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In den DP-Camps der jüdischen Holocaust-Überlebenden florierte der Schachsport

»Die jidiszen Szachisten sejnen di beste der Welt«

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Ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trafen sich 36 jüdische Spieler zu einer Schacholympiade in Landsberg am Lech.

»Zundik, dem 1-tn September 1946 iz forgekumen di Derefnung fun der erszter Szach-Olimpjade in Landsberg«, meldete die jiddische Landsberger Lager Cajtung (LLC). Und betonte: »Jeder Center in der Amerikaner Zone iz farflichtet cu szikn zajne draj besten Szach-Szpiler.« Übersetzt heißt das: Zur ersten Schacholym­piade in Landsberg 1946 solle jedes Lager in der US-amerikanischen Zone die drei besten Spieler schicken.

Das Blatt wurde von Shoah-Überlebenden herausgegeben und erschien im Displaced Persons (DP) Camp im oberbayerischen Landsberg. Ausgerechnet in der ehemaligen »Stadt der nationalsozialistischen Erziehung«, einem der Wallfahrtsorte des NS-Regimes, dem Ort, an dem Adolf Hitler seine Hetzschrift »Mein Kampf« verfasst hatte, fanden Tausende von Überlebenden der Shoah zwischen 1945 und 1950 in der Saarburgkaserne eine temporäre Zuflucht. Bleiben wollte im Land der Täter jedoch niemand, sehnsüchtig warteten die Menschen auf eine Auswanderungsmöglichkeit. Aber der Staat Israel war noch nicht gegründet und die klassischen Auswanderungsländer wie Kanada, Australien oder die USA ließen nur wenige Migranten ins Land.

Um der Tristesse des Lageralltags zu entfliehen, suchten die in Deutschland gestrandeten Juden Zerstreuung bei Sport und Spiel. Schach erfreute sich großer Beliebtheit. Schon 1894 schrieb der russische Literat und Schachspieler Andreas Ascharin in seinen Schachhumoresken: »Wo sich ein Schachclub auftut, da sind die Söhne Israel gewiss nicht die Letzten, welche um Einlass bitten. Sie gehören zu den eifrigsten Be­suchern, rastlos bestrebt sich hervorzutun und der Erfolg fehlt ihnen selten.«

Überall in den DP-Camps der Nachkriegszeit wurden Schachclubs gegründet. Die jiddischen Zeitungen hatten eine spezielle Rubrik, »Szach-Winkl« genannt, in der Partien zum Nachspielen oder Analysieren abgedruckt waren.

Der erste Schachweltmeister, von 1886 bis 1894, war der 1836 in Prag geborene Jude Wilhelm Steinitz. Ihm folgte der deutsche Jude Emanuel Lasker, der bis 1921 unangefochten die WM-Krone verteidigte. Weitere jüdische Schachweltmeister waren Michail Botwinnik und Garri Kasparow (geb. Weinstein), beide traten für die Sowjetunion beziehungsweise Russland an. Der letzte jüdische Spieler in einem Weltfinale war der aus Belarus emigrierte Boris Gelfand, der 2012 nur knapp gegen den Inder Viswanathan Anand verlor. Der Vizeweltmeister Gelfand spielt seit 2000 für Israel und lebt in Rishon LeZion.

Überall in den DP-Camps der Nachkriegszeit wurden Schachclubs gegründet. Die jiddischen Zeitungen hatten eine spezielle Rubrik, »Szach-Winkl« genannt, in der Partien zum Nachspielen oder Analysieren abgedruckt waren. Regelmäßig fanden Turniere statt, an denen jeder teilnehmen konnte. Die Besten luden zu Simultanwettbewerben ein, bei denen ein Spieler gegen mehrere Gegner gleichzeitig spielte. An der »­Szach-Olimpjade«, die vom 1. bis zum 15. September 1946 auf Einladung des Jidiszer Turn un Sport Farajn Ichud im DP-Camp Landsberg stattfand, nahmen die besten 36 Spieler aus 16 Lagern teil. In seiner Eröffnungsansprache erinnerte der Ehrenvorsitzende des Landsberger Schachclubs, H. Markowski, daran, dass sich schon unmittelbar nach der Befreiung »Szachisten« zusammengeschlossen hatten. Ein Beweis dafür, dass der »jüdische Geist trotz Konzentrationslager und Ghettos überlebt hat«.

Gutbesuchtes Konzert des Jewish Ex-Concentration Camp Orchestra

Zum Auftakt der Szach-Olimpjade fand ein gutbesuchtes Konzert des Jewish Ex-Concentration Camp Orchestra statt – unter der Leitung von Dirigent Michael Hofmekler, einem Überlebenden des Ghetto-Orchesters im litauischen Kowno (Kaunas). Hofmekler hatte gemeinsam mit anderen jüdischen ehemaligen KZ-Häftlingen nach dem Krieg im bayerischen Benediktinerkloster St. Ottilien in der Nähe von Landsberg am Lech, das ab April 1945 in ein DP-Krankenhaus umgewandelt worden war, das erste jüdische Nachkriegsensemble gegründet.

Bei reger Anteilnahme der Lagerbewohner, »baj a ful gepaktn Zal«, wie die Landsberger Lager Cajtung schrieb, wurden sechs Gruppen mit sechs Spielern ausgelost. Die Vorrundenspiele dauerten drei Tage, bis die jeweils besten drei für das Halb­finale feststanden. Von diesen 16 Spielern qualifizierten sich schließlich neun für die Schussrunde. Zudem wurde dem Landsberger Schachmeister I. Borzykowski (die Zeitungen jener Zeit kürzten Vornamen aus Platzgründen häufig ab) die Ehre erteilt, an dieser Ausscheidung für das Finale teilzunehmen. Dieser Durchgang dauerte fünf Tage lang. Die beiden punktbesten Spieler qualifizierten sich für das mit großer Spannung erwartete Endspiel, bei dem sich der Vertreter aus dem DP-Hospital Kloster St. Ottilien, Ch. Aleksandrow, souverän gegen den »sehr nervösen« Landsberger Meister durchsetzen konnte.

Schach-Trophäe. »Landsberg Ichud 1946 Szach Olimpiade,  1. Preis gegebn fun UNRRA ­Direktor Mr. Korn« ist auf dem Siegerpokal in jiddischer ­Sprache eingraviert

Schach-Trophäe. »Landsberg Ichud 1946 Szach Olimpiade, 1. Preis gegebn fun UNRRA ­Direktor Mr. Korn« ist auf dem Siegerpokal in jiddischer ­Sprache eingraviert

Bild:
nurinst archiv (Sammlung Jehoshua Pierce)

Am letzten Wettkampftag überreichte Lagerdirektor Walther Korn die von ihm selbst gespendete Trophäe dem Sieger der Schacholympiade, Ch. Aleksandrow. Teilnehmer, Veranstalter und Besucher zeigten sich sehr zufrieden mit dem Wettkampf, der »alle Hoffnungen erfüllt« habe. »Die besten Schachspieler aus den Reihen der Überlebenden sind angetreten und haben das Spiel noch populärer gemacht«, freute sich Korn. Der erste Preis war ein silberner Pokal, auf dem die Fahne mit dem Davidstern und das US-amerikanische Sternenbanner eingraviert waren. Der Endspielverlierer I. Borzykowski bekam ein handgemachtes Schachspiel. Als dritten Preis erhielt der Spieler Rajzman aus München einen Messinganstecker, auf dem Schachfiguren zu sehen waren.

Seinen Gewinn, das Schachspiel, konnte der zweitplatzierte Spieler Borzykowski gleich einsetzen. Denn nach dem feierlichen Bankett veranstalteten alle Teilnehmer der Schacholympiade noch ein Blitzturnier, an dem auch Direktor Korn teilnahm. Gewonnen mit allen zwölf möglichen Punkten hatte auch diesen Wettbewerb Aleksandrow, gefolgt von zwei Spielern aus München. Vierter wurde Direktor Korn. Wieder zeigte sich, dass das königliche Spiel auch sehr viel Freude macht: »Denn Schach ist wie Liebe, allein macht es weniger Spaß«, sagte schon der jüdische Schriftsteller Stefan Zweig, der mit seiner »Schachnovelle« dem Spiel mit den 16 schwarzen und 16 weißen Figuren ein literarisches Denkmal gesetzt hat.