Die Polizei soll Gesichts­erkennungs­software bald umfassend verwenden

Fahndung auf Facebook

Von Lisa Bor

Das geplante »Sicherheitspaket« der Bundesregierung enthält auch eine Ausweitung von Überwachungsbefugnissen. Zukünftig soll die Polizei das Internet mit automatischer Gesichtserkennung durchforsten können.

Für Freunde präventiver Repressionsmaßnahmen und umfassender ­Überwachung beginnt ein Traum gerade, Wirklichkeit zu werden. Das ­sogenannte Sicherheitspaket der Regierungs­koalition, das im Gefolge des islamistischen Attentats in Solingen in aller Schnelle verabschiedet werden soll, enthält neben allerlei Repressalien gegen Migrant:innen auch deutlich mehr Befugnisse für die ­Polizei.

Den »Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung« hat die Regierung am 9. September beschlossen. Wer etwas auf Parteiprogramme und Koalitionsverträge gibt, könnte bei der Lektüre eine böse Überraschung erlebt haben. Denn die geplanten Regelungen zur biometrische Gesichtserkennung widersprechen den bisherigen Positionen der Koalitionsparteien, in erster Linie denen von Grünen und FDP, die auch in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden hatten: »Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab«, steht dort zu lesen.

Wer zufällig im Hintergrund eines auf Instagram hochgeladenen Selfie-Videos auftaucht, könnte zukünftig von einer Polizei-KI gescannt werden.

Biometrische Gesichtserkennung bedeutet, dass eine Software bestimmte Gesichter in großen Datenmengen sucht und identifiziert. Zum Beispiel können alle öffentlich zugänglichen Fotos in den sozialen Medien durchsucht werden. Private Firmen bieten diese Dienstleistung längst an, wenn auch in einer rechtlichen Grauzone. Auf diesem Weg haben Journalisten Anfang des Jahres das Facebook-Profil der als mutmaßliches ehemaliges RAF-Mitglied gesuchten Daniela Klette gefunden, die dann kurz darauf in Berlin festgenommen wurde.

Die im August in Kraft getretene KI-Verordnung der EU verbietet diesen Einsatz von Gesichtserkennungssoftware prinzipiell, allerdings mit etlichen Ausnahmen: bei einem drohenden Terroranschlag beispielsweise oder bei einer Fahndung wegen Drogenhandels, schwerer Körperverletzung, Mord, Vergewaltigung und Umweltkriminalität.

Echtzeitidentifizierung bei Überwachungskameras

Der deutsche Gesetzentwurf soll die Befugnisse der Ordnungsbehörden ausweiten: Zukünftig sollen sie grundsätzlich in öffentlich zugänglichen Bildern im Internet und in den sozialen Medien nach einzelnen Gesichtern und auch nach Stimmen suchen können. Das bedeutet: Wer zufällig im Hintergrund eines auf Instagram hochgeladenen Selfie-Videos auftaucht, könnte in Zukunft von einer Polizei-KI gescannt werden.

Automatische Gesichtserkennung ermöglicht auch die Echtzeitidentifizierung bei Überwachungskameras. Deutsche Polizeibehörden in mehreren Bundesländern haben diese Technik bereits eingesetzt. Juristische Fachleute kritisierten, dass es dafür keine Rechtsgrundlage gegeben habe. Die neue ­KI-Verordnung der EU verbietet dieses Vorgehen, allerdings wieder mit Ausnahmen. Die Regierungskoalition hat im Frühjahr angekündigt, den Gebrauch der Echtzeitidentifizierung strenger zu regulieren, als es im EU-Recht vorgesehen ist, bislang ist aber noch nichts geschehen. Auf jeden Fall erlaubt sein soll jedoch das »rückwirkende« Scannen von Aufnahmen mit Gesichtserkennungssoftware. Diesbezüglich sieht auch die EU-Verordnung weitreichende Befugnisse vor.

Biometrische Erfassung wurde bereits 2017 bei den G20-Protesten in Hamburg eingesetzt. Damals wurden die Proteste gefilmt und eine spezielle Software erfasste und speicherte die Gesichtsdaten von Tausenden Menschen. Später wurde dann die Datenbank nach einzelnen Personen durchsucht.

»Direkter Weg in einen Überwachungsstaat«

Im Koalitionsvertrag heißt es, dass die »biometrische Erkennung im öffentlichen Raum europarechtlich auszuschließen« sei. Diese Formulierung entsprach den Wahlprogrammen der Grünen und der FDP. Das Programm der Grünen befürwortete zwar engmaschige Überwachung von Gefähr­der:in­nen auch über Grenzen hinweg, lehnte aber den »Einsatz biometrischer Identifizierung im öffentlichen Raum« und »die undifferenzierte Ausweitung der Videoüberwachung« ab. Ebenso trat die FDP im Wahlkampf dafür ein, Anonymität im öffentlichen Raum zu wahren und polizeiliche Überwachung nicht auszuweiten.

Die SPD äußerte sich im Wahlprogramm nicht explizit zum Einsatz von technologiebasierter Gesichtserkennung. Ausdrücklich für den Einsatz von Automatisierungssoftware bei der Auswertung von Überwachungskameras und Gesichtserkennung warben im Wahlkampf 2021 die CDU/CSU und die AfD.

Die weitreichenden Gesetze könnte schon bald beschlossen werden. Am 12. September fand bereits die erste Lesung des Entwurfs im Bundestag statt. Matthias Spielkamp, Geschäftsführer der NGO Algorithm Watch, äußert sich auf Anfrage der Jungle World erschrocken darüber, dass fast alle Parteien die Sicherheitsdebatte ausschließlich mit Bezug zur Migration führten. Auch stünden die wenigen Fälle von Straf­taten in keinem Verhältnis zu dem geforderten Ausmaß der Gesichtserkennung. »Das ist der direkte Weg in einen Überwachungsstaat«, so Spielkamp.