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Künstliche Intelligenz ersetzt zukünftig vielleicht nicht nur den Künstler, sondern auch den Kritiker

Kunstkrieg mit der KI

Essay von

Ob etwas Kunst ist oder nicht, wird bisher gesellschaftlich ausgehandelt. Schreitet die Künstliche Intelligenz nicht nur darin voran, Kunstwerke zu verarbeiten, sondern auch darin, in ihrer totalitären Tendenz den gesellschaftlichen Aushandlungsprozess zu untergraben, wird sie zukünftig vielleicht nicht nur Kunst produzieren, sondern darüber entscheiden, was als Kunst gilt.

Die Kunst kann die Frage, was Kunst ist, selbst nicht beantworten. Da geht es ihr in etwa wie dem menschlichen Gehirn. Es kann dieses und jenes verstehen, aber nicht, was es selbst ist. Die Frage »Haben Sie ein Hirn?«, so kalauerte einst Herbert Achternbusch, könne zweifelsfrei nur ein Metzger beantworten. Die Frage »Was ist Kunst?« kann eindeutig nur ein Kunsthändler beantworten.

Kunst ist, was als Kunst ge- und verkauft werden kann, oder allgemeiner, was in einem sozial relevanten Rahmen als Kunst bewertet wird. Also von Theorie, von Kritik, von Mythos, vom common sense, von Gesetzes wegen, von »Autoritäten«, vom Markt, vom gossip, von den entsprechenden Szenen und Subkulturen. Vor allem aber vom Geld, das in sie und durch sie fließt, sprich: das sie zum Investitionsobjekt macht. Kunst, die nicht irgendwer erwerben oder bezahlen muss, die gibt es nicht. Auch Banksy wird vermarktet. Und im Kleinen wie im Großen ist die Wertbestimmung von Kunst spekulativ.

Künstliche Intelligenz droht stets damit, nicht eine weitere technische Erweiterung für die Fähigkeiten des Menschen zu sein, sondern selbst Subjekt zu werden.

Kunst in einer industrialisierten Gesellschaft heißt: Es handelt sich um ein Berufsfeld, einen Investitionsrahmen, ein Renditeversprechen und ein Mediensegment. Und wie in allen Berufen gibt es auch hier eine Geschichte der Rationalisierungen, der Maschinisierung und schließlich der Digital­i­sierung. Der Anteil direkter körperlicher Arbeit Einzelner in der Produktion von Kunst wird allgemein geringer, der Anteil maschineller und arbeitsteiliger Prozesse dagegen größer. Neue Technologie wird zu einem Gegenstand und zu einem Werkzeug von Kunst. Das sorgt oft auch für Aufregung. Die Frage ist: Was ist Kunst in der postindustriellen und postmarktwirtschaftlichen Welt?

Kunst ist eine Anwendung von Technik. Dass Maschinen und das Maschinelle eine wichtige Rolle im Prozess spielen, ist nicht neu. Relativ neu ist allerdings die Frage, ob Kunst auch außerhalb des menschlichen Individuums entstehen kann.

Was Kunst wird, entscheiden nicht Künstlerinnen und Künstler, nicht Kuratoren und Kritikerinnen allein, sondern es wird diskutiert. Kann das, was ein Schimpanse malt, Kunst sein? Kann das, was ein vierjähriges Kind macht, Kunst sein? Ist die Schleimspur, die eine Schnecke auf einem gefärbten Papier hinterlässt, als Kunst zu verstehen? Wie verhält es sich mit dem Gesang der Wale oder der Zikaden? Ist ein Urinal, wenn man es verkehrt herum aufhängt, Kunst, weil es jemand zum Kunstwerk erklärt hat? Ist Kunst, die perfekt imitiert wurde, selbst Kunst? Wann ist ein Kunstwerk nicht mehr restauriert, sondern rekonstruiert?

Reitender Astronaut

Dass KI-Hervorbringungen sich ins kollektive Bildergedächtnis fressen, lässt sich an dem reitenden Astronauten im Weltraum zeigen, den vermutlich viele schon gesehen haben. Es ist der voreingestellte Prompt »a photograph of an astronaut riding a horse« der Bildgenerierungssoftware Stable Diffusion. Die von Stability AI weiterentwickelte Technik basiert dabei auf der Arbeit eines Forschungsprojekts der Ludwig-Maximilians-Universität und der Universität Heidelberg.

Bild:
[KI generiert] Wikipedia / VulcanSphere - HuggingFace Stable Diffusion 3.5 Large / public domain

Etwas will Kunst werden, so fängt das an. Das wird angenommen oder abgelehnt. Oft werden allerdings auch Urteile revidiert. Fest steht: Es muss ein Subjekt mit einem Kunstwillen geben. Jemand muss sagen: Das soll Kunst sein. Natürlich ist immer noch der Künstler, die Künstlerin das bevorzugte Subjekt des Kunstwillens, auch wenn sie nicht mehr als »totale« Autoren auftreten müssen. Jemand kann einen Fleck an der Wand zur Kunst erklären oder die Attacke von Farbbeuteln auf eine Person. Die vielen Grenzgänge gilt es zu beachten: Die Grenze zwischen Kunst und Design, Kunst und Propaganda, Kunst und Aktivismus, Kunst und Handwerk, Kunst und Karneval, Kunst und Wissenschaft, Kunst und Kulturindustrie, Kunst und Kindergeburtstag, die Liste ließe sich fortführen.

So viel ist klar: Jedes technische Kommunikations- und Archivmittel wird auch von der Kunst übernommen. Gibt es Farben, gibt es Malerei; gibt es Druck, gibt es Druckkunst; gibt es Fotografie, gibt es fotografische Kunst; gibt es Film, gibt es Filmkunst; gibt es Computer, gibt es Computerkunst; gibt es Internet, gibt es Netzkunst; gibt es Künstliche Intelligenz – wird es kompliziert.

Denn die Künstliche Intelligenz (KI) droht stets damit, nicht etwa eine weitere technische Erweiterung für die Fähigkeiten des Menschen zu sein, sondern selbst zum denkenden und vielleicht sogar empfindenden Subjekt zu werden. KI, die Kunst macht, macht nicht nur Kunst, sondern tötet auch die Künstlerin, den Künstler. Wenn die Menschen also besessen sind von der Idee, dass, mit all den Terminatoren, Cyborgs und Replikanten, eines nicht allzu fernen Tages ein Krieg zwischen Menschen und Maschinen unausweichlich ist, dann wäre wohl auch ein Kunst-Krieg wahrscheinlich. Bevor die Maschine eigenständige Kunst machen kann, muss sie den Kerl abmurksen, der glaubt, sie geschaffen zu haben.

Kann also KI Kunst machen? Es gibt eine Fraktion, die das kategorisch ablehnt, und zwar aus dem einfachen Grund, weil KI nur reproduzieren kann, was schon da ist; das Bild der Welt der KI ist keine autonome Reaktion, sondern stets eine bedingte Anwendung der Summe der Weltbilder, die man in ihr gespeichert hat. Simulacrum Simula­cra. Aber hat man nicht von denkwürdigen »Halluzinationen« von KI-Systemen gehört (zum Beispiel die Erfindung von Quellen in wissenschaftlichen Texten, bis hin zur Konstruktion von Koryphäen oder Institutionen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt)? Wenn KI sich also etwas »einbilden« kann, dann müsste sie doch auch Kunst können.

Es gibt eine zweite Fraktion in der Diskussion über die Frage, ob KI Kunst schaffen könne. Diese erhofft sich von der KI einen entscheidenden weiteren Schritt in der Kunstgeschichte. Kunst allein könnte eine Kommunikation zwischen der ersten und der zweiten Schöpfung ermöglichen, damit sie zivilisiert in eine gemeinsame Zukunft gelangen könnte. Dann wäre es viel schlimmer, wenn KI keine Kunst könnte, als wenn sie es könnte.

Das erste Text-zu-Bild-Modell - kaum mehr als Pixelmatsch

Als eines der ersten modernen Text-zu-Bild-Modelle gilt das von Forschern 2015 an der Universität Toronto entwickelte »Align Draw«. In einem Forschungspapier mit dem Titel »Generating Images from Captions with Attention« werden erstmals Bilder in kleiner Auflösung von 32x32 Pixel aus einem Prompt generiert. Die Bilder, die kaum mehr als Pixelmatsch sind, entstanden damals aus dem Prompt: »A stop sign is flying in blue skies«. Zehn Jahre später hat die Technologie praktisch Fotorealismus erreicht.

Bild:
[KI generiert] Wikipedia / Elman Mansimov - Algorithmically generated by the alignDRAW AI model / public domain

So wie man den gesellschaftlichen Prozess, in dem Kunst zu Kunst wird, entleeren und allein dem Markt und dem Betrieb überlassen kann, kann man es auch mit der Techno-Kunst tun, die Frage also dem »Konsumenten« oder, netter gesagt, dem Empfänger überlassen. Der Zukunftsforscher Bernd Flessner meint: »Wenn ein Kunstwerk für die Rezipienten, die ein Bild anschauen, ein Musikstück anhören oder ein Buch lesen, etwas aussagt, dann ist es Kunst, völlig unabhängig davon, wie sie entstanden ist.«

Aber »das Publikum« (als idealer Gesamtadressat) kann genauso wenig für sich entscheiden, was Kunst ist, wie es die Sender und Produzenten können. Ganz davon abgesehen, dass ein Kunstwerk eben nicht so einfach »aussagt«. Ein Kunstwerk ist etwas, über das man sich zwischen Sender, Empfänger und Medium geeinigt hat. Deshalb ist auch nicht alles, was durch Innovation verblüfft, schon Kunst. Aber die Produktion selbst ist ohne große Probleme maschinisierbar. So sieht es der Neurowissenschaftler Matthias Bethge: »Die moderne Form der KI sammelt Erfahrungen, analysiert Strukturen, löst sich dann von der Vergangenheit und schafft auf dieser Basis etwas Neues, Überraschendes. Anders macht das ein kreativer Mensch auch nicht.«

Nur weiß man nicht so recht, wie das mit dem Sammeln von Erfahrung bei der Maschine geht. Kunst schließlich käme, wie auch beim Menschen, aus eben jenen Regionen der Ich- und Welt-Erfahrung, die sich nicht vollständig aufklären lassen.

Zerfallende Sphären

Die Entwicklung der Beziehung von KI und Kunst könnte man in vier Phasen aufteilen. Zunächst ist KI nichts anderes als ein »Tool«, mit dem sich gewisse »Routinen« im Kunstprozess beschleunigen, ergänzen, ersetzen oder verwenden lassen. Algorithmen, die Pinselstriche und andere gemalte Effekte simulieren, und Algorithmen der Künstlichen Intelligenz oder des Deep Learning wie Generative Adversarial Networks (GANs) und Transformatoren nutzen. Dann ist da in der zweiten Phase das Kunstwerk, das aus einem Dialog zwischen Mensch und Maschine entsteht.

Erst die dritte Phase verlangt von einem KI-System künstlerische Autonomie; es ist die Maschine, die mit Material gefüttert und mit Methoden gesteuert wird, deren Produktivität aber nicht mehr im Voraus berechenbar, nicht mehr kontrollierbar ist und am Ende auch nicht »verstanden« werden kann (im Sinne einer logischen Rekonstruktion). Ein Beispiel wäre Alexander Kluges virtuelle Kamera, die auf verschiedene Herausforderungen mit der Produktion überraschender Bilder antwortet (aus einem kollektiven ikonographischen Unbewussten wird eine Gestalt, in der man viel mehr Wahrheit vermuten kann als in menschenkon­trollierter ästhetischer Produktion).

In der vierten Phase schließlich entwickelt das KI-System nicht nur eine Simulation des künstlerischen Prozesses, sondern auch eine Simulation der Künstler-Person, die zum Beispiel über ihre Arbeit sprechen kann oder die auf verbale Anregungen reagiert, und die, wie man es vom Betrieb gewöhnt ist, »in Erscheinung tritt«. Ein Beispiel dafür ist Ai-Da: Ein KI-gespeister Roboter mit der äußeren Erscheinungsform einer jungen Frau, der ein Cut-up-Portrait des Mathematikers und Computer-Propheten Alan Turing erstellte. Das Auktionshaus Sotheby’s erzielte für AI-Das Werk eine satte Million Euro.

Das Auktionshaus Sotheby’s erzielte für das Werk der KI Ai-Da eine Million Euro.

AI-Da also simuliert (oder macht) nicht nur Kunst, sie simuliert auch das Subjekt, sie kann sogar über sich selbst und ihre Arbeit sprechen. AI-Das Kunstwerk wird allerdings aller Voraussicht nach in die Kunstgeschichte nicht so sehr als Werk, sondern als Ereignis eingehen. »Sie« könnte nämlich ab jetzt jeden Tag ein Dutzend solcher Bilder anfertigen. Alles Originale. (Nur braucht sie eine Menge Strom und viele Daten.) Aber mit jedem ihrer Bilder würde der Wert geringer, und dann kämen auch noch AI-Da II, AI-Da III und so weiter.

Die wahre Kunst also besteht darin, AI-Da zu bremsen (vielleicht sogar, das wäre ein feiner Science-Fiction-Stoff, zu kidnappen, zu manipulieren oder gar zu vernichten). Wenn der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick noch lebte, dann würde er sich wohl eine KI-Invasion der Kunstproduktion ausdenken, durch die die Welt mit Kunst überschwemmt wird, bis eben alles Kunst ist. Oder nichts mehr.

Das Paradoxon ist also perfekt: KI-Kunst hat sich von der Kontrolle durch die Rezeption und Kritik getrennt, da diese Sphären vor ihr zerfallen. Der Markt übernimmt in Form der Hypes hingegen eine umso rigidere Kontrollfunktion.

Exemplarisch dafür ist das Werk, an dem sich die Debatte über KI-Kunst erst so richtig entzündete: Ein KI-Porträt des fiktiven Edmond de Belamy vom Kollektiv Obvious erzielte bei einer Auktion von Christie’s im Oktober 2018 einen Rekordpreis (mit 432.500 US-Dollar das 45fache des Schätzpreises) für die Künstlergruppe, die ihre Arbeit etwas verblasen verstanden wissen wollte als Hinweis »auf die Parallele zwischen dem Programmieren eines Algorithmus und der Expertise, die das Handwerk und den Stil eines Künstlers ausmachen«.

Robbie Barrat, der den entsprechenden Algorithmus zur freien Verwendung ins Netz gestellt hatte, war davon nicht begeistert. Er und die Künstler:in­nen, deren Werke die KI für die Erzeugung des »Edmond de Belamy« nutzte, wurden am Erlös nicht beteiligt. Der Fall wurde also weniger ein Beweis für die Kunstfähigkeit der KI als ein Gleichnis für den modernen Plattformkapitalismus, der aus Datendiebstahl und einem »Image« Marktwert generiert, ohne selbst produktiv oder »kreativ« zu sein.

Das Bild wurde übrigens auf der Basis eines zweiteiligen Algorithmus erzeugt (»Generator« und »Discriminator«) und akkumuliert 15.000 Porträt-Bilder vom 14. bis zum 20. Jahrhundert. Wenn der Generator daraus ein Bild erzeugt, untersucht der Discriminator die Unterschiede zu vorhandenen Bildern: der Generator simuliert also den Künstler, der Discriminator dagegen Rezeption, und das Spiel zwischen den beiden geht so lange, bis der Generator den Simulator überzeugt hat, dass es sich um ein »echtes« Porträt in einem unverwechselbaren Stil handelt.

Damit zeigt sich, was auch die Kunstfälschung ausmacht: (Nicht nur) gefälschte Kunst ist immer so gut wie die Geschichte, die sich über sie erzählen lässt. Der Hype war die eigentliche Botschaft des Bilds. Auch ein Wolfgang Beltracchi verkaufte ja nicht einfach gefälschte Bilder, sondern vielmehr Originale, die er einem falschen Autor zuordnete und mit einer falschen Hintergrundgeschichte versah. Wäre Kunst, wie es der vorhin zitierte Zukunftsforscher sah, nur dadurch bestimmt, dass sie für den Empfänger etwas »aussagt«, dann wäre diese Fälschung eher nebensächlich. Ein schönes Bild ist ein schönes Bild, oder? Und etwas Neues etwas Neues.

Verrottende Hypes

Wie im Fall »Belamy« aber geht es eben um noch etwas ganz anderes, nämlich um die Vorstellungen von Urheber, Verwerter, Besitzer und »Autor«. Oder, sehr allgemein gesprochen, um die Demokratisierung oder Aneignung von Kunst-Wert.

Bemerkenswerterweise scheint sich das »Berufsfeld« Kunst schon sehr viel stärker auf eine Transformation von Markt und Rezeption vorzubereiten, als der Stand der medialen Debatte vermuten lässt. Eine Untersuchung der Stiftung Kulturfonds im Sommer 2024 zeigt, dass 42 Prozent der befragten Künstler:innen bereits eigene künstlerische Erfahrungen mit KI bei der Erstellung von Arbeiten gemacht haben; von diesen nutzen 50 Prozent KI-Tools bei der Ideenfindung und 39 Prozent bei der Entwicklung neuer Arbeiten. 43 Prozent der bildenden Künstler:in­nen sehen die Entstehung neuer Kunstarten, Stile und Techniken als größte Chance von KI.

Gleichzeitig gibt es Vorbehalte: 56 Prozent der befragten Künstler:innen befürchten, dass für sie durch KI Einnahmequellen wegfallen könnten, 53 Prozent sehen sogar die Lebensgrundlage bildender Künstler:innen gefährdet. Von den über 1.000 befragten Kunst­rezipient:innen zeigen 64 Prozent Interesse an Arbeiten, die ganz oder teilweise mit Hilfe von KI-Anwendungen entstanden sind.

KI-Portrait: Edmond de Belamy

KI-Portrait: Edmond de Belamy. Das für Hunderttausende Euro versteigerte Werk kann als Reminiszenz an die Kunstgeschichte betrachtet werden. Seit jeher  ließen sich Herrscher von Malern nach ihrem Geschmack abbilden und inszenieren. Donald Trump lässt das heutzutage von KI erledigen.

Bild:
[KI generiert] Wikipedia / Paris-based arts collective Obvious via. www.christies.com / gemeinfrei

Am Gewinn beteiligt werden, vom Verlust verschont bleiben, wer möchte das nicht? »87 Prozent der bildenden Künstler:innen fordern daher, dass ihre Werke nur nach expliziter Zustimmung von KI-Unternehmen zu Trainingszwecken genutzt werden können. 91 Prozent fordern eine finanzielle Kompensation für die Nutzung. 85 Prozent der Künstler:innen und 83 Prozent der Kunst-Rezipient:innen plädieren außerdem für eine verpflichtende Kennzeichnung von mit oder durch KI erstellten Produkten«, heißt es in der Studie.

Das bloße Auge (nebst mehr oder weniger »Kunstverstand«) wird also in absehbarer Zeit nicht zwischen KI- und Menschenkunst unterscheiden können. Die Kennzeichnung zielt entweder darauf ab, dass ein Bild anders gesehen wird, je nachdem ob es von einer Künstlerin oder einer KI stammt, oder aber darauf, dass es einen anderen Wert haben soll. Die Autonomie des Werks, mit der es vielleicht ohnehin schon immer weniger weit her war, als man dachte, ist damit weiter zurückgedrängt. Die Kunst-Maschinen produzieren ohne Ermüdung und ohne Rücksicht; sie müssen, ob es ihren Besitzern und Benutzern bewusst ist oder nicht, den herkömmlichen Kunstmarkt so zerstören, wie der Technofeudalismus der Milliardäre die freie Marktwirtschaft zerstört.

Ebenso möglich wie eine große Transformation der Kunst ist eine Abfolge von Hype-Blasen, die so schnell wieder platzen, wie sich die nächste abzeichnet. Erinnert sich noch jemand an die große NFT-Welle und ihre sensationellen Ereignisse? Non-Fungible Tokens, digitale Besitznachweise von immateriellen Gütern, also die Übertragung des mehr oder weniger fälschungssicheren Kunstwerks in die digitale Welt – der Kunstmarkt hat das große Ding schon wieder für tot erklärt.

Ein Coup der »Belamy«-Art ist ebenfalls nicht wiederholbar, und AI-Da interessiert eher IT-Nerds. Der nächste KI-Hype verrottet vermutlich schneller als eine Cattelan-Banane. Auf der anderen Seite aber durchsetzen die unterschiedlichsten KI-Tools die ästhetische Produktion, schreiben Drehbücher, entwerfen fiktive Landschaften, suchen nach künstlerischen Marktlücken. Es sind nicht die sensationellen Ereignisse, die die Kunst verändern, es ist vielmehr die Trivialität der Gewöhnung.

Es sind nicht die sensationellen Ereignisse, die die Kunst verändern, als vielmehr die Trivialität der Gewöhnung.

Kunst, die sich der Herausforderung KI stellt, ist so dringlich, wie eine Kunst, die von KI-Systemen beherrscht wird, erschreckend ist. Denn es stellt sich nicht nur die Frage, wem die Kunst gehört und wer der Künstler ist, sondern mehr noch, wem die KI-Systeme gehören (und wer der Herrscher darin ist). Man stelle sich Elon Musks XAI als »Künstler« vor. Dann gibt es dort vielleicht bald nichts Queeres, nichts »Schwarzes«, nichts Feministisches und nichts Linkes mehr. Der Eigentümer einer KI-Plattform kann dann bestimmen, was Kunst ist und was nicht, so wie er jetzt schon meint, bestimmen zu können, was »wirklich« ist und was nicht.

Möglicherweise führt auch hier der Weg zu einer Spaltung zwischen Urheber- und Verwerterrecht. Offen bleibt zur Zeit beispielsweise noch, wer von der möglichen Wertsteigerung eines Werkes profitiert. In den Ländern der Europäischen Union gilt, anders als etwa in den USA, seit rund 20 Jahren das sogenannte Folgerecht. Das heißt, Autoren und Autorinnen werden auch beim Weiterverkauf ihrer Arbeiten an den Erlösen beteiligt. Bei einem KI-Werk sieht die Sache anders aus. In den USA und den Ländern, die es ihnen gleichtun, gelten Regelungen, die vor allem im Interesse der KI-Eigentümer und der Plattformbetreiber wirken.

Zwei kalifornische Gerichte wiesen Klagen von Urhebern gegen die Nutzung ihrer Werke durch Open AI, Microsoft und Anthropic ab: Das Training von KI-Systemen mittels vorhandener Texte und Bilder wird als »fair use« (angemessene Verwendung) codiert, die in Zukunft ohne Zustimmung der Urheber möglich sein wird, solange das Trainingsmaterial rechtmäßig erworben wurde. Die Begründung? Der freie Wettbewerb auf dem Feld der KI würde leiden, wenn man die Entwickler hemme. Die Auseinandersetzung um die Urheberrechtsfragen ist damit gewiss noch nicht endgültig entschieden. Die Debatte über das Verhältnis von KI und Kunst enthält aber noch relevantere Konflikte, denn hinter der Frage, wem die Kunst gehört, verbirgt sich auch jene, wem die Welt gehört.