun hat die 53jährige angekündigt, definitiv nicht mehr für die Linkspartei zu kandidieren. »Eine erneute Kandidatur für die Linke schließe ich aus«, sagte sie der Tageszeitung Die Rheinpfalz. Was ihre politischen Zukunftspläne angeht, blieb Wagenknecht wie bisher im Vagen: Nach Ablauf der Legislaturperiode wolle sie sich entweder aus der Politik zurückziehen – »oder es ergibt sich politisch etwas Neues«. Dass es für sie kein Zurück mehr zur Linkspartei gibt, zeigen Äußerungen gegenüber dem Tagesspiegel. Dass die Parteiführung die von ihr und Schwarzer organisierte Berliner Kundgebung nicht unterstützt hat, zeuge »vom traurigen Niedergang der einstigen Friedenspartei«, sagte Wagenknecht. Die Differenzen zwischen ihr und der Parteiführung seien »mittlerweile so groß, dass die Vorstellung, wie das noch einmal zusammenfinden soll, meine Phantasie überfordert«.

Damit dürfte nun selbst dem Partei-Granden Gregor Gysi klar sein, dass es keine Verständigung mehr mit Wagenknecht geben wird. Mit dem Ziel, die Linkspartei in ihrer bisherigen Form zu bewahren, hatte sich Gysi hinter den Kulissen wochenlang bemüht zu kitten, was nicht mehr zu kitten ist. Dafür hatte er den Entwurf eines »Konsenspapiers« formuliert, das sowohl die Partei- und die Fraktionsvorsitzenden als auch Wagenknecht unterschreiben sollten – daraus wurde aber nichts: Wagenknecht wollte kein eindeutiges Bekenntnis zur Linkspartei ablegen. Und die Parteiführung wollte keinen inhaltlichen Kotau vor Wagenknecht machen.

»Ich glaube nicht, dass die AfD auf Dauer die Partei der Unzufriedenheit in Sachen Corona, Mittelstands­sterben, Lohneinbußen, Arbeits­plätzeverfall und Gender-Mumpitz bleiben wird.« Diether Dehm

Das vergebliche Bemühen Gysis, Wagenknecht wieder zu integrieren, hat auch damit zu tun, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine die Partei vor eine schwierige Zerreißprobe stellt, die Gysi auch persönlich schmerzt. Er muss beobachten, dass ausgerechnet etliche sogenannte Reformer:innen, mit denen er im Osten nach dem Zusammenbruch der DDR die PDS aufgebaut hat, sich von der Linkspartei aufgrund deren vermeintlich zu kritischer Haltung zu Russland entfremden. Wagenknecht spricht dieser Gruppe dagegen aus dem Herzen. Bestes Beispiel dafür ist Michael Brie, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Brie hat unlängst in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung ND, das frühere Neue Deutschland, einen Sonderparteitag gefordert, um die derzeitige Parteiführung abzulösen. »Der Kampf um die Partei Die Linke gehört auf die offene Bühne und es muss entschieden werden, ob es beim Weiter-so auf dem Weg ins Abseits bleibt oder die Partei sich ihrer historischen Verantwortung stellt«, schrieb er. Womit Brie ein Umschwenken auf den Wagenknecht-Kurs meinte. Das ­jedoch würde das Ende der Linkspartei bedeuten.

Der Bruch mit Wagenknecht und ­ihrem Anhang ist so grundlegender Natur, dass er sich nicht durch Formelkompromisse überbrücken lässt. Seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 haben sich zwei Lager in der politischen Linken herausgebildet, deren Gegensätze sich von Kontroverse zu Kontroverse vertiefen: von der Migrationspolitik über Corona bis zum Ukraine-Krieg.

Vergleichbar mit der Krise westlicher kommunistischer Parteien nach der militärischen Niederschlagung des »Prager Frühlings« durch die Staaten des Warschauer Vertrags 1968, stehen sich wieder zwei Lager unversöhnlich gegenüber. Seinerzeit bekämpften in Folge des Einmarschs in die Tschechoslowakei die moskautreuen jene eurokommunistischen Linken, die für eine demokratische Gesellschaftsordnung eintraten.

Heutzutage bekämpft eine nationalpopulistische, gesellschaftlich konservative, antiökologische und sozialpaternalistische Strömung jene, die für sich in Anspruch nehmen, eine Linke »auf der Höhe der Zeit« zu sein: progressiv und emanzipatorisch. Gysi hätte nur Wagenknechts Buch »Die Selbstgerechten« lesen müssen, um zu begreifen, dass es hier nichts mehr zu vermitteln gibt.

Wagenknecht und ihren Getreuen ist es gelungen, mit der Diffamierung ihrer innerparteilichen Gegner:innen als »Lifestyle-Linke« die sozial- und verteilungspolitische Glaubwürdigkeit der Linkspartei tiefgreifend zu erschüttern. Nun versuchen sie deren friedenspolitische Orientierung in Frage zu stellen – ein weiteres identitätsstiftendes Moment der Partei. Das Versagen der Parteimehrheit ist es, diesem Treiben nicht frühzeitig Einhalt geboten zu haben. Katja Kipping und Bernd Riexinger, bis 2021 die Parteivorsitzenden der Linkspartei, die das destruktive Treiben der Wagenknecht-Truppe intern sehr genau analysiert hatten, schreckten davor zurück, die Machtprobe zu wagen. Damals stand die Linkspartei in den Umfragen noch zwischen acht und zehn Prozent.

Trotzdem nutzten Kipping und Riexinger die Gelegenheit nicht, das »Aufstehen«-Projekt zum Anlass für einen inhaltlichen und auch offiziellen Bruch zu nehmen, offenbar weil sie Angst hatten, es würden zu viele im Fall einer Trennung Wagenknecht auf ihrem Weg folgen. Damals hatte die Partei noch mehr als 62 000 Mitglieder, inzwischen sind es weniger als 54 000. Und in den Umfragen liegt sie zwischen vier und sechs Prozent.

Das befördert nicht eben den Mut der heutigen Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan. Zumal es den Bundestagsfraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali bis heute an der Einsicht fehlt, dass ein solcher Bruch überhaupt erforderlich ist. Kein Wunder: Bartsch beklatschte noch im Herbst Wagenknechts Rede im Bundestag, als sie der Regierung vorwarf, einen »beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen«, während Mohamed Ali den »Aufstand für Frieden« ausdrücklich begrüßt (Sahra Wagenknechts »Aufstand für Frieden« in Berlin: Das bisschen Querfront, Jungle World 9/2023).

Das Problem ist: Wagenknecht hat die Zeit, die die Linkspartei nicht hat. Je mehr sich die Partei an ihr zerreibt, desto besser stehen die Chancen für Wagenknechts eigenes politisches Projekt, über das sie und ihre Vertrauten schon seit Monaten intensiv diskutieren: ein Wahlbündnis zur Europawahl im Frühjahr 2024, aus dem – profitierend von Stimmen aus der bisherigen Linken- und AfD-Wähler:innenschaft sowie dem »Querdenker«-Milieu – eine neue Partei entstehen soll.

Erstmalig öffentlich über eine Alternativkandidatur gegen die Linkspartei bei der Europawahl gesprochen hat der frühere Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Diether Dehm, auf einer Veranstaltung der DKP im August 2022 – was ihm ein noch nicht abgeschlossenes Parteiausschlussverfahren eingebracht hat (Abbruchunternehmen: Der Wagenknecht-Flügel der Linkspartei umgarnt die Kleinstpartei DKP, Jungle World 35/2022). Nun hat der 72jährige Musikmillionär, der als einer der treuesten Anhänger Wagenknechts gilt, in einem Interview mit dem kreml­treuen ehemaligen RT-Deutsch-Leiter Iwan Rodionow bekräftigt, es werde »zu einer neuen Kraft kommen, und die wird es auch vor der Europawahl geben«. Er glaube nicht, »dass die AfD auf Dauer die Partei der Unzufriedenheit in Sachen Corona, Mittelstandssterben, Lohneinbußen, Arbeitsplätzeverfall und Gender-Mumpitz bleiben wird«.

Wie zahlreiche andere aus dem engeren politischen Umfeld Wagenknechts war auch Dehm bei der Berliner »Friedenskundgebung« dabei. Bestens gelaunt spazierte er hinter der Bühne herum, bewaffnet mit einem Schirm, auf dem weiße Flugzeuge auf blauem Grund zu sehen waren – eine sehr spezielle Abwandlung des klassischen Weiße-Taube-auf-blauem-Grund-Motivs, das ansonsten die Kundgebung dominierte. Aber wie Wagenknecht und Lafontaine hat Dehm eben ganz eigene Vorstellungen von Frieden und »links«.