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Blind Dates werden für schwule Männer immer häufiger zur Gefahr
Blinder Hass
Immer wieder kommt es bei Blind Dates zu Gewalt gegen schwule Männer. Bundesweit berichten Beratungsstellen und Vereine von Vorfällen wie dem, der sich jüngst in Lüneburg ereignete.
Zwei Fälle innerhalb von 24 Stunden. Kurz hintereinander sind zwei Männer in Lüneburg auf die gleiche Art über eine schwule Dating-App in eine Falle gelockt worden. Statt ein romantisches Date genießen zu können, wurden sie am vereinbarten Treffpunkt brutal zusammengeschlagen.
Das erste Opfer war Simon Schmidt, Schatzmeister der Jungen Union (JU) Lüneburg. Der hatte sich am frühen Montagabend, dem 25. November, mit einem Mann auf dem Schulhof einer Gesamtschule in Lüneburg-Kaltenmoor verabredet. Als er gegen 18.15 Uhr dort eintraf, überraschte ihn eigenen Angaben zufolge eine Gruppe Jugendlicher.
»Das war ein schwulenfeindlicher Anschlag. Ich hatte mich auf einer Dating-App mit einem Mann verabredet. Der Treffpunkt war ein Hinterhalt«, erzählte Schmidt der Bild-Zeitung. Er sprach von einer »Horde von sieben oder acht Migranten aus Syrien oder Afghanistan«, die hinter Büschen hervorgekommen sei und ihn mit Fäusten und Tritten traktiert habe. Nach der Attacke musste er im Krankenhaus behandelt werden.
Junge Union ruderte zurück
Die JU Lüneburg äußerte sich noch am Abend zu dem Vorfall. Die innere Sicherheit »auch bei uns in Lüneburg« sei »stark gefährdet«, hieß es auf ihrer Internetseite. Und warnte weiter vor einer »mangelnden Integrationsbereitschaft von gewissen Menschen mit Migrationshintergrund, die vor brutaler Gewalt gegen deutsche Mitbürger nicht zurückschrecken«.
Wenige Tage später klang der Kreisverband nach heftiger Kritik ganz anders. In einer Pressemitteilung vom 28. November bedauerte man, die erste Stellungnahme sei »zu scharf formuliert« gewesen. Man stehe zu einem »toleranten Lüneburg«. Man weise zurück, rechtspopulistische Intentionen verfolgt zu haben, auch wenn »bestimmte Äußerungen den Anschein erweckt« hätten. Die ursprüngliche Erklärung wurde von der Homepage gelöscht.
Nur 24 Stunden nach dem Überfall auf Simon Schmidt wurde ein 37jähriger Mann Opfer eines ähnlichen Vorgehens. Auch er wurde über eine Dating-App in eine Falle gelockt und verprügelt – in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schulhof. Die Polizei tappt bei der Suche nach den mutmaßlichen Tätern noch im Dunkeln. Fälle wie diese häufen sich derzeit.
Vor Queer- und Schwulenfeindlichkeit nach Deutschland geflüchtet
»Man fühlt sich nach solchen Attacken natürlich nicht mehr sicher«, berichtet Adan Geißendörfer vom Verein Checkpoint Queer, einem Treffpunkt für LGBT-Personen in Lüneburg, der Jungle World. »Die Leute überlegen schon, ob sie abends allein im Dunkeln nach Hause gehen.« Geißendörfer warnt vor vorschnellen Schlüssen. »Wir haben queere Menschen bei uns in der Beratung, die vor Queer- und Schwulenfeindlichkeit nach Deutschland geflüchtet sind.«
Dennoch gebe es natürlich auch kulturelle Probleme mit Queerfeindlichkeit bei zugewanderten Menschen, ergänzt er. Hier müsse man schnell miteinander ins Gespräch kommen. Als Problem benennt er allerdings auch, dass es bislang noch keine zentrale Meldestelle für Übergriffe auf LGBT-Personen in Niedersachsen gebe. Die wird gerade erst eingerichtet und ist zunächst für ein Jahr befristet.
Die fehlende Möglichkeit, Übergriffe niedrigschwellig zu melden, bemängelt auch Steve Behrmann vom Hamburger Magnus-Hirschfeld-Centrum (MHC) im Gespräch mit der Jungle World. In Hamburg kam es im August zu einem ähnlichen Vorfall, bei dem vier Vermummte einem 47jährigen an einem zuvor online verabredeten Treffpunkt auflauerten und ihn verprügelten.
»Wir stellen auf unserer Homepage einen Gewaltmeldebogen zur Verfügung. Viel wichtiger wäre aber eine offizielle Meldestelle«, so Behrmann. Viele Opfer von homophoben Übergriffen würden sich aus Scham oder Angst nicht an die Polizei wenden. Eine Meldestelle könne das genaue Ausmaß klarer erfassen und Grundlage für ein Konzept der Gewaltprävention werden.
Zunahme schwulenfeindlicher Gewalt
Das MHC beobachtet in Hamburg eine Zunahme von schwulenfeindlicher Gewalt und generell mehr offener Abneigung gegen LGBT-Menschen. Zwar spielten sich die meisten Übergriffe im sozialen Nahbereich ab, eine Zunahme von Attacken auf schwule Männer beobachtet das MHC aber zum Beispiel auch im Hamburger Stadtpark, einem beliebten Treffpunkt für schwule Männer.
»Je mehr wir öffentlich sichtbar sind, desto mehr kommt es auch zu Missgunst und Hass«, vermutet Behrmann. Es sei vieles sagbar geworden in der Gesellschaft. Die Präsenz der AfD in den Parlamenten erleichtere es, sich intolerant gegen queere und schwule Menschen zu zeigen. Nur: Ohne genaue Erfassung der Taten könne es auch kein passgenaues Präventionskonzept geben.
Mit Maneo gibt es in Berlin eine solche Anlaufstelle seit nunmehr beinahe 35 Jahren. Es ist eines der ersten schwulen Anti-Gewalt-Projekte und wurde mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet. Maneo hat als erstes Projekt öffentlich vor den Gefahren des Datings mit Unbekannten gewarnt. Und durch die langjährige Erfahrung und Erfassung von Übergriffen zeigt sich das Projekt mit Blick auf die derzeitigen Entwicklungen alarmiert.
Keine Einzelfälle
»Es kommt regelmäßig zu Übergriffen bei Blind Dates«, sagt Bastian Finke, Leiter von Maneo, im Gespräch mit der Jungle World. Es seien beileibe keine Einzelfälle, sondern Maneo habe das ganze Jahr über mit solchen Meldungen zu tun. Diese reichten von Verabredungen in der eigenen Wohnung, bei denen auf einmal viel mehr Menschen erschienen und das Opfer dann entweder überfallen, demütigen, ausrauben oder auch alles zusammen, bis hin zu fingierten Verabredungen an öffentlichen Orten, bei denen es zu Übergriffen komme.
Es scheint ein bundesweiter Trend zu sein. Auch dem Verein Sub in München wurde jüngst ein Übergriff gemeldet, so wurde der Jungle World mitgeteilt. Vier jugendliche Täter hätten einen 20jährigen in seiner Wohnung überfallen. Zuvor habe sich der Betroffene auf einer bei Schwulen beliebten Dating-App verabredet. Vor seiner Wohnung hätten dann drei Vermummte auf ihn gelauert und ihn überfallen; der gedatete Mann hatte das Opfer in eine Falle gelockt. Im Polizeibericht taucht der Überfall nicht im Zusammenhang mit Hasskriminalität auf. Doch das Opfer wandte sich an Sub und berichtete von homophoben Beschimpfungen.
Im Juni traf es einem 58jährigen in einem abgelegenen Waldstück in Hagen. Ebenfalls über eine Dating-App hatte der sich mit einem vermeintlichen Callboy verabredet. Stattdessen erwartete ihn allerdings eine Gruppe Vermummter, die ihn zusammenschlug und ausraubte. Der 58jährige musste im Krankenhaus behandelt werden. Die Polizei sprach von sechs mutmaßlichen Tätern im Alter zwischen 15 und 18 Jahren – und von Ähnlichkeiten zu gleichgelagerten Taten, die sich kurz zuvor in der Region zugetragen hätten.
»Es kommt regelmäßig zu Übergriffen bei Blind Dates.« Bastian Finke, Leiter des schwulen Anti-Gewalt-Projekts Maneo
In der Mehrheit der Fälle sei Homophobie der Auslöser der Taten, bestätigt Finke. Teilweise werden sie von Banden ausgeführt. Bei vielen Opfern lösten die Übergriffe Beschämung aus, gerade wenn kompromittierende Nacktfotos aufgenommen oder ausgetauscht oder die Opfer gedemütigt und erniedrigt worden seien. Kommen die Fälle vor Gericht, gehe die Tortur für die Opfer deshalb mitunter weiter. Dazu kommt noch, dass »vor Gericht die Motivation der Täter oft keine Rolle« spiele. »Da wird dann einfach ein Raub verhandelt«, so Finke. In vielen Ländern sei das anders geregelt, fügt er hinzu: Da wirke sich zum Beispiel Hass auf Schwule – anders als in Deutschland – als Motiv strafverschärfend aus. So verlassen hierzulande viele Täter das Gericht mit sehr milden Strafen.
Bei den Tatverdächtigen beobachtet Maneo eine Tendenz. Einige wenige Blind Dates seien von Rechten vorgetäuscht worden, um ihre Opfer dann zu verprügeln. Bei der Mehrzahl der gemeldeten Fälle hätten die Täter aber keine »klassisch deutschen Namen«, wie Finke es vorsichtig umschreibt. Die Brisanz der Statistik ist ihm bewusst und er wehrt sich präventiv gegen irgendwie geartete rassistische Deutungsmuster. Es seien aber oft Täter, die aus dem arabischen oder südosteuropäischen Raum stammten.
Finke wünscht sich ein passgenaueres Präventionsprogramm, das sich auch vorhandener Ressentiments bei zugewanderten Menschen widmet; und eine genauere Erfassung der Daten, um eine gute Gewaltprävention zu ermöglichen. Bisher wird dies in Deutschland nur in Berlin finanziert. In vielen anderen Bundesländern vermisst auch Finke zentrale Meldestellen. Um Übergriffe zu verhindern, rät Maneo auf seiner Homepage, gerade bei Blind Dates besondere Vorsicht walten zu lassen: »Verabredet euch zum ersten Treffen an einem sicheren Ort.«