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Im Produktionsland verboten – Trương Minh Quýs Film »Viet und Nam« erzählt von zwei schwulen Bergmännern
Das Glitzern im Kohlestaub
Ein Film wie ein düsteres Gedicht: In Truong Minh Quýs Liebesdrama »Viet und Nam« taumeln zwei junge Bergleute durch ein von Armut geprägtes Land.
Es gibt Filme, deren Magie gerade auf der Auslassung beruht. Es ist das Rätselhafte, das sich einer unmittelbaren Deutung entzieht und das Unklare in seiner ganzen Klarheit zeigt. Truong Minh Quýs Drama »Viet und Nam« über die Liebe zweier junger Bergleute ist solch ein Film.
Mit stiller Poesie erzählt er von Kriegstraumata, Vaterlosigkeit und schwuler Heimlichkeit. Weil er die Perspektivlosigkeit junger Leute aus armen Verhältnissen in Vietnam schonungslos darstellt, wurde er von den dortigen Zensurbehörden verboten – die Homosexualität der Hauptfiguren war nicht der offizielle Grund.
Die stilistische Offenheit des Films dürfte auch damit zu tun haben, dass es Truong Minh Quý erklärtermaßen nicht darum geht, seine eigene Migrationsgeschichte festzuhalten, sondern darum, diese abzulegen.
Im Jahr 2001: Die jungen Bergleute Viet (Đào Duy Bao Đinh) und Nam (Pham Thanh Hai) arbeiten 1.000 Meter unter Tage in einer Kohlemine. In der Eröffnungsszene sprechen sie von einer Flucht über das Meer. Umgeben sind ihre rußbedeckten Gesichter von einer tiefschwarzen Dunkelheit, in der die Kohlestücke funkeln wie Sterne in den Weiten des Weltalls – die jungen Männer lieben einander und sind in diesen intimen Minuten während der Arbeitspause in ihrem eigenen Universum, ehe ihre zaghafte körperliche Annäherung vom Schrillen einer Glocke unterbrochen wird. Die beiden werden wieder Teil einer Arbeitsgruppe, die in mechanischem Rhythmus Kohle abbaut.
Nam wohnt zusammen mit seiner Mutter Hoa (Nguyen Thi Nga) in einer notdürftigen Behausung, wo sie vom Verkauf der Kohle leben. »Viet und Nam« zeigt dieses karge Leben gleichermaßen realistisch und verträumt, etwa wenn Son Doans Kamera, die mit 16-mm-Film bestückt ist, das Schillernde, Indirekte sucht und in Blicken durch Moskitovorhänge, rußbedeckte Scheiben und matte Spiegel findet.
Oder wenn gleich zu Beginn auffällt, wie poetisch und sorgsam die wenigen gesprochenen Worte gewählt wurden – sei es im Gespräch über ihre mögliche Flucht auf dem Seeweg, in der Feststellung von Nams Mutter, im Licht lasse es sich besser träumen, oder in der späteren Beschreibung eines Strands als »Friedhof der Muscheln«. Zugleich verzichtet Truong Minh Quý auf jede musikalische Untermalung, einzig der melancholische Gesang der Darstellerinnen erklingt bisweilen.
Im Vietnam-Krieg gefallen
Nams Vater ist im Vietnam-Krieg gefallen, sein Leichnam wurde jedoch nie gefunden. In ihren Träumen meint seine Mutter, Hinweise auf den Verbleib seiner Überreste zu erkennen. Gemeinsam mit Nams Onkel Ba (Viet Tung Lê), der in derselben Einheit wie der verschollene Vater eingesetzt war, wird eine Karte erstellt, die bei der Suche helfen soll.
Als der Onkel beiläufig fragt, wann Viet und Nam heiraten werden, zeigt sich pointiert die Situation eines schwulen Paares im Vietnam der frühen nuller Jahre: Nach einem kurzen, freudig überraschten Lächeln begreifen die Liebenden, dass die Frage sich nicht auf sie als Paar, sondern allgemein auf eine Heirat mit einer Frau bezieht. Sie können einander zwar lieben und erleben keine offenen Anfeindungen, seitens Nams Mutter gar diskretes Wohlwollen, aber öffentlich und offiziell findet ihre Beziehung nicht statt. Ihr Zusammenleben bleibt bis auf einige mutige Momente den dunklen Winkeln der Kohlemine und der Intimität der Schlafzimmer vorbehalten.
Im zweiten Teil des Films begeben sich die vier auf die Suche nach dem Leichnam von Nams Vater, besuchen ehemalige Schlachtfelder und Kriegsmuseen, durchkämmen das Land von Norden nach Süden, zeitweise in Begleitung eines mäßig vertrauenerweckenden selbsternannten Mediums, das vorgibt, mit den Geistern toter Soldaten in Kontakt zu stehen. Sorgsam beobachtend begleitet der Film seine sehr speziellen Protagonisten auf der Suche nach dem verlorenen Vater, während in Nam langsam der Entschluss reift, dem ökonomischen Druck nachzugeben und das Land zu verlassen, ehe in einem dunklen Finale die Grenzen zwischen Trennung und Liebe, Tod und Leben zu verschwimmen scheinen.
Verträumte Unschuld und explizite Lust
Die Einheit des Widerspruchs ist das große Thema von »Viet und Nam«. Gegensätzliches wird ineinander gespiegelt, ohne je ganz eins zu werden. Da sind Nord- und Südvietnam, auf deren getrennte Verbundenheit der Titel des Films verweist; da ist die proletarische Welt der Bergbaus mit ihrem Dreck und ihren Raucherpausen, in deren Mitte die zarte, bisweilen mit Geschlechterrollen kokettierende schwule Liebe stattfindet; da gibt es die Liebe, die zugleich verträumte Unschuld und explizite Lust ist.
Auch der von Perspektivlosigkeit und Abwanderungsdruck geprägten sozialen Realität wird durch deren melancholische Verarbeitung durch das poetische Drehbuch und einige wenige phantastische Elemente eine gewisse Schönheit zur Seite gestellt, so dass der Film gleichsam die Genregrenze zwischen neorealistischem Sozialdrama und phantasievoll stilisierter Liebeserzählung einreißt. Der Sternenhimmel in der Kohlemine ist hierfür das stärkste Bild.
Es ist gerade das Unbestimmte und Assoziative, das »Viet und Nam« weit über die Größe eines schwulen Migrationsdramas hinauswachsen lässt. Die Handlung ist wird oft nur angedeutet, während das Beiläufige, oft auch Seltsame, ausschweifend erzählt wird. Das lässt den zweistündigen Film streckenweise etwas mühsam wirken, öffnet ihn aber zugleich für das Vielschichtige, Uneindeutige und Universelle, das sich gerade in den konkreten Handlungen und Lebensumständen auftut. Die literarische Entsprechung des Films wäre nicht der Roman, sondern das Gedicht.
Die stilistische Offenheit des Films dürfte auch damit zu tun haben, dass es Truong Minh Quý erklärtermaßen nicht darum geht, seine eigene Migrationsgeschichte festzuhalten, sondern darum, diese abzulegen. Er habe sich der typischen mit Vietnam in Verbindung gebrachten Topoi – Kriegstrauma, Spaltung, Migration – angenommen, um sich als Künstler von ihnen zu befreien und in seinem künftigen Wirken keinen Druck mehr zu verspüren, sich ihnen zu widmen, erklärte er in Interviews.
Psychoanalytische Tiefe
Eine gewisse psychoanalytische Tiefe gewinnt der Film, wenn Nam gegenüber dem Geliebten nach dem Sex erwähnt, kurz vor dem Orgasmus erscheine ihm der Vater als gesichtsloser Soldat. Auf diese Weise helfe Viet ihm dabei, sich den Vater vorzustellen, den er niemals kennengelernt hat. Als dieser eingezogen wurde, war die Mutter gerade mit Nam schwanger; der junge Soldat hat nie erfahren, dass er Vater geworden wäre, hätte er überlebt.
Sein Tod aber besiegelte nicht nur die ökonomische Perspektivlosigkeit der Familie, sondern symbolisiert auch das Fehlen einer zwischen Vergangenheit und Gegenwart vermittelnden Instanz. Die Absenz des Vaters verweist zugleich auf das Fehlen einer Zukunft, nur die ewige Gegenwart der Kohleminen oder der Gang ins Ausland scheinen möglich. So wandeln Viet und Nam ziellos auf den Spuren einer Geschichte, die nicht die ihre ist – unentschlossen, ob ihre Zukunft in der Tiefe des Bergwerks oder in der Ferne liegt und ob ihre Liebe Bestand haben wird.
Die vietnamesische Zensurbehörde indes hat beschlossen, die Bevölkerung vor der Wahrhaftigkeit einer melancholischen Fiktion abzuschotten. Vielleicht kann dieser außergewöhnliche, traurig-schöne Film im Exil dennoch seinen Beitrag dazu leisten, Vergangenheit und Gegenwart Vietnams zu vermitteln.
Viet und Nam (Vietnam/Frankreich/Schweiz 2024). Buch und Regie: Truong Minh Quý. Darsteller: Đào Duy Bao Đinh, Pham Thanh Hai, Nguyen Thi Nga, Viet Tung Lê. Filmstart: 4. September
